Die Tourismusbranche hat auch in Bietigheim-Bissingen zu kämpfen Kein Reise-Boom in Sicht

Von Rena Weiss
Heide und Ortwin aus Cuxhaven sind Strandkorb-Dauermieter und gehören zu den wenigen Besuchern am Strand. Doch auch für andere Touristen könnte Urlaub in Niedersachsen bald wieder möglich sein. ⇥ Foto: dpa-Bildfunk/Sina Schuldt

Der Reiseveranstalter Spillmann und das Reisebüro am Eck in Bietigheim-Bissingen haben mit hohen Einbüßen zu kämpfen. Bis zu 95 Prozent der Kunden stornieren ihre Reisen.

Wird es dieses Jahr noch Urlaubsreisen geben? Diese Frage stellen sich aktuell nicht nur viele Urlaubshungrige, sondern vor allem Unternehmen, die vom Tourismus leben. Das Bietigheim-Bissinger Reisebüro am Eck weiß aus eigener Erfahrung, dass es dabei um ganze Existenzen geht. Denn die Reisebüros agieren als Vermittler. Erst bei einer erfolgreichen Vermittlung, also bei Reiseantritt, erhält das Reisebüro seine Provision von den Reiseunternehmen. Aktuell  droht vielen Reisebüros eine Kündigungs- und Schließungswelle.

„Wir haben zu 95 Prozent nur Stornos“, sagt Jennifer Jeromin, die im Reisebüro am Eck arbeitet. „Wir kämpfen den ganzen Tag mit Stornierungen, nur ganz wenige buchen um.“ Denn die Unsicherheit sei groß, erklärt die Reiseverkehrskauffrau. Aktuell betreffe das hauptsächlich den Sommerurlaub. Das liege auch an der Reisewarnung, die derzeit bis 14. Juni gelte. „Alle Reisen bis zu diesem Datum wurden von den Reiseveranstaltern abgesagt.“ Bei vielen Veranstaltern gebe es jedoch die Möglichkeit, Reisen bis 31. Juli umzubuchen. „Bei den Kreuzfahrten sogar bis September“, ergänzt Jeromin. Eine Umbuchung sei im Voraus möglich, bei einer Stornierung sei dies anders. Wer nicht auf den Kosten sitzen bleiben möchte, sollte nur innerhalb der Reisewarnung stornieren.

Im Reisebüro am Eck handelt es sich dabei vor allem um Auslandsreisen. „Gerade in den Pfingstferien war das gesamte Mittelmeergebiet beliebt.“ Doch auch innerhalb von Deutschland bietet das Büro Reisen an, allerdings boomt das Geschäft aktuell auch hier nicht. Obwohl Bundesländer wie Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen bereits Lockerungen planen und auch Touristen die Einreise wieder erlauben wollen. „Die Menschen wissen aber noch nicht, wann genau alles offen ist und mit welchen Einschränkungen zu rechnen ist.“

Bundesweite Demonstrationen

Am Mittwoch demonstrieren die Mitarbeiter des Reisebüros am Eck und noch rund 200 weitere angemeldete Reiseverkehrskaufleute auf dem Stuttgarter Marktplatz. Es handelt sich dabei um eine bundesweite Aktion, für die Rettung der Reisebüros. „Reiseveranstalter werden von unserem Staat wie andere große Firmen gefördert und erhalten staatliche Unterstützung, die kleinen wie wir, nicht“, sagt Jeromin. „Dafür gehen wir auf die Straße. Es muss auch einen Rettungsschirm für die Reisebüros geben.“ Denn aktuell arbeiten die Mitarbeiter quasi umsonst, sagt sie. Dafür wurden die Stornoabwicklung und Rückerstattung von den Veranstaltern an die Reisebüros weitergegeben. „Die Veranstalter zahlen uns dafür nichts und verlangen teilweise ihre Provision zurück“, schildert Jennifer Jeromin die missliche Lage der Reisebüros. „Es geht für viele Reisebüros um die Existenz.“ Es sei traurig von Insolvenzen einiger Unternehmen, wie Air Berlin, Thomas Cook und Neckermann, zu hören. „Wir hoffen auf den Sommer und dass wenigsten für Deutschland und Österreich eine Regelung gefunden wird.“ Dabei hofft das Reisebüro am Eck auf klare Aussagen auch vom Auswärtigen Amt. „Einfach dass wir beispielsweise wissen, wir müssen uns nun auf die Herbstferien konzentrieren“, sagt Jeromin, die seit fünf Jahren im Bietigheimer Reisebüro arbeitet. „Die Reisebranche hat wirklich zu kämpfen.“

Das gilt auch für die Omnibusverkehr Spillmann GmbH aus Bietigheim-Bissingen. Zwar habe das Unternehmen Verständnis für die Reisebeschränkungen auch in der Bustouristik, doch benötige das Unternehmen die Unterstützung des Bundes, teilt es in einer Pressemitteilung mit. Seit 16. März gilt für den Reiseveranstalter Spillmann ein Berufsverbot, damit ist das Unternehmen komplett still gelegt, so Geschäftsführer Bülent Menekse. Davon sind 20 Mitarbeiter betroffen, die normalerweise etwa 800 Reisen für rund 22 000 Kunden pro Jahr organisieren. „Die Vorausbuchungen für die Reisesaison 2020 waren so gut wie noch nie und alles deutete auf ein Rekordjahr hin. Viele der Reisen für Sommer 2020 waren bereits im Februar 2020 nahezu ausgebucht“, heißt es seitens des Unternehmens.

Seit Beginn der Corona-Krise und dem behördlichen Berufsverbot stehen alle Fahrzeuge abgemeldet auf dem Betriebshof. „Das bedeutet einen Umsatzrückgang von 100 Prozent.“ Derzeit sind alle Reisen bis Mitte Juni abgesagt sowie alle Italien- und Frankreich-Reisen bis in den Herbst. „Besonders hart trifft es uns als Busbranche, die aus dem Winter kommt und die Saison üblicherweise ab März beginnt und somit die Reserven für das aktuelle Geschäftsjahr noch nicht aufgebaut werden konnten.“ Momentan seien mehr als 50 Prozent der Reisen storniert.

Kurzarbeit Null

Ein großes Problem in der Touristikbranche sei, dass für die gebuchten Gruppen hohe Anzahlungsbeträge an die Hotels und sonstigen Leistungsträger ins In- und Ausland überwiesen wurden. Das Geld fließe zwar zurück, aber mit angezogener Handbremse. Laut Gesetz sind Hotels, Agenturen und Fluggesellschaften verpflichtet, die Beträge zurückzuzahlen. „Allerdings haben einige Länder das EU-Pauschalreiserecht ohne Zustimmung der EU abgeändert und bieten uns Gutscheine an“, sagt Menekse. „Unsere Kunden haben aber das Recht auf Erstattung der Anzahlungen.“ Die Rückzahlungsbeträge betragen hohe sechsstellige Beträge, was das Unternehmen in der Liquidität sehr belastet, bei keinen Einnahmen, so der Geschäftsführer weiter. Seit 1. April ist das gesamte Touristik-Team bei Spillmann in Kurzarbeit Null. Für die Reisegäste ist ein Notdienst eingerichtet. „Bei gebuchten Reisen im Sommer und Herbst raten wir unseren Kunden, mit der Stornierung noch abzuwarten, um nicht unnötige Stornogebühren zu riskieren. Wird die Reise abgesagt, weil die Durchführung nicht möglich ist, verständigen wir die Kunden rechtzeitig, damit keine Kosten entstehen.“

Der Schaden im Tourismus sei so groß, dass kein Reisebüro oder Reiseveranstalter ohne staatliche Förderprogramme in eine sichere Zukunft blicken könne. „Das können aber nicht nur Überbrückungskredite sein, sondern echte Zuschüsse. Wenn diese nicht gewährt werden, gehen wir von sehr hohen schmerzhaften Verlusten für das Geschäftsjahr 2020 aus“, sagt Menekse. Der Bund dürfe dabei nicht verkennen, dass die Bustouristik eine vergleichbare systemrelevante Funktion hat. Sie leiste einen starken sozialen Beitrag für die Gesellschaft und unterstütze Bund, Länder und Kommunen dabei, sich um ältere Menschen zu kümmern, so dass sie sich begegnen, austauschen und gemeinsame Reisen erleben können. Doch wann das wieder möglich ist, ist ungewiss. Das oberste Gebot sei bis dahin und darüber hinaus, dass die Sicherheit und Gesundheit der Reisegäste und Mitarbeiter gewährleistet ist. „Daher konzentrieren wir uns aktuell auf das Jahr 2021, bei dem wir mit ungefähr 60 bis 70 Prozent des Standes vor der Krise rechnen. Erst ab 2022 gehen wir wieder von dem Niveau vor der Krise aus.“

Doch Bülent Menekse bleibt hoffnungsvoll: „Jede Krise birgt auch eine Chance. Wir sind uns sicher, dass in Zukunft das Reisen wieder eine andere Wertigkeit bekommen wird.“ Regionalität werde wieder mehr Bedeutung erhalten und damit auch das Busunternehmen. „Wir sind ein fester Bestandteil und tief verankert in dieser Region. Und so soll es auch bleiben.“

 
 
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