Digitaler Fernunterricht Schüler üben Kritik am Fernunterricht

Von Gabriele Szczegulski
Die digitalen Angebote für das Lernen zu Hause sind von Schule zu Schule, von Lehrer zu Lehrer verschieden. Das verwirrt die Schüler, die einheitliche Angebote fordern. ⇥ Foto: Kreismedienzentrum

Ein Studie der PH befragte erstmals Schüler zum Fernunterricht. Professor Albrecht Wacker über Anhaltspunkte für die Lehrerausbildung.

Noch nie, so Professor Dr. Albrecht Wacker von der Pädagogischen Hochschule (PH) Ludwigsburg, Dozent für Schulpädagogik, seit Bestehen der Bundesrepublik seien Schüler zum Lernen nach Hause geschickt worden. Bedingt durch die Ausbreitung des Coronavirus und die Maßnahmen zu seiner Eindämmung wurden am 17. März die Schulen in Baden-Württemberg geschlossen und die Schüler in das häusliche Lernen entlassen.

Viele Fragen zur Schule zu Hause

Innerhalb kürzester Zeit, so Wacker, hätten Lehrer und Schüler sich Lernformate erarbeiten müssen, die es bisher nicht gab. Gemeinsam mit der PH Heidelberg hat die Ludwigsburger Hochschule unter Leitung von Professor Wacker eine Studie aufgelegt, die erstmalig Schüler anhand von sieben Fragen ihre Situation einschätzen lässt. Die Studie soll auch weitergeführt werden, so der Pädagoge. „Es bleiben bislang viele Fragen zur Schule zu Hause unbeantwortet, die nicht nur inhaltlich bedeutsam für die Weiterentwicklung der Hochschullehre sind, sondern darüber hinaus auch den Schulen und Lehrkräften Anhaltspunkte zum Handeln geben können“, sagt Wacker.

In dieser Studie wurden  Schüler nach den digitalen Verfahren, nach ihrer täglich aufgewendeten Arbeitszeit, nach erfolgten Kontrollen und Rückmeldungen sowie nach Vor- und Nachteilen befragt. Die angeschriebenen Schüler sollten ein möglichst großes Spektrum an Alter, Schulform und sozialer Herkunft abdecken. 169 Schüler haben die Fragen beantwortet.

Die Schülereinschätzungen variierten stark von „eigentlich war alles gut“, bis hin zu „Ich kann das nicht alleine“. Mehr als die Hälfte der Schüler gibt an, weniger als im Präsenzunterricht für die Schule zu arbeiten, jeweils ein knappes Viertel verweist darauf, ebenso viel oder sogar mehr zu arbeiten.

Vor allem die fehlende Tagesstruktur wurde von vielen Schülern laut Wacker bemängelt, da die wenigsten Lehrer feste Unterrichtszeiten vorgegeben hätten.  Nicht überrascht hat Wacker die Kritik der Schüler an den vielen Wegen und Verfahren des Lernens. Der digitale Unterricht unterschied sich nicht nur von Schule zu Schule, sondern auch von Lehrer zu Lehrer, was die Schüler sehr verunsichert habe. Kritisiert wurde auch das meist verwendete „Aufgabe-Lösung-Schema“.  Für die Schüler erschwert sich durch die Vielzahl der Formate nach eigener Angabe die Strukturierung ihrer Arbeit und sie wünschen sich in der Folge, dass die Vorgaben innerhalb einer Schule abgestimmt und besser koordiniert werden. Immer wieder, so Wacker, wurden Videokonferenzen gefordert oder Plattformen mit einheitlicher Lernsoftware oder Angeboten. Der direkte Kontakt mit den Lehrern fehlte den meisten Schülern.

So sei die wichtigste Forderung an die Politik, so Wacker, endlich eine einheitliche Schulplattform für alle Schulen zur Verfügung zu stellen und die Einrichtung zu Videokonferenzen wie es das Kultusministerium mit dem Programm „Ella“ vorhatte, was aber gescheitert ist. „Wir sind im europäischen Vergleich weit hinten, was das betrifft, ist da nur eine große Lücke“, sagt Wacker. Wenn Schulen aus Mangel an einer einheitlichen Lösung mit Plattformen wie Noodles, Diler, Microsoft-Teams oder Elias arbeiteten sowie sich in Whatsapp-Gruppen besprechen, seien sie „datenschutzrechtlich auf gefährlichen Pfaden“. Das Kultusministerium habe dies auch kritisiert, aber keine datengeschützte Alternative anzubieten, sagt Wacker.

Es müsse eine Plattform sein, die kostenlos, einfach zu bedienen, datenschutzrechtlich unbedenklich und mit Lernmaterialien ausgestattet ist, sowie Kommunikationsplattformen anbiete.

Soziale Schere

Denn: Die Forderung der Schüler nach mehr Videokonferenzen mit den Lehrern sei eine Forderung nach direkterer und engmaschigerer Kommunikation. Auch wenn viele das Engagement der Lehrer lobten, die Kommunikation empfanden sie als mangelhaft, vor allem, wenn es um die Vermittlung neuer Inhalte gehe. Ein großes Manko beim Fernunterricht sei, „dass der Fernunterricht die soziale Schere noch weiter aufmacht“, so Wacker. Schüler aus sozial benachteiligten Schichten hätten keine technischen und sozialen Möglichkeiten, angemessen am Fernunterricht teilzunehmen. Es fände kein sozialer Ausgleich wie in der Schule statt, die „nicht so gut ausgestatteten Schüler sind außen vor und können dies wie in der Schule im sozialen Kontakt nicht wettmachen“.

So seien zwar die Schule und der Präsenzunterricht alternativlos, aber für Krisen wie diese müssten die Schulen besser vorbereitet und, so Wacker, besser ausgestattet sein. Die Schule habe auch eine gesellschaftlich ausgleichende Funktion, das sei im Homeschooling nicht gewährleistet.

Gleichwohl müssten Lehramtsstudenten auch für den digitalen Unterricht geschult werden. „Ein Vorteil ist, dass die Studenten derzeit dasselbe durchmachen wie die Schüler, weil sie im Homeoffice arbeiten und ähnliche Probleme haben, deshalb können wir in der Lehre hier ansetzen und neue Arten des Unterrichts ausprobieren“, so der Professor. Seminarformate für PH-Studenten, die diese Formen des Fernunterrichts vermittelten, seien für das kommende Semester in Planung.

Zudem wurde die Studie in der Zeitschrift „Lehren und Lernen“ veröffentlicht und den Lehrern zur Verfügung gestellt und mit Anregungen für den digitalen Unterricht versehen. Denn, so Prof. Albrecht Wacker: „Der digitale Fernunterricht wird uns noch bis ins kommende Jahr begleiten.“

www.ph-ludwigsburg.de

 
 
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