Durch die Markgröninger Geschichte Eine Frage der Verpackung

Von Sandra Bildmann
Alle Stadtführerinnen und Stadtführer im Kostüm eint ihr Herz für Markgröningen, und die Leidenschaft das Wissen auf spielerische Art anderen Menschen zu vermitteln. Foto: /Martin Kalb

Historische Kostümführungen sind in Markgröningen beliebt. Die Ehrenamtlichen erzählen.

Als Grüningen seine Blütezeit erlebte, den Titel „Oberamtsstadt“ trug, und zum hiesigen Bartholomäusmarkt so viele Besucher wie zur Frankfurter Messe kamen, da war Amerika noch nicht einmal entdeckt. Später, Anfang des 16. Jahrhunderts, rief der örtliche Stadtpfarrer zum „Aufstand des Armen Konrad“ auf.

Schäden durch Naturgewalten, Missernte und Teuerungen machten den Menschen zu schaffen. Sie lehnten sich gegen Spekulationen mit Lebensmitteln auf, forderten mehr Mitsprache. „Es ist extrem aktuell“, sagt Norbert Kretschmer, der für Führungen in die Rolle des Aufständischen Wilhelm schlüpft. Seine Theater-Duo-Partnerin Roswitha Feil ergänzt: „Es sind die gleichen Themen wie heute.“

„Stadtgeschichte vermitteln“

Sechs Ehrenamtliche – allesamt echte Markgröninger – vermitteln theatralisch Stadtgeschichte. Manche Figur, wie die der Magd Sofie, entspringt nach intensiven Recherchen der Fantasie, andere Charaktere hat es nachweislich gegeben, wie zum Beispiel die reiche und geschäftstüchtige Witwe Elisabeth Lyherin. Inhaltlich ergänzen sich die jeweils etwa anderthalb Stunden dauernden Führungen, denn thematisch legen sie ganz unterschiedliche Schwerpunkte – auch wenn sich alle Rundgänge innerhalb der Stadtmauer abspielen.

Markgröningen verfüge über eine solch’ umfangreiche Geschichte, dass man stundenlang referieren könne, sagen die Stadtführerinnen und Stadtführer. Doch das haben sie gar nicht im Sinn. „Die Leute möchten unterhalten werden“, meint Kretschmer und fügt an: „Lernen, etwas mitnehmen – das ja, aber das Interesse an Zahlen, Daten, Fakten wird weniger.“ Figuren in Kostümen machten das Geschehene hingegen fassbarer. Mit Geschichten ließen sich auch Kinder leichter einfangen, berichtet Ariane Schröfel, die obendrein gesonderte Führungen für Kinder anbietet: „Es ist alles eine Frage der Verpackung.“

Wie alle Stadtführerinnen und Stadtführer in Markgröningen haben Roswitha Feil und Norbert Kretschmer in unzähligen und intensiven Recherche-Stunden Nachforschungen angestellt, um „der historischen Wahrheit so nah wie möglich zu kommen“, so Feil.

Die Idee, den „Aufstand des Armen Konrad“ aus Sicht von Anführer Wilhelm und seiner Jugendfreundin Rosi erlebbar zu machen, kam den beiden, als sie vor drei Jahren anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Arbeitskreises für Geschichtsforschung und Denkmalpflege ein Theaterstück schrieben und aufführten.

Rollen haben reales Vorbild

Gereizt hat sie, dass ihre Rollen ein reales Vorbild haben und viele Schauplätze von damals heute noch erhalten sind. Rund 500 Jahre ist der Aufstand her, bei dem Bauern, Handwerker und Bürger der oberen Mittelschicht gemeinsam mobil machten. Sie wohnten in Grüningen – wie Markgröningen damals hieß – quasi Tür an Tür mit den Betuchten der Stadt.

Im Fachwerkhaus in der Finsteren Straße lebte einst Elisabeth Lyherin, Mutter des Widersachers von Wilhelm und Rosi und mächtige Patrizierin der Stadt. Ariane Schröfel stieß im Zuge von „normalen“ Stadtführungen auf Lyherins Epitaph in der Kirche. Angesichts zahlreicher erhaltener Schriften und Zeugnisse über die selbstbewusste und moderne Frau war der hauptberuflichen Webdesignerin klar: „Daraus muss man etwas machen.“

Eine Fantasiefigur hingegen ist die Magd von Schultheiß Burkhart Vimpelin. Gabriele Weigel ist bereits seit 2013 als Stadtführerin tätig und vermag als Sofie allerlei Klatsch und Tratsch zu berichten, kennt frivole Baderituale und weiß, was man verbrochen haben musste, um am Galgen erhängt zu werden. Wie Weigel im Zuge ihrer Recherchen herausfand, ist sie selbst tatsächlich in 19. Generation mit jenem Schultheiß verwandt. Monika Zorn ist die „Pfizerin“, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts feststellen muss, dass auch die Frau eines Stadtrats sich mit viel Geld nicht mehr unbedingt alles kaufen kann. Und Otto Breisch verkörpert seit vielen Jahren den Turmwächter sowie Schäfer Bartel. Er weiß Geschichten von anno dazumal genauso zu erzählen wie Anekdoten über die Bürgermeister der jüngeren Vergangenheit.

 
 
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