Ein neuer Teil der Sommerserie „Ferien daheim“ Rückbesinnung auf eine alte Tradition

Von Heidi Vogelhuber
Angeleitet von den geübten Stocherkahnfahrern Eberhard Hutzler (links), René Handte (rechts) und Fabian Giereth (nicht im Bild), versuchte sich auch BZ-Redakteurin Heidi Vogelhuber am Stochern. Foto: Oliver Bürkle

Seit sechs Jahren werden in Vaihingen Touren mit dem Stocherkahn angeboten. Die Tradition jedoch besteht in der ehemaligen Gerberstadt bereits seit hunderten von Jahren. Ein Selbstversuch.

Das Bewerbungsprofil eines Stocherkahnfahrers verlangt ein breites Spektrum an Eigenschaften“, erklärt Hans-Joachim Rösner. Einerseits brauche man Kraft, andererseits müsse man die richtige Technik beherrschen. Doch das reicht noch nicht aus, um ein Teil der aktuell elfköpfigen Vaihinger Stocherkahn-Truppe zu werden. Wissen um die Stadt an der Enz muss vorhanden sein und auch der richtige Draht zum Publikum ist essenziell. Denn zur Vaihinger Stocherkahnfahrt gehört auch eine Stadtführung – aber aus einer anderen Perspektive, mit Blick vom Wasser auf die Stadt.

Stochern im Selbstversuch

All diese Eigenschaften bringe ich nur bedingt mit, trotzdem vertrauten mir die Enzlöwen, wie sich die Vaihinger Stocherkahnfahrer nennen, den Stecken und damit die Kontrolle und Verantwortung über den Kahn an – zumindest vorübergehend.

Sechs Meter lang ist der Stecken, der um die sieben Kilo wiegt. Fast vollständig zieht ihn der Kahnfahrer aus dem Wasser, bis die metallene Spitze über der Wasseroberfläche aufblitzt. Senkrecht nach unten, jedoch vom Fahrer weg geneigt, wird der Stecken dann mit Schmackes ins Wasser gerammt und flutscht nur so durch die Hände. Befürchtete Spreißel bleiben aus, der Holzstab ist glatt, glitschig und gehobelt. Als „totale Entschleunigung“ bezeichnet Rösner, selbst Stocherkahnfahrer, inzwischen jedoch mehr auf die Planung konzentriert, die Fahrt mit dem zehn Meter langen Kahn über die Enz. Das kann ich durchaus unterschreiben – zumindest solang man als Fahrgast nach hinten gelehnt die malerische Landschaft, inklusive Blick aufs Schloss Kaltenstein, genießen kann. Genau das machen nämlich üblicherweise die Mitfahrer. Ich jedoch wollte mich nicht lumpen lassen und griff selbst zum Stecken. Mit nachhaltigen Folgen, möchte ich sagen: Muskelkater in den Armen und vor allem die seitlichen Bauchmuskeln habe ich am Folgetag gespürt. Denn: Gelenkt wird der Kahn, indem man den Stecken gegen die Hüfte drückt und ihn durch eine Rotation des Oberkörpers durchs Wasser schiebt. Bewegt man den Stecken nach rechts, fährt der Kahn nach links und andersrum. Bei einer guten Technik und ein wenig Übung kann das durchaus entspannt aussehen und es kann dann sicherlich auch noch möglich sein, Geschichtliches über die Stadt Vaihingen zu berichten, die sich bis ins 19. Jahrhundert hinein als Gerberstadt einen Namen machte. Ich blutiger Anfänger jedoch, war schon nach wenigen Minuten außerstande zu reden und überließ dann doch lieber wieder den Profis das Stochern.

„Im Gegensatz zum Vorwurf, Vaihingen habe sich das Geschäft mit dem Kahn von Tübingen abgeschaut, war die Stadt früher auf Kähne als Transportmittel angewiesen“, berichtet René Handte, der seit Beginn der Wiederentdeckung des Stocherkahnfahrens in Vaihingen dabei ist. „Säckeweise wurde Rindenmulch von der Lohmühle zu den Gerberwerkstätten geschifft“, erklärt Handte. „Das Stochern hat hier eine lange Tradition“, ergänzt Rösner.

2014 wurden dann wieder die ersten beiden Kähne angeschafft, gefertigt von einem Tübinger Zimmermann. Im selben Jahr wurden auch zwei Podeste nahe des Pulverturms eingeweiht, die den Blick auf die Enz eröffneten und den Fluss damit wieder ins Gedächtnis der Vaihinger holten. „Der Fluss spielte in der Vergangenheit und heute eine große Rolle für Vaihingen“, sagt Rösner.

Wie man zum Stochern kommt? „Ein wenig Interesse an der Heimatstadt und Lust, sich auf dem Wasser zu bewegen, reicht eigentlich“, berichtet Fabian Giereth aus eigener Erfahrung. Anfangs gibt es natürlich die eine oder andere heikle Stelle auf der üblicherweise 1,5-stündigen Ausfahrt. „Bei meiner ersten Fahrt mit Publikum bin ich in einem Busch gelandet“, erinnert sich Giereth und lacht. Das könne anfangs schon mal vorkommen, jedoch kennen die Enzlöwen die Strecke inzwischen in- und auswendig. Die tiefste Stelle? Kurz vor dem Wehr, etwa sechs Meter tief und drei Meter breit. Die anspruchsvollste Kurve? Vor der Fischtreppe. Die größte Überraschung? Die Umfahrung der kleinen Insel am Anfang und am Ende der Tour.

„Außerhalb der Corona-Pandemie reichen wir auch ein Gläschen Wein – natürlich heimischen“, erklären die Stocherer, die die traditionelle Bekleidung der Flößer tragen: Einen Hut mit breiter Krempe sowie eine geknöpfte Weste, alles authentisch in Schwarz.

Info Die 1,5-stündige Fahrt entlang des alten Mühlkanals kann online gebucht werden. Die Kosten pro Kahn mit maximal zwölf Personen betragen 100, Einzelbuchungen zehn Euro. Treffpunkt ist das kleine Podest, einige Meter neben dem großen Podest am Pulverturm.

www.vaihingen.de

 
 
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