Der Brauch, die Nachgeburt in Töpfen und Gefäßen rituell zu bestatten, ist ein „Urbrauch“. Er verbindet die Menschheit rund um den Globus miteinander, weil er in vielen Ländern gepflegt wurde und teils bis heute noch gepflegt wird. Das ist die Essenz aus einem Symposium zum Thema Nachgeburtsbestattung, das Kurt Sartorius, Fachmann auf diesem Gebiet und Leiter des Schwäbischen Schnapsmuseums in Bönnigheim, ins Leben gerufen hatte.
Experten treffen sich in Bönnigheim Kleiner Topf, großer Brauch
Nach 40 Jahren Forschung: Die Fachwelt traf sich in den Hohenstein-Instituten zum Thema „Nachgeburtsbestattung in Süddeutschland“.
Erstaunliche Ähnlichkeiten
Im „Hörsaal“ der Hohenstein-Institute hielten am Wochenende Experten aus verschiedenen Ländern Referate zum Thema Nachgeburtsbestattung. Sartorius hatte mit diesem zweiten Kolloquium nach 40 Jahren Forschung über das Thema die Fachwelt nach Bönnigheim-Hohenstein geholt, um gemeinsam mit ihnen Rätselhaftes und Geheimnisvolles, das sich um den Ritus der Plazenta-Bestattung rankt, anzusprechen und ans Licht zu bringen.
Beim zweitägigen Treffen in Hohenstein befasste sich die Fachwelt damit, wie verbreitet der Brauch weltweit war. „Das Erstaunliche ist, dass es eine verblüffende Ähnlichkeit gibt zwischen Funden aus Korea, Japan, Russland und Amerika: Man vermutete in der Plazenta ein geistiges Wesen, das eine Verbindung zum Kind hatte“, erklärte Kurt Sartorius.
Schon im alten Ägypten
All diese Kulturen haben eigentlich nichts miteinander zu tun und trotzdem verbindet sie dieser Brauch. Der Vortrag über die Verbreitung des Brauches im alten Ägypten brachte eine kleine Sensation. In Ägypten wird der Brauch bereits vor 5300 Jahren erwähnt und bildlich dargestellt, wie die Plazenta des Pharaos verehrt wurde. Es gibt ein Dokument, aus dem hervorgeht, dass die Plazenta zusammen mit dem Pharao vergraben wurde, damit es ihm im Jenseits gut geht.
Die Konzentration von Funden in Süddeutschland und in angrenzenden Ländern nahm großen Raum ein. Dr. Birgit Kulessa sprach über sozialtopografische Aspekte in Kirchheim/Teck. Sie stellte die Konzentration an Funden in einen sozialen Kontext und kam zur Annahme, dass die Wohlhabenden eher dazu neigten als der einfache Bauer.
Auch im Talmud erwähnt
Zurzeit wird diskutiert, ob dieser Brauch gezielt in evangelischen Gegenden vorkam. Es gibt eine Konzentration an Fundstellen im evangelischen Württemberg. Sartorius geht davon aus, dass das damit zusammenhängt, dass die Forschung hier ihren Anfang nahm. Dadurch hätten immer mehr Menschen davon Wind bekommen und mitgesucht. Er selbst gehört zu den Pionieren in der Forschung. „Woanders war das nicht bekannt und deshalb wurde noch nicht gesucht, bis heute“, erklärte er.
Eines der Referate drehte sich um die Nachgeburtsbestattungen in Brandenburg und in Berlin. Auch die jüdische Tradition wurde vorgestellt, mit einer neuen Erkenntnis: Im Talmud, 800 nach Christus, wurde dies bereits erwähnt. Danach sollte die Plazenta mit kostbarem Öl eingerieben werden und in wertvolle Stoffe gehüllt und dann der Erde übergeben werden.
Cornelia Henning hat ein Heilmittel aus Plazentas hergestellt und berichtete, wie sie das macht, wie es verabreichet wird und wie es wirkt. Die Globuli mit Stoffen aus der eigenen Plazenta sollen das Kind weiterhin mit wertvollen Nährstoffen auch nach seiner Geburt versorgen und damit sein Immunsystem stärken. Weiter sollen sie dafür sorgen, dass bei der Mutter die Milch besser fließt
Sartorius hat den Begriff der Nachgeburtsbeestattung geprägt. Man hat die Plazentas also nicht einfach in einen Topf gelegt und vergraben. Riten und Bräuche gehörten dazu wie bei einer Bestattung – deshalb entschieden die Wissenschaftler, dass es eine ist.
Sartorius glaubt nicht, dass diese Bestattungen religiösen Ursprungs sind, obwohl auch zwei Funde in evangelischen Pfarrhäusern gemacht wurden. Selbst in Pfarrerkreisen war dieser wohl heidnische Brauch zuhause.
Funde aus ganz Deutschland
„Als wir 1984 die ersten Töpfe aus Bönnigheimer Kellern mit dem Brauch der Nachgeburtsbestattung in Verbindung brachten, schmunzelten manche“, erzählt Sartorius. Inzwischen liegen Funde aus ganz Deutschland vor. Deshalb hatte Sartorius 40 Jahre nach den ersten Funden dieses Symposium auf die Beine gestellt. Fazit: In 40 Jahren hat die Forschung kräftig zugelegt.