Flüchtlinge im Landkreis Corona erschwert die Integration

Von Frank Ruppert
Sprachkurse für Flüchtlinge sind in Corona-Zeiten schwierig zu bewerkstelligen.⇥ Foto: dpa

Viele Deutschkurse und Praktika fallen derzeit weg.  Ehrenamtliche im Kreis sehen deshalb die Gefahr langfristiger Schäden.

Die Situation ist verheerend.“ Uwe Niehues, Vorsitzender des Sachsenheimer Arbeitskreises Asyl, sieht die aktuelle Lage in der Flüchtlingsbetreuung sehr negativ. „Die meisten meiner Mitstreiter gehören zur Risikogruppe. Deshalb findet derzeit eigentlich kein Betreuungsangebot statt“, so Niehues weiter. Die Corona-Krise bedrohe die weitere Integration. Über 100 geflüchtete Menschen in Sachsenheim haben seit Beginn der Pandemie keine von den Ehrenamtlichen organisierten Veranstaltungen mehr.

„Deutschkurse können wir leider nicht im Frontalunterricht und mit Maske anbieten. Da braucht jeder Teilnehmer eine individuelle Betreuung, und wir müssen uns neben die Flüchtlinge setzen und ihnen Sachen erklären. Das geht derzeit einfach nicht“, sagt der pensionierte Lehrer. Auch die im Berliner Integrationsgipfel besprochene Möglichkeit, mehr Angebote für Flüchtlinge über digitale Medien anzubieten, hat man in Sachsenheim schon angedacht. „Aber auf meinen Aufruf gab es wenig Rückmeldungen“, sagt Niehues. Die ältere Generation sei eben im Schnitt doch weniger technikaffin als jüngere Menschen.

Es fehlt an jungen Unterstützern

An genau diesen mangelt es aber in der Flüchtlingshilfe, wie Niehues verrät. Eine Idee, wie man mehr junge Menschen in die Flüchtlingsarbeit einbinden könnte, hat der Sachsenheimer auch. „Ich finde, dass die Schulen in der Pflicht sind“, sagt er. Jugendliche sollten schwächere Mitschüler, auch deutsche, etwa bei den Hausaufgaben oder anderen Fragen unterstützen. Das müsse von den Schulen ausgehen, so Niehues. Er wisse, dass Corona die Lehrer gerade sehr beanspruche, und deshalb solle die Hilfe auch nicht ihnen aufgebürdet werden. Bei den Schulen als Institution, die einen Rahmen für die gegenseitige Unterstützung der Schüler bieten sollen, lässt Niehues ausdrücklich die Belastungen durch Corona nicht als Entschuldigung gelten.

Auch wenn derzeit die offiziellen Veranstaltungen auf Null heruntergefahren sind, erzählt Niehues, dass es im Kleinen natürlich weiter Unterstützung bei Behördengängen oder anderen Nachfragen gebe. Aber eben nur vereinzelt und auf zwischenmenschlicher Ebene.

Gerade, dass derzeit auf der zwischenmenschlichen Ebene nur noch das digitale Kommunizieren möglich ist, beschäftigt Claudia Anders vom Leitungsteam des Freundeskreises Asyl Bietigheim-Bissingen sehr. Weil die Bewohner der Unterkunft in der Geisinger Straße gerade unter Quarantäne stehen, gebe es nur Kontakt über Textnachrichten auf dem Handy, sagt sie. Wie in Sachsenheim ist auch in Bietigheim-Bissingen in der Corona-Zeit viel zum Erliegen gekommen, generell aber jetzt durch die Fälle in der Geisinger Straße erst recht.

„Das Virus unterscheidet nicht, ob man Deutscher oder Geflüchteter ist“, sagt ihre Mitstreiterin Silvia Maier-Lidle. Ähnlich wie beim Rest der Bevölkerung habe man die Sommermonate nach der ersten Welle entspannter angehen können, auch in der Flüchtlingsbetreuung sei wieder mehr möglich gewesen. Anders berichtet auch von erfolgreichen Vermittlungsversuchen, Flüchtlinge in Arbeit zu bringen, und davon, dass der Freundeskreis seit Corona immer getreu den Hygienevorschriften in der Bissinger Martin-Luther-Kirche tagen konnte.

Angst vor dem Virus

So konnte eben auch die Vermittlung weiter betrieben werden. Sieben Menschen aus der Geisinger Straße seien derzeit etwa beim Breuninger Logistikzentrum am Eichwald untergekommen. Das sei keine Selbstverständlichkeit. „Ein anderer Geflüchteter wollte ein Praktikum in einem Pflegeheim machen, aber mit der Anschrift Geisinger Straße war das dem Pflegeheim zu riskant“, erzählt Anders.

Zu sehr hätten manche Arbeitgeber Angst, sich das Virus ins Unternehmen zu holen, weil die Flüchtlinge in der Massenunterkunft zwangsweise viele Sozialkontakte haben. „Die Corona-Krise verschärft Probleme“, sagt Maier-Lidle. Mitstreiterin Steffi Gauger wird konkreter: „Wir wünschen uns, stärker einbezogen zu werden vom Landratsamt“, sagt die Pfarrerin.

Eine ihrer Forderungen, die sie schon von Beginn gehabt hätten, sei die nach W-LAN in der Unterkunft. Wenn nun im Rahmen des Berliner Integrationsgipfels gefordert werde, mehr digitale Angebote für Flüchtlinge auf den Weg zu bringen, bringe das in Bietigheim erst mal wenig, weil die Menschen überhaupt nicht die Möglichkeit hätten, ins Internet zu gehen. „Das Totschlagargument in dem Fall ist immer, dass deutsche Bürger, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, auch kein Internet erhielten. Richtig muss aber gerade in dieser Zeit sein, dass jeder diese Möglichkeit bekommt“, sagt Maier-Lidle.

Die Folgen der aktuellen Quarantäne und der Corona-Pandemie insgesamt bewerten die Ehrenamtlichen aus Bietigheim-Bissingen auch als gravierend für die Integration. Abgebrochene Sprachkurse drohen ebenso wie der Verlust der Arbeitsstelle. Einen Plan, wie man in den Flüchtlingsheimen durch die Corona-Krise kommt, vermissen sie derzeit.

 
 
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