Flüchtlings-Krise vor 5 Jahren: Massive Proteste „Das hat uns erschreckt“

Von Mathias Schmid und Frank Ruppert
Die Gemüter kochten hoch: Etwa 100 Bürger demonstrierten im Dezember 2015 gegen die Pläne zum Bau eines Asylbewerberheims im „Zimmerer Pfad“ in Sachsenheim.⇥ Foto: Pangerl Helmut

Massive Proteste gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft gipfelten in persönlichen Anfeindungen und Polizei vor der Kirche.

Vor ziemlich genau fünf Jahren hatten die Menschen im Landkreis noch ganz andere Sorgen als in Corona-Zeiten. Hauptstreitthema waren Flüchtlinge und wo man die Migranten unterbringen soll. Wie blicken die Protagonisten heute auf diese Zeit? Die BZ hat sich mit Pfarrer Dieter Hofmann und Ex-Polizeichef Frank Rebholz unterhalten.

In Sachsenheim kochten einige Gemüter besonders hoch. Im Großsachsenheimer Gebiet Zimmerer Pfad war die Kirchengemeinde drauf und dran, dem Landratsamt ein Gelände für eine Flüchtlingsunterkunft zu verpachten. Protestkundgebungen, anonyme Briefe, Beleidigungen, Drohungen, Kirchenaustritte, derbe Zwischenrufe in Gemeinderatssitzungen und Infoveranstaltungen folgten. Viele Großsachsenheimer, darunter Mitglieder einer Bürgerinitiative, verschafften ihrem Ärger Luft. Sogar vom Anzünden des Heims, würde es gebaut, war die Rede.

Polizei vor der Kirche

Gebaut wurde die Unterkunft wegen sinkender Flüchtlingszahlen nie. Pfarrer Hofmann wird die Zeit dennoch immer in Erinnerung bleiben. Denn gegen ihn und die Kirchengemeinde gab es damals massive Anfeindungen. Der Geistliche will heute, gut fünf Jahre danach, „kein Öl mehr ins Feuer gießen“, hat die Zeit aber nicht vergessen: „Ich schaue vor allem mit großer Trauer zurück. Die Situation damals hat große Gräben aufgeworfen.“ Und weiter: „Was traurig war, dass Gesprächsfäden abgerissen sind. Es haben sich Leute verabschiedet, anstatt weiter um ihren Weg zu ringen.“

Bis heute gehen Hofmann die persönlichen Anfeindungen nahe. Denn als Gesicht des Kirchengemeinderats vertrat er dessen Entscheidung nach außen. „Was mir damals Angst gemacht hat, war, als die Leute vor meinem Haus aufgetaucht sind und meine Kinder völlig verunsichert waren“, erinnert er sich. Für ihn eine klare Grenzüberschreitung.

Der Tiefpunkt wurde dann an Heiligabend 2015 erreicht: Weil für die Zeit des Gottesdienstes ein weiterer Protest vor der Kirche angekündigt war, schaltete sich die Polizei ein und postierte sich vor der Kirche. Letztendlich sei es zwar keine allzu große Protest-Gruppe gewesen. „Aber es war schon ein Symbol, das uns erschreckt hat“, erinnert sich Hofmann. Von der Demonstration selbst habe man in der Kirche nicht viel mitbekommen. „Ein ungutes Gefühl war aber schon da. Aber da habe ich auch Vertrauen: Beim Gottesdienst fühle ich mich geborgen. Für mich war wichtig, den Menschen in der Kirche Trost zu geben.“

Mit viel Präsenz gegen die Angst

Das Thema Flüchtlingsunterbringung hielt damals auch die Polizei in Atem. Die Beamten suchten das Gespräch – nicht immer mit Erfolg. „Die Stimmung war seit der Silvesternacht in Köln 2015 auf 2016 am Kippen“, erinnert sich der mittlerweile pensionierte Polizeichef Frank Rebholz. In Köln kam es damals zu Übergriffen von männlichen Flüchtlingen auf Frauen.

Ab diesem Zeitpunkt hatten die Menschen verstärkt Angst, Opfer gewalttätiger Flüchtlinge zu werden. Was die Polizei dagegen unternommen hat? „Wir haben auf Prävention und Information gesetzt“, sagt Rebholz heute. Jede größere Unterkunft habe einen festen Ansprechpartner beim örtlichen Revier gehabt. Zudem habe man etwa wie in Ludwigsburg im Januar 2016 eine große Infoveranstaltung für die Bürger zum Thema Flüchtlinge gemacht.

Ständiger Austausch

„Wir von der Polizei standen im ständigen Austausch mit Landratsamt und Kommunen“, sagt der frühere Präsident des Polizeipräsidiums Ludwigsburg. Manchmal habe er noch nach 22 Uhr mit Bürgermeistern telefoniert in dieser Zeit. Das Konzept Prävention, das unter anderem auch beinhaltete, in die Unterkünfte zu gehen und zu zeigen, dass die Polizei auch für die Flüchtlinge da ist, habe sich rückblickend ausgezahlt. „Wir wussten immer relativ schnell, was in den Unterkünften vor sich geht.“ Schlimme Straftaten? Hauptsächlich waren es Körperverletzungen untereinander oder Falschfahren, sagt Rebholz.

Info: Die kompletten Gespräche mit Hofmann und Rebholz lesen Sie in der Ausgabe der Bietigheimer Zeitung vom 22. Januar.
 
 
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