Freiberg/Bietigheim-Bissingen Beste Partystimmung ohne Barrieren

Von Bigna Fink
Die Menschen tanzen ausgelassen bei buntem Discolicht in der Freiberger Disco Palazzo. Foto: /Oliver Bürkle

Über 200 Menschen mit Handicap feiern bei einem Disco-Nachmittag im Freiberger Palazzo das Leben – dank der Initiative von zwei Bietigheimern und mit viel Unterstützung des Clubs.

Es ist kurz nach 13 Uhr am frühlingshaften Donnerstag, und in der Disco Palazzo in Freiberg tobt die Halle. Die Party hat soeben begonnen, und die Tanzfläche ist schon voll mit gut gelaunten Club-Besuchern, die zu Beats von Partyliedern wie „Macarena“ oder „Weine nicht, wenn der Regen fällt“ ihre Hüften schwingen, sich umarmen und mitsingen.

Nachdem im Juli 2024 der erste Ausflug mit über 200 Menschen mit Behinderung in die Traditions-Disco laut Veranstalter sehr gut ankam, fand das Event nun zum zweiten Mal statt. Menschen, die eine körperliche und/oder geistige Beeinträchtigung haben, fällt es meist schwer, eine reguläre Disco zu besuchen und sie unbeschwert zu genießen. „Weil sie einen Rollstuhl haben, auf Betreuer angewiesen sind oder sich einfach nicht trauen“, weiß Mitorganisator Sven Koch von den Theo-Lorch-Werkstätten, hätten die meisten der Club-Besucher noch nie zuvor eine Disco besucht.

Wie Musik Positives bewirkt

Der Oberbürgermeister von Bietigheim-Bissingen, Jürgen Kessing, ist Schirmherr der Benefiz-Aktion, steht hinter dem DJ und Mitorganisator Manfred Mauermann und schaut begeistert in die Menge: „Man sieht, was Musik Positives bewirken kann.“

Silvia Schmidt ist mit dem Rollator da und schaut von einer Sitzecke auf die Tanzenden: „Ich finde es hier gut, das ist richtige Partymusik“, sagt die 58-Jährige aus Bietigheim. Es sei schon lange her, seit sie in einem Club war. Die Lautstärke sei ihr egal, sagt sie lachend, „da muss man durch.“ Nachher werde sie auch tanzen, nimmt sie sich vor.

Sie ist wie die meisten anderen heutigen Discobesucher mit dem Bus gekommen. „Es gab sechs Reisebusse, eigene Autos und Fahrdienste für Rollstuhlfahrer“, erzählt Sven Koch, der Leiter des Fachbereichs Teilhabearbeit der Theo-Lorch-Werkstätten. Auf rund 3000 Euro belaufen sich die Anfahrtskosten, erzählt Koch, die das Unternehmen hauptsächlich aus dem Topf für Feste und Gemeinschaftsveranstaltungen finanziert.

An vier Standorten im Kreis Ludwigsburg unterhält die gemeinnützige GmbH Werkstätten mit Arbeitsplätzen für rund 1000 Menschen mit Behinderung. Nachdem im vergangenen Jahr Menschen aus dem Bottwartal und Ludwigsburg an dem Disco-Nachmittag teilgenommen hatten, kamen nun Mitarbeiter aus den Bietigheimer und Bönnigheimer Werkstätten und der Ludwigsburger Reha-Werkstatt in den Genuss dieses ausgelassenen Ausflugs. „Das war letztes Mal ein riesengroßer Erfolg“, schwärmt Koch, „wir haben uns gesagt: Das müssen wir wiederholen.“

Sven Koch, der Sozialpädagoge am Standort Bietigheim ist, und der Bietigheimer Tanzlehrer Manfred Mauermann sind seit längerem beste Freunde. Als sie einmal im Palazzo abends feierten, kam die Idee auf: Koch meinte zu Mauermann, nicht ganz ernst gemeint, er bringe mal seine Leute von den Werkstätten hier her zum Feiern. „Positiv verrückt, wie Manfred ist, meinte der: Ja, machen wir“, erzählt Koch.

Manfred Mauermann mit regelmäßigen Tanzkursen im Palazzo ist wiederum gut mit Ekkehard Menninger befreundet, dem Chef des Clubs. Der war ebenfalls sofort dabei, die Idee in die Tat umzusetzen, hatte schon mal für Gehörlose ein Disco-Event organisiert. Er machte aus der Kooperation eine Benefiz-Aktion. Sämtliche Diskothekskosten wie die alkoholfreien Getränke, Personal, GEMA und Strom gehen auf das Haus Palazzo. „Die Stimmung hier ist fast noch besser als abends“, findet Menninger, und erwähnt, mit dem Palazzo den – bezogen auf den Namen und langjährigsten Geschäftsführer – ältesten Club Deutschlands zu betreiben.

Neue Behindertentoilette im Club

Ganz neu ist eine Behindertentoilette in der Disco fertig geworden, erzählt der 68-Jährige, der seit 1977 die Disco führt.

Manfred Mauermann, tanzend am DJ-Pult, hat ebenfalls sichtlich Spaß an dem Nachmittag, heizt die Menge mit weiteren Tanzhits wie „Party Mix 1“ von Pur oder „Simarik (Kiss Kiss)“ von Tarkan ein. Beim Refrain „Kiss Kiss“ schicken die Tanzenden fröhlich Küsschen in die Luft. Eine Mitarbeiterin an der Theke schwärmt: „Ich hab noch nie so viele fröhliche Menschen auf einem Fleck gesehen.“ Später erzählt Koch, dass sich einige auch zuvor etwas Sorgen gemacht hätten, über die Hin- und Rückfahrt der vielen Leute und weil manche der Menschen eher ein ruhiges Setting benötigten. „Man merkte nach zwei Stunden, dass es genug war für die Menschen. Aber es lief wirklich alles problemlos“, so Koch. Da der Disco-Nachmittag allen so großen Spaß macht, soll er laut Veranstalter nun regelmäßig zweimal im Jahr stattfinden.

 
 
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