Seit September 2023 absolviert Bianca Schmid ihr Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Pädagogisch-Kulturellen Centrum Ehemalige Synagoge Freudental (PKC). Ihre FSJ-Zeit endet Ende August, doch zuvor galt es, ein Jahresprojekt abzuschließen. Unter dem Titel „Faden-GE-spinne“ hat sie zusammen mit Zehntklässler der PKC-Partnerschule Ottmar-Mergenthaler-Realschule (OMRS) aus Vaihingen-Kleinglattbach versucht, Familienstammbäume durch abstrakte Kunst zu verdeutlichen und dabei intensive Kontaktpunkte zur jüdischen Religion zu setzen – unter anderem die Ausrichtung der Gräber nach Jerusalem, jüdische Riten und Gebete oder hebräische Schrift. Die Idee zum Projekt kam Schmid, weil bei den bisherigen Führungen auf dem alten jüdischen Friedhof in Freudental nur jeweils zwei bis drei der 436 Gräber vorgestellt wurden.
Freudental Familienbande visuell verknüpft
In ihrem eigenständigen Jahresprojekt im PKC „Faden-GE-spinne“ verdeutlicht FSJ’lerin Bianca Schmid zusammen mit Schülergruppen Familienstammbäume auf dem alten jüdischen Friedhof.
Die FSJ’lerin hat sich mit ihrem Projekt beim Jugendbildungspreis „Dein Ding 2024“ des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg gemeinsam mit der Jugendstiftung Baden-Württemberg beworben. Ihr Projekt wurde unter die besten 15 aus 100 Einsendungen gewählt.
„Wir freuen uns über diesen neuen und künstlerischen Zugang zu einem schwierigen Thema, der bei den beteiligten Jugendlichen wirklich gut ankam“, sagt Michael Volz, Leiter für Pädagogik und Kultur im PKC. Nach seiner Einschätzung ist dieses Projekt sehr wichtig für die pädagogische Arbeit: Einerseits würden Jugendliche dadurch intensiver in den Ablauf der Führungen eingebunden und bekämen einen emotionalen Zugang zu den Personen, die auf dem jüdischen Friedhof liegen, andererseits biete es weitere inhaltliche Anknüpfungspunkte. „Wir haben noch viele Ideen zu weiteren besonderen Geschichten hinter den Grabsteinen und auch noch Vieles zu erforschen“, erklärt Volz.
Die inhaltliche und künstlerische Umsetzung wurde zum ersten Mal mit der 10b der OMRS am 23. Februar realisiert. Dabei waren 22 Schüler beteiligt, die zwischen 15 und 16 Jahre alt sind, erklärt Schmid. Mit Infokarten über die einzelnen jüdischen Personen und deren Geschichten haben sich die Jugendlichen in der ehemaligen Synagoge auf den Friedhofsbesuch vorbereitet und sollten dabei verstehen, wie der Synagogendiener Sigmund Lasar mit dem ersten jüdischen Freudentaler Landwirt Moritz Hermann verwandt ist. „Dies ist nur möglich, weil die Gräber auf dem jüdischen Friedhof für die Ewigkeit sind und man somit mehrere Generationen zurückgehen kann – wenn der Friedhof nicht geschändet wird“, berichtet Schmid.
Eine Herausforderung sei es gewesen, überhaupt die erste Gruppe zu finden für das Projekt, dann habe man über die PKC-Kooperationsschulen eine Klasse der OMRS gefunden, „die das erste Mal die Fäden mit uns spann und auch noch eine Drohne für besonders gute Aufnahmen von oben mitbrachte“. Seither waren schon mehr als 20 Gruppen mit auf dem Friedhof, die dieses Projekt durchgeführt haben. „Das Flatterband ist auch nicht so das geschickteste Material, da es sich manchmal verknotet und so die Wiederverwendung etwas komplizierter ist“, merkt FSJ’lerin Schmid an.
Quellen des PKC und des Rathaus-Archivs
Die Grundlagen kamen vor allem aus den Adressbüchern von Steffen Pross, die über die Menschen in der NS-Zeit berichten. „Dort habe ich eine Familie rausgesucht, die durch die Nazis ermordet wurde und somit kein Grab in Freudental hat“, erzählt Schmid. Dadurch konnte sie den Schülern zeigen, dass diese Menschen eigentlich auch hier begraben werden sollten. Weitere Quellen waren das großes Friedhofsbuch sowie die jüdischen Familienbücher aus dem Rathaus-Archiv. Dadurch konnten genaue Informationen über die Personen sowie die Texte auf den einzelnen Grabsteinen weitergegeben werden.
Wie konnte aber das Interesse der Jugendlichen an diesem Thema geweckt werden? „Ich glaube, es hat schon viel geholfen, dass es nicht so eine normale Führung war, sondern dass die Jugendlichen mitmachen und interagieren durften. Auch dass wir das Thema mit abstrakter Kunst verbunden haben, hat meines Erachtens schon dazu beigetragen, erste Berührungsängste abzubauen“, erklärt Schmid.
Vielfalt, lange Geschichte und Traditionen
In ihrem Jahresprojekt „Faden-GE-spinne“ konnte Schmid auch einen Teil ihrer Intension für ein Freiwilliges Soziales Jahr im PKC umsetzen. „Durch einen Seminarkurs an der Schule kam ich mit dem Thema näher in Kontakt. Und die Art und Weise, wie das Thema dauerhaft in den Schulen vermittelt wurde, hat mich gestört, da die Juden immer nur als Opfer des Nationalsozialismus dargestellt wurden. Gleichzeitig wurde nie auf die eigentliche Vielfalt und längere Geschichte sowie Traditionen oder Ähnliches eingegangen“, berichtet die FSJ’lerin. Das habe sie ziemlich schade gefunden, und es habe ihr am PKC so gut gefallen, dass der Fokus bei der Vermittlungsarbeit nicht auf der Vernichtung jüdischen Lebens in Freudental liegt, sondern auf dem jüdischen Leben, auf den Menschen und auch auf der Zeit vor dem Nationalsozialismus.