Freudental Geschichte hautnah erleben

Von Gabriele Szczegulski
Michael Volz, Leiter des PKC, zeigt als Synagogendiener Siegmund Lasar mithilfe von mitspielenden Besuchern die Traditionen auf einer jüdischen Hochzeit Foto: /Martin Kalb

Der Leiter des Pädagogisch-Kulturellen Centrums Ehemalige Synagoge (PKC), Michael Volz, führt durch das Freudental von 1934.

Es ist der 16. April 1934 – ein sonniger Frühlingstag in Freudental. Der Schammes, Sigmund Lasar, ist in der aktuellen Ausgabe des Israelitischen Wochenblatts erwähnt: Er feiert an diesem Tag sein 25-jähriges Dienstjubiläum. Dennoch: Richtig gefeiert werden muss später, denn Dienst ist Dienst.

Wie ein Arbeitstag des „letzten Schammes von Freudental“ aussah, demonstrierte der Leiter für Pädagogik und Kultur des  Pädagogisch-Kulturellen Centrums Ehemalige Synagoge (PKC) in Freudental, Michael Volz, am vergangenen Sonntag mit einem Theaterspaziergang über zwölf Stationen von der ehemaligen Synagoge, die in diesem Jahr 300 Jahre alt wird, bis zum jüdischen Friedhof. Hautnah erlebten die 75 Teilnehmer der historischen Führung nicht nur den Alltag des Schammes, der sich neben seinem Synagogendienst mit Gelegenheitsarbeiten und Mittagessenseinladungen bei Freudentaler Bürgern über Wasser hält, sondern auch das jüdische Leben, wie es sich in Freudental abspielte und nebenbei erfuhr man viel über das Judentum.

Mit der historischen Figur des Sigmund Lasar, 1876 geboren und von den Nazis im Konzentrationslager ermordet, schaffte es Volz, eine Atmosphäre herzustellen, die die Teilnehmer der Führung in die Welt der Freudentaler Juden eintauchen lässt. Beginnend mit dem Dienst des Schammes in der Synagoge, der Präsentation der wichtigsten Dinge im Gotteshaus wie Menora oder Thora-Schrein, wird das religiöse Leben gestreift.

Lehrer warnt die Freudentaler Juden und rettet Kinder

50 Juden zählte die jüdische Gemeinde in Freudental nur noch im Jahr 1934. Noch, so scheint es, ist das Leben einigermaßen normal, aber die Nazi-Schrecken werfen ihre Schatten voraus. Die Freudentaler Juden sind gewarnt, weil sie einen klugen, politisch interessierten Lehrer, Simon Meisner, hatten. Er war der letzte jüdische Lehrer in Freudental und starb 1994 in Antwerpen.

Volz als Lasar erzählt vor der ehemaligen Judenschule, dass Meisner seinen Schülern Englisch lehrte, als Vorbereitung für die Flucht vor dem Nationalsozialismus. Ab 1935 wird der Unterricht von jüdischen Schülern nicht mehr in der öffentlichen Schule im Rathaus abgehalten, sondern im Rabbinatsgebäude. Die nicht-jüdischen Kinder wurden vom Freudentaler Lehrer Bauer unterrichtet, der extrem rassistische Parolen verbreitete und mehrmals seine Schüler zum Schänden von jüdischen Grabmalen animierte.

Meisner hingegen appellierte an die Freudentaler Juden, zu fliehen und organisierte für viele jüdische Kinder die Flucht ins Ausland. Er organisierte unter anderem Schmuggler, damit die Freudentaler Juden nach Belgien fliehen konnte.

1862 bestand das Dorf zur Hälfte aus Juden

Weitere Stationen des Gangs durchs Dorf sind eine jüdische Hochzeit. Und natürlich der Schlossvorplatz, denn schließlich war es die hier lebende Gräfin von Grävenitz, die 1731 24 jüdische Familien ansiedeln ließ. Die höchste Zahl jüdischer Bewohner wurde im Jahr 1862 mit 377 Personen erreicht, nahezu die Hälfte der Ortsbewohner. Als Händler nahmen sie eine wichtige Stellung im dörflichen Leben ein. Es entwickelte sich eine vielfältige jüdische Kultur im Dorf.

Am ehemaligen jüdischen Frauenbad erklärt Volz weitere religiöse Riten, an der nächsten Station auch das Schächten – sehr anschaulich am Plüsch-Huhn. Volz Vortragsweise – unaufgeregt, gut verständlich – ist es zu verdanken, dass der anderthalbstündige Gang durchs Dorf und zum entfernt liegenden jüdischen Friedhof ein nachdenkliches, aber kurzweiliges Vergnügen wird. Nie wird Volz pathetisch, immer nimmt er die Menschen mit. Auch wenn es um das schwärzeste Kapitel, auch in Freudental geht, als Nachbarn und Freunde zu Feinden und Denunzianten werden, bleibt Volz als Lasar der ruhige Beobachter. „Plötzlich waren die Juden unerwünscht, vor allem die Kinder konnten das nicht begreifen.“

Dramaturgischer Kniff des Theaterspaziergangs ist ein Stuhl, den Lasar von Ort zu Ort trägt, weil er ihn loswerden will, aber niemand will ihn haben. Zudem schafft Volz es, Teilnehmer als jüdische Bevölkerung zu verpflichten, ohne dass Scheu oder Verschämtheit entstehen. Im Gegenteil, er schafft es so, dass jeder Teilnehmer in die Geschichten eintaucht.

 
 
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