Fußball auf Bezirksebene Pilotprojekt in zwei Bezirken: Spielunterbrechung als Strafe

Von Michael Nachreiner
Noch bevor sich zwei Spieler wie hier im Drittligaspiel zwischen dem FC Erzgebirge Aue und dem Hallescher FC gegenseitig an den Kragen gehen, soll die Aggressionsspirale auf dem Sportplatz durch neue Strafen unterbrochen werden. Foto: Imago/Eibner-Pressefoto/Bert Harzer

Den Schiedsrichtern in Donau/Iller und Riß wird ein neues Tool an die Hand gegeben, um Gemüter auf dem Sportplatz zu beruhigen.

Aggressionen bauen sich auf dem Platz auf.“ Uwe Hamel, selbst Schiedsrichter und Beisitzer im Verbandsschiedsrichterausschuss des Württembergischen Fußball-Verbands (WFV), hat es selbst schon erlebt: Situationen, die zum Spielabbruch führen, sind in der Regel keine spontanen Gewaltausbrüche, sondern haben sich über die Partie hinweg angekündigt. Aggressionen haben sich hoch geschaukelt.

Um den Unparteiischen in Zukunft ein weiteres Mittel an die Hand zu geben, diese Aggressionsspirale frühzeitig zu unterbrechen, startet der WFV in der Rückrunde in den Bezirken Donau/Iller und Riß das Pilotprojekt „Konzept Stopp“. Zu den persönlichen Strafen, die Schiedsrichter gegen Spieler, Trainer und Betreuer aussprechen können, haben sie nun noch die Möglichkeit, zweimal pro Spiel die Partie für fünf Minuten zu unterbrechen. Die verlorene Zeit wird nachgespielt. Als Ultima Ratio, sollten sich die Gemüter nicht beruhigen, folgt dann der Spielabbruch.

Räumliche Trennung der Teams

Angezeigt werden diese Auszeiten jeweils durch einen Pfiff und das Zu-sich-Rufen der beiden Spielführer und Trainer im Anstoßkreis. „Das sind schon mal fünf Personen, die besprechen, was Sache ist. Ich gehe davon aus, dass sich bereits hier Vernunft einstellt“, ist Hamel überzeugt. Darauf sollen sich die Mannschaften in der Nähe ihres jeweiligen Strafraums separieren, wodurch man Zeit gewinnt, auf Streithähne und Unruhestifter beruhigend einzuwirken. „Wir wollen diese Aggressionsdynamik brechen. Deshalb wollten wir den handelnden Personen Zeit zur Beruhigung von Personen geben“, erklärt Hamel. „Wir wollen proaktiv und präventiv eingreifen.“

Mit Nachdruck verweist der Beisitzer des Verbandsschiedsrichterausschusses darauf, dass „alle am Spiel Beteiligten, die Teams, die Teamoffiziellen, aber auch die Zuschauer“, mit dieser Maßnahme zur Räson gerufen werden sollen. „Das wesentliche Element des Projekts ist: Es müssen alle informiert sein – auch die Zuschauer. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn Leute nicht wissen, was gerade auf dem Platz vor sich geht“, berichtet Hamel.

Für Ingo Ernst, den Vorsitzenden des Fußballbezirks Enz/Murr, ist diese Maßnahme sogar explizit darauf gerichtet, als Unparteiischer ein Tool gegen Zuschauer in der Hand zu haben. Gegen Spieler hätte er ja die Disziplinargewalt. „Es ist ein Instrument, um sich gegen den größten Einflussfaktor auf dem Spielfeld zu wehren – die Zuschauer“, sagt der Oßweiler. „Denn mit dem Bezahlen des Eintrittsgelds meinen einige wohl, sie könnten ihr Benehmen und ihre Kinderstube ablegen. Dieses Projekt gibt dem Schiedsrichter die Möglichkeit, Signale zu senden, wenn es zu viel wird.“

Eher kritisch schätzt Siegfried Blum das Projekt ein. „Ich sehe kaum großen Gewinn. Mir fällt es schwer zu glauben, dass man mit einem Pfiff die Aggressionen herunterfahren kann“, erklärt der Trainer des A-Ligisten SGM Sachsenheim. „Auch schon jetzt gilt: Ich sollte meinen Kopf einschalten. Und die Spielführer gehen ja jetzt schon auf ihre Mitspieler zu, wenn die sich nicht im Griff haben und erklären denen, dass sie sich raffen sollen.“

Einführung zur neuen Saison?

Einen positiven Aspekt sieht aber auch der Kleinglattbacher. „Mit dem neuen Konzept habe ich als Trainer mehr Zeit und damit länger die Möglichkeit, auf mein ganzes Team einzuwirken“, berichtet Blum. In 25 Jahren als Trainer sei ihm allerdings noch nie eine solche Situation vorgekommen, die potenziell zum Spielabbruch geführt hat. „Ich bin aber offen, wenn es verbandsweit eingeführt wird“, sagt der Sachsenheimer Übungsleiter.

Den Ergebnissen aus dem Pilotprojekt fiebert auch der Bezirksvorsitzende Ernst entgegen. „Ich glaube, es ist eine gute Geschichte“, sagt er. Sollte das Projekt erfolgreich verlaufen, strebt der WFV die flächendeckende Einführung zur neuen Saison ein. „Eine Aggressionsspitze tritt immer im Herbst auf – das wissen wir aus der Arbeit zur Gewalterforschung und Gewaltprävention. Und diese Spitze wollen wir erwischen“, berichtet Hamel.

Städtischer und ländlicher Bezirk

Für das Pilotprojekt„Konzept Stopp“ wurden explizit die beiden Fußballbezirke Donau/Iller und Riß ausgewählt. „Beides sind keine Hotspots in Württemberg, was Aggressionen angeht. Wir wollten zwei Bezirke, die ländlich und städtisch geprägt sind. Das haben wir in Donau/Iller mit der Großstadt Ulm, wohingegen Riß ein klassischer Flächenbezirk ist“, berichtet Uwe Hamel, Beisitzer des WFV-Verbandsschiedsrichterausschusses. Außerdem war Voraussetzung, dass die ausgewählten Bezirke aneinandergrenzen, um nicht verbandsweit Schiedsrichter schulen zu müssen. „Durch den Austausch von Unparteiischen sind schon jetzt zwölf statt der vier Schiedsrichtergruppen beteiligt, die es in den beiden Bezirken gibt“, erklärt Hamel.

 
 
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