Fußball-EM in Deutschland Kehl-Gomez fiebert mit den Eidgenossen

Von Michael Nachreiner
Marco Kehl-Gomez (rechts) ist nicht nur der emotionale Anführer beim Regionalligisten SGV Freiberg. Der Schweizer bildete mit Ruben Reisig im defensiven Mittelfeld ein kongeniales Duo. Foto: Ralf Poller/Avanti

Dem Kapitän des SGV Freiberg, Sohn eines Schweizer Vaters und einer spanischen Mutter, ist sein Geburtsland näher, obwohl er beide Pässe hat.

Marco Kehl-Gomez verkörpert Multinationalität wie kaum ein anderer. Der 32-jährige Mannschaftskapitän des Fußball-Regionalligisten SGV Freiberg wurde in der Schweiz als Sohn eines Schweizers und einer Spanierin geboren – und besitzt beide Staatsbürgerschaften. Seit mehr als zehn Jahren lebt und arbeitet der gelernte Verteidiger als Fußball-Profi allerdings schon in Deutschland. „Ich habe als Kind beide Komponenten aufgegriffen – mein Vater ist eher der ruhigere Part, meine Mutter ist aufgrund ihres südländischen Temperaments etwas emotionaler. Das hat mir im Leben als auch auf dem Platz geholfen“, berichtet Kehl-Gomez. „Und da ich sowohl den schweizerischen als auch den spanischen Pass besitze, identifiziere ich mich als beides – Schweizer und Spanier.“

Schweiz näher als Spanien

Die beiden Herzen, die in seiner Brust schlagen, werden aber zu einem während der Europameisterschaft, die am Freitag mit dem Eröffnungsspiel zwischen Deutschland sowie Schottland beginnt und am 14. Juli mit dem Finale endet. Der 32-Jährige, der mit seiner Familie in Hardthausen am Kocher lebt, drückt der Schweiz die Daumen. „Spanien hat so viele Erfolge gefeiert, aber ist für mich etwas weiter weg. Da ich in der Schweiz aufgewachsen bin und dort bis zu meinen ersten Jahren bei den Aktiven Fußball gespielt habe, kenne ich einige Schweizer Nationalspieler persönlich“, erzählt Kehl-Gomez. „Mit Steven Zuber bin ich immer noch eng befreundet, wir sehen uns, wenn wir zeitgleich in Zürich sind. Mit ihm und Remo Freuler habe ich bei Grashopper Zürich gespielt. Gegen Gregor Kobel habe ich schon gespielt, als er bei der TSG 1899 Hoffenheim II war und ich bei der SV Elversberg und beim 1. FC Saarbrücken. Und mein Schwager ist Ricardo Rodriguez.“

Nicht nur aus der emotionalen Verbundenheit traut Kehl-Gomez den Eidgenossen „viel“ zu. „Die Gruppe müssen sie auf jeden Fall überstehen, auch wenn sie eklig ist. Die Ungarn sind gut aufgestellt. Und die Schotten werden ihr Leben geben, kommen über die Mentalität. Deutschland wird, wenn alles normal läuft, Erster. Aber die Schweizer sehe ich direkt dahinter“, erzählt der Freiberger Mannschaftskapitän. „Sie können alle ärgern. Deshalb sage ich: Viertelfinale.“

Eidgenossen mit viel Qualität

Seine Zuversicht beruht vor allem auf der individuellen Klasse der Spieler. „Wir haben zwar gerade ein Problem im Sturmzentrum. Wir haben keine klare Neun. Aber das Coole am modernen Fußball ist: Man braucht sie nicht mehr unbedingt“, erklärt Kehl-Gomez. „Technisch, im Spielaufbau und beim gepflegten Fußball ist die Schweiz aber ganz vorne mit dabei.“ Alles steht und fällt seiner Meinung nach aber mit Granit Xhaka von Bayer Leverkusen. „Er wird eine Riesenrolle spielen. Wenn er so funktioniert wie in Leverkusen, werden die anderen ihm folgen.“

Aber auch die Spanier sieht der 32-Jährige weit vorne. „Sie sind nicht Favorit, das sind vor allem die Franzosen, aber auch die Engländer. Aber die Spanier gehören zu den Top fünf, haben den Umbruch gut hinbekommen und haben zum richtigen Zeitpunkt viel verändert“, berichtet Kehl-Gomez. „Deutschland einzuschätzen, ist schwierig. Wichtig wird sein, gut zu spielen, eine Euphorie zu entfachen und diese dann mitzunehmen. Denn noch steht das Land nicht zu 100 Prozent hinter der Nationalmannschaft. Aber wenn sie wie 2006 beim Sommermärchen alles in die Waagschale wirft, könnte das nach den ersten Spielen wieder eintreten. Das Viertelfinale sollte als Minimum drin sein.“

Tickets für EM-Spiele hat er aber nicht. „Ich hatte die Möglichkeit, mir das Spiel zwischen Spanien und Italien anzuschauen. Doch an dem Tag haben wir in Freiberg zwei Mal Training. Dann abends nach Gelsenkirchen zu rasen, war mir zu stressig“, berichtet der 32-Jährige. Er hofft noch darauf, dass er vielleicht durch seine Beziehungen zu den Schweizern an Karten für ein Spiel der Eidgenossen kommt. Wenn das nicht klappt, wird spontan entschieden, wie und wo er die EM-Partien verfolgt. Fest steht nur, dass er das letzte Gruppenspiel zwischen Deutschland und der Schweiz auf der Anlage des TSV Hardthausen anschaut – stilecht im Schweizer Nationaltrikot. Dort wird im Rahmen des 50-jährigen Jubiläums ein kleines Public Viewing organisiert.

„Heim-EM-Feeling“ wird vermisst

Noch vermisst der SGV-Kapitän ein „Heim-EM-Feeling“ in Deutschland. Wenigstens hat man nach dem Umbruch nach dem absoluten Tiefpunkt, der Niederlage gegen Österreich, „als die Deutschen chancenlos waren“ (Kehl-Gomez), wieder die Spiele geschaut. „Die Testspiele waren schön anzuschauen. Doch immer noch scheint mir alles viel zu negativ zu sein. Deshalb würde ich mir wünschen, dass wieder eine positive Atmosphäre entsteht“, erklärt der 32-Jährige.

Dass die Belgier im Wasenstadion in Freiberg trainieren, lässt Kehl-Gomez zum Fan werden. „Es wäre gelogen, wenn ich nicht hoffen würde, dass wir mal beim Training zuschauen können. Das ist eine andere Sportart im Vergleich zu uns, was die Besten der Besten ausüben. Kevin De Bruyne gehört für mich zu den Top ten der Welt, was seine Fähigkeiten betrifft. Da kann man sich einiges abschauen oder einfach ein anderes Tempo wahrnehmen“, berichtet der 32-Jährige.

 
 
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