Fußball-Schiedsrichter „Der VAR macht den Fußball gerechter, klarer“

Von Walter Christ
Tobias Reichel sprach im Nullacht-Vereinsheim am Bruchwald auch zum Thema Video-Assistent. Foto: /Martin Kalb

Tobias Reichel war für einen Vortrag und Diskussion im Vereinsheim des FSV 08 Bietigheim-Bissingen zu Gast.

Kaum war er vom außergewöhnlich kniffligen Samstagspiel Mainz gegen Leverkusen zurück, hatte Tobias Reichel auch schon den nächsten Auftritt. Diesmal am Montagabend im Vereinsheim des FSV 08 Bietigheim-Bissingen. Und diesmal erheblich weniger aufregend, wenngleich er mit Fragen über Fragen konfrontiert wurde.

Gelassen, mit T-Shirt, Jeans und Turnschuhen leger gekleidet, referierte er auch zwei Stunden lang rhetorisch geradlinig und locker beziehungsweise stand der „Schiedsrichter-Leuchtturm“ aus Sindelfingen am Bruchwald auch Rede und Antwort. Eine Art außergewöhnliches Geschenk für den FSV 08, wie der WFV-Sprecher José Macias bei seiner Einleitung betonte.

Mehr als 1200 Spiele geleitet

Die Nullachter hatten im Rahmen eines bundesweiten Amateurvereine-Wettbewerbs des Deutschen Fußballbundes den Mann, der bisher in 25 Jahren insgesamt gut 1200 Spiele leitete, als Vierter Offizieller oder im Kölner VAR-„Keller“ aktiv war, als Gast gewonnen. Das Geschenk kam prima an, wie auch der Beifall reflektierte.

Der gebürtige Böblinger, der bis zu A-Jugend als Defensivkraft bei seinem Heimatverein GSV Maichingen selber kickte und seit Oktober 2000 als Unparteiischer agiert, hat offensichtlich geradezu eine Affinität zur „Schiedsrichterei“, wie er seine Aufgabe tituliert. Sieht man einmal davon ab, dass er pro Bundesliga-Begegnung 6000 Euro plus Nebenkosten bekommt und stets im kritisch beäugten Rampenlicht steht, ist dieses Amt demnach „absolut immer noch eines der besten und liebsten Hobbys, die man sich vorstellen kann“. Zu Tennis, Badminton und Squash kommt der bald 40-jährige, sportbegeisterte Familienvater mit zwei Söhnen, der seine Bürokaufmannstätigkeit bei einer privaten Krankenversicherung ohnehin schon auf nur noch 60 Prozent Teilzeit reduziert hat, ohnehin kaum noch.

Gebannt verfolgten die Experten um den früheren SR-Chef und Sportkreis-Vorsitzenden Hans-Uli Karr im 08-Heim ein exklusives Video vom Spiel FC Bayern gegen Borussia Dortmund. Hierfür waren Schiedsrichter Tobias Welz und sein Team samt Tobias Reichel bereit gewesen, gehörtes Spieler-Vokabular sowie explizit eine sehr interessante Schiedsrichter-Kommunikation untereinander sowie mit den Fußballern und mitunter auch mit den VAR-Leuten preiszugeben.

VAR ein zentrales Thema

Apropos VAR: Er war beim Publikum das zentrale Thema an diesem Abend, wobei für manchen Fan ernüchternd rüberkam, wie komplex, zeitaufwendig, ja anstrengend gerechte Entscheidungen sind – und wenn man die umstrittene Situation auch noch so oft in Zeitlupe gesehen hat. Tobias Reichel befürwortet den „Video Assistant Referee“ (VAR) ebenso wie die Kommunikationen untereinander, weil sie im Akut-Fall zu einem für ihn relevanten besseren Gefühl verhülfen. „Der VAR macht den Fußball gerechter, klarer“, sagt Reichel.

Ausgiebige Frage-Runde

Das ausgiebig geführte Frage-und-Antwort-Runde reichte bei der Veranstaltung von im Fußball fragwürdigen Nach-Nach-Verlängerungen über das (meistens übliche) Per-Du mit Spielern sowie die Bedeutung von so genannten Piloten und anderen Analyse-Hilfen. Beispielsweise die akribischen Daten des DFB über alles Wissenswerte von den gerade anstehenden Spielpartnern und über die Bedeutung, ein Gespür für die einzelnen Akteure zu bekommen, bis hin beispielsweise zu Kritik.

Als Schiedsrichter müsse man lernen, mit Mäkeleien umzugehen. Problematisch sei es für ihn allerdings, wenn es gallig ins Persönliche gehe. Und zwar von Leuten, die ihn gar nicht kennen würden. Spätestens daheim sei das aber alles kein Thema mehr – zumindest solange die Kinder gegenwärtig sind, freute sich der bekannte DFB-„Schiri“ am Montag über seine auch diesbezüglich sehr gut verlaufene Saison.

Der sympathische Sportsmann hatte eingangs an den Nullacht-Schiedsrichter-Boss Wolfgang Scheidt zwei Linienrichter-Fahnen, eine UEFA-Pfeife und eine original Schiedsrichter-Uhr mit Anrechnungszeit auch der ersten Halbzeit geschenkt. Zuvor meinte der „vom Fußball sehr geprägte“ Sindelfinger – auf Trends angesprochen – dass im Bundesliga-Bereich alles „ein bissle aggressiver“, körperlicher und schneller geworden sei. Systeme, Taktiken, technische Hilfsmittel samt dem Gebaren auf Trainerbänken änderten sich demnach ebenso wie es auch für die Schiedsrichter immer wieder Neues zu lernen gebe.

Traum vom Pokalfinale

Der Erstliga-Schiedsrichter hat natürlich auch ein Traumziel, wenn man so will, eine Vision: „Einmal das DFB-Pokal-Finale in Berlin zu pfeifen“. Die Zeit dazu reichte durchaus noch, denn erst mit 47 Jahren ertönt für die Unparteiischen ja der nationale Schlusspfiff. Walter Christ

 
 
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