Gerlingen Stimmenkönigin verlässt den Gemeinderat

Von Torsten Schöll
Petra Bischoff verlässt nach 28 Jahren den Gerlinger Gemeinderat. Foto: /Torsten Schöll

Post-Covid zwingt Petra Bischoff zum Rückzug. Die Schaffung bezahlbaren Wohnraums sieht sie als großes Zukunftsproblem.

Nach 28 Jahren scheidet am Mittwoch Stadträtin Petra Bischoff (56) aus dem Gerlinger Gemeinderat aus. Die „Stimmenkönigin“ der Freien Wähler und Unternehmerin spricht über die Beweggründe ihres Rückzugs und erklärt, wo in Gerlingen in Zukunft die größten Herausforderungen warten.

Frau Bischoff, am Mittwoch werden Sie nach fast drei Jahrzehnten als Stadträtin an Ihrer letzten Gemeinderatssitzung teilnehmen. Was ist der Grund für den Rückzug?

Ich hatte im Dezember 2021 Corona. Kurz danach begann ich unter anderem unter starken Atemproblemen und Konzentrationsstörungen zu leiden. Trotz leichter Besserung halten die Post-Covid-Symptome leider an. Da ich dadurch nicht mehr mit gewohnter Energie mein Amt ausführen kann, höre ich jetzt auf. Post-Covid ist ein Thema, das nach wie vor in der Politik und der Medizin zu wenig Beachtung und Hilfe findet.

Die Gerlinger Bürger haben Sie sechsmal in den Gemeinderat gewählt, seit 2004 als „Stimmenkönigin“. Bei der letzten Wahl 2019 erzielten Sie mit 8677 Stimmen das mit Abstand beste Ergebnis aller gewählten Stadträte. Können Sie sich das erklären?

Wirklich erklären kann ich mir das nicht. Ich bin durch meine Jugendarbeit, Vereinstätigkeit – und weil die Leute natürlich in unser Geschäft kommen – bekannt in der Stadt. Ich habe gelernt, den Menschen zuzuhören und sie ernst zu nehmen. Vielleicht ist es das.

2016 wurden Sie für Ihr vielfältiges Engagement mit der goldenen Ehrenmedaille der Stadt ausgezeichnet. Die Liste Ihrer Ehrenämter ist lang. Daneben sind Sie Unternehmerin. Hat Ihr Tag mehr als 24 Stunden?

Das hat sich so entwickelt. Möglich ist das aber nur durch die Freiheiten, die ich in unserem Familienbetrieb habe. 1999 hatte ich die Stunden mal gezählt, die ich fürs Ehrenamt aufgewandt habe, und kam auf über 800 Stunden. Entscheidend bleibt für mich, dass die ehrenamtliche Arbeit mein Leben bereichert.

Sie waren 28 Jahre alt, als Sie 1995 in den Gemeinderat einzogen. Was hat Sie zur Kommunalpolitik gebracht?

Damals war der Jugendhausträgerverein sehr aktiv. Durch meine Tätigkeit dort bin ich wohl aufgefallen. Die Freien Wähler haben mich schließlich angesprochen, ob ich nicht auf ihrer Liste kandidieren will. Beim zweiten Versuch bin ich dann schon nach einem Jahr als Nachrückerin Stadträtin geworden.

Die Jugend war immer Ihr Thema. Wieso?

Ich habe früh im Jugendhaus erlebt, was man mit offener Jugendarbeit erreichen kann. Auf politischer Ebene muss man aber immer noch viele davon überzeugen, dass offene Jugendarbeit als Präventionsarbeit wichtig ist. Ich will mich aber nicht nur auf die sozialen Themen reduzieren lassen. Der technische und Finanzbereich sind mir im Gemeinderat genauso wichtig.

Hat sich die Kommunalpolitik in Gerlingen in den vergangenen 28 Jahren verändert?

Ich bin mir in diesen Jahren bewusst geworden, dass es vieles gibt, das nicht unserer Entscheidung unterliegt. Wir müssen als Stadt vieles umsetzen, was die Bundes- und Landespolitik vorgibt, ob das die Einführung von Ganztagsschulen ist oder die Unterbringung von Flüchtlingen. Das ist in den letzten Jahren deutlich mehr geworden. Und natürlich war früher der finanzielle Spielraum in Gerlingen größer als heute.

Gab es kommunalpolitische Projekte, mit denen Sie gehadert haben?

Es gab natürlich Projekte, hinter denen ich bis heute nicht stehe. Die Sanierung des Rathausplatzes zum Beispiel. Auch die strikt ablehnende Haltung Gerlingens gegenüber Ditzingen zum Thema zweite Autobahnanschlussstelle habe ich nie verstanden. Ohne Dialog und Austausch mit unseren Nachbarn über Für und Wider konnte ich mir keine abschließende Meinung dazu bilden.

Wo sehen Sie für die Stadt in der Zukunft die größten Herausforderungen?

Es wird heute schnell geschrien, wenn es mit Jugendlichen Probleme und Ärger gibt. Bis heute hat aber das Jugendhaus – obwohl die Herausforderungen stetig wachsen – denselben prozentualen Anteil an Mitarbeitern wie bei seiner Eröffnung vor 40 Jahren. Das ist sehr unbefriedigend. Für Gerlingen als Ganzes ist die Wohnungsnot mit Sicherheit eine sehr große Herausforderung. Obwohl die Siedlungsfläche in den vergangenen Jahrzehnten immer größer wurde, leben heute nicht viel mehr Menschen hier. Wir beanspruchen einfach nur mehr persönlichen Wohnraum als früher. Bezahlbarer Wohnraum wird ein großes Thema bleiben. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, unsere Natur- und Waldflächen und unsere Ackerböden zu erhalten. Die Balance zu finden zwischen Klimaschutz und den Auswirkungen auf andere Bereiche wird eine der größten Herausforderungen.

Jahre für die Kommunalpolitik

Person
Petra Bischoff gehört der Geschäftsführung des gleichnamigen alteingesessenen Gerlinger Raumausstatterbetriebs an. Die Raumausstatterin gehört seit 1995 dem Gerlinger Gemeinderat seit an. Zudem sitzt sie seit 2002 für die Freien Wähler im Ludwigsburger Kreistag. Zehn Jahre lang war sie Vorsitzende des Jugendhausträgervereins in Gerlingen.

Würdigung
Im Jahr 2016 wurde die damals 50-Jährige vor allem für ihr soziales Engagement in Gerlingen mit der Ehrenmedaille in Gold ausgezeichnet. fk

 
 
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