Geschichte Vater des Bietigheimer Pferdemarkts

Von Martin Hein
Der Bietigheimer Bürgermeister Christian Schmidbleicher im Jahr 1930. Bei der Bürgermeisterwahl 1931 wurde er fast einstimmig im Amt bestätigt.⇥ Foto: Stadtarchiv Bietigheim-Bissingen

Vor hundert Jahren wurde Christian Schmidbleicher  zum Bietigheimer Bürgermeister gewählt. 1933 beurlaubten ihn die Nationalsozialisten. 1955 wurde er Bietigheimer Ehrenbürger.

Völlig überraschend verstarb der seit 1891 amtierende Bietigheimer Bürgermeister Wilhelm Mezger am Morgen des 16. Februars 1921. Das Amt musste in dieser von hoher Arbeitslosigkeit, großem Mangel an Lebensmittel und politischer Instabilität geprägten Zeit schnellstens wieder besetzt werden. Bereits am 23. Februar 1921 erschien im Enz- und Metter-Boten eine Anzeige in der es hieß, dass die durch das Ableben des seitherigen Inhabers erledigte Stadtvorstandsstelle wieder zu besetzen sei. Bewerber sollten sich bis zum 7. März 1921 beim Bietigheimer Amtsverweser Holzapfel melden.

Die Wahl wurde für den 20. März angesetzt. Neun Kandidaten warfen zunächst ihren Hut in den Ring. Fünf Kandidaten verloren kurz vor der Kandidatenvorstellung am 14. März den Mut und zogen ihre Kandidatur zurück. Vier blieben im Rennen, darunter als aussichtsreichste Kandidaten der 35 jährige Leonberger Hugo Wendel, der seit 1910 Ortsvorsteher in Schnait war und der 35jährige Feuerbacher Verwaltungsratsschreiber Christian Schmidbleicher aus Holzgerlingen. Rasch wurden diese beiden Kandidaten von den damals vorherrschenden politischen Lagern vereinnahmt.

Bereits am 16. März 1921 erschien im Enz- und Metter-Boten eine große Anzeige des bürgerlichen Lagers, namentlich der Bürgerpartei und Bund der Landwirte, die Deutsche demokratische Partei, Deutsche Volkspartei, Zentrumspartei sowie der Landwirtschaftliche Ortsverein und der Gewerbeverein die zur Wahl von „Herrn Schultheiss Wendel von Schnait“ aufriefen.

Noch unentschlossen gab sich das andere politische Lager bestehend aus den vereinigten Gewerkschaften, der Sozialdemokratische Partei und der vereinigten Kommunistischen Partei Bietigheim. Diese Gruppierungen luden die erwerbstätige Bevölkerung Bietigheims zu einer öffentlichen Versammlung im Saal zur Post ein. Thema der Veranstaltung: „Die Pflicht der arbeitenden Bevölkerung bei der bevorstehenden Stadtschultheißenwahl“. Bei dieser Veranstaltung stellten sich die beiden bis dahin noch verbleibenden Kandidaten Wendel und Schmidbleicher vor.

Zwischen diesen beiden und ihren Anhängern entbrannte nun ein heftiger Wahlkampf. Am 18. März riefen in einer Anzeige im Enz- und Metter-Boten „Viele bürgerliche Wähler“ zur Wahl des Verwaltungsratsschreibers Schmidbleicher auf. In derselben Ausgabe schaltete der Bietigheimer Gemeinderat Euchenhofer „Im Namen zahlreicher Arbeiter“ eine Anzeige mit der Aussage, dass in den letzten Tagen „falsche Gerüchte über den Kandidaten Herrn Schultheiß Wendel“ verbreitet wurden, in denen behauptet worden sei, Wendel sei ein Bauernbündler und habe den Wein verteuert! Euchenhofer gab sich überzeugt, dass Wendel die Fürsorge, die er in Schnait an den Tag legte, auch in Bietigheim zeigen werde „deshalb geben wir ihm vor dem anderen Bewerber den Vorzug“. Damit waren die Fronten abgesteckt.

Heißer Wahlkampf

Nun startete eine beispiellose Anzeigenkampagne, die die Anhänger der beiden Lager führten. Schmidbleicher wurde von „mehreren Hausbesitzern“ kommunistische Bestrebungen unterstellt mit der Aussage, er habe behauptet „Der Hausbesitzer sei überhaupt nicht Eigentümer der Gebäude, sondern die Allgemeinheit“, wer also nicht riskieren wolle, eines Tages aus seinem Haus hinausgeworfen zu werden, müsse Wendel wählen. Anhänger Schmidbleichers unterstellten Wendel hingegen die Absicht, das Amt des Bürgermeisters gar nicht anzustreben , sondern stattdessen direkt in den Landtag einziehen zu wollen. Mehrere Angestellte unterstützten Schmidbleicher mit den Worten: „Auf ihn könnt ihr euch verlassen!“, bürgerliche Wendel-Unterstützer wiederum kamen zu dem Schluss „Auf dem Rathaus in Feuerbach hat die Sozialdemokratie längst die Mehrheit, in Bietigheim nicht!“.

Auch „Viele Hausfrauen“ aus Bietigheim gaben ihrer politischen Meinung in Form einer Anzeige Ausdruck: „Wenn ihr haben wollt, dass Euch plötzlich das Gas oder der elektrische Strom oder auch einmal das Wasser abgedreht wird, dann wählt zum Stadtschultheißen Herrn Schmidbleicher, den Kandidaten des Kommunistenführers Josef Kern“.

Schmidbleicher gewählt

Am 20. März 1921 wählten die Bietigheimer nach heftigem Wahlkampf endlich ihren neuen Bürgermeister – mit überraschend eindeutigem Ergebnis: Von den insgesamt 3273 Wahlberechtigten haben 2672 gewählt, dies entsprach einer stolzen Wahlbeteiligung von 81,7 Prozent. Christian Schmidbleicher erhielt 1621 Stimmen, Hugo Wendel kam auf 1051 Stimmen. Damit war Christian Schmidbleicher auf die Dauer von 10 Jahren als Bietigheimer Bürgermeister gewählt.

Die Wahl Schmidbleichers erwies sich als Glücksgriff für die aufwärtsstrebende Stadt Bietigheim. Eine große Aufgabe sah der neue Bürgermeister in der damals vorherrschenden Wohnungsnot. Bei seinem Amtsantritt besaß Bietigheim kein einziges Grundstück. Ein Umstand der sich in seiner Amtszeit grundlegend änderte, 12 Jahre später gehörten der Stadt 30 Hektar. Schmidbleicher gründete die gemeinnützige Baugenossenschaft die er selbst als ehrenamtlicher Aufsichtsratsvorsitzender leitete. Aus dieser Baugenossenschaft sollte später die Bietigheimer Wohnbau hervorgehen. Die Stadt erschloss Baugelände, konnte aktive Bauplatz- und Wohnungsbaupolitik betreiben und gab Grundstücke an Bauwillige ab.

Vater des Pferdemarkts

Der Bietigheimer Pferdemarkt in seiner jetzigen Form und mit der angegliederten landwirtschaftlichen Ausstellung, geht auf eine Anregung Schmidbleichers im Bietigheimer Gemeinderat am 16. Oktober 1924 zurück. Somit gilt Christian Schmidbleicher als Vater des Bietigheimer Pferdemarkts. Auch die Eingemeindung Metterzimmerns nach Bietigheim im Jahr 1930 fiel in Schmidbleichers Amtszeit. Rasch erkannten die Bietigheimer, welch umtriebiges und weitsichtiges Stadtoberhaupt nun die Geschicke der Stadt lenkte. Mit großer Mehrheit, beinahe einstimmig, wurde Schmidbleicher bei der Bürgermeisterwahl 1931 in seinem Amt bestätigt.

Christian Schmidbleicher machte 1933 aus seiner Abneigung gegen die Machtergreifung der Nationalsozialisten keinen Hehl. Der Überlieferung nach, hat er am Tag der Einsetzung der Nazi-Regierung in einer Mundelsheimer Gaststätte, wo er sich gerade aufhielt, das Radio abstellen lassen. Diese Begebenheit hat ihn seine Bürgermeisterstelle in Bietigheim gekostet.

Landrat Dr. Fuchs beurlaubte daraufhin den Bietigheimer Schultes. Im Bietigheimer Gemeinderat wurde am 3. April 1933 bekanntgegeben, dass Landrat Dr. Fuchs die Stadtverwaltung Bietigheim selbst übernommen habe und den Nationalsozialisten Staatskommissar Gotthilf Holzwarth mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Bürgermeisters beauftragte. Später wurde Schmidbleicher zum Bürgermeister von Blaubeuren ernannt.

Die Stadt Bietigheim verlieh Christian Schmidbleicher am 1. September 1950 anlässlich des 25. Pferdemarktes die Ehrenbürgerwürde als Akt der Wiedergutmachung und Rehabilitierung für das 1933 geschehene Unrecht. Am 30. September 1954 ging Schmidbleicher als Bürgermeister von Blaubeuren in den Ruhestand. Bundespräsident Theodor Heuss verlieh Schmidbleicher Anfang 1956 das Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Der Bietigheimer Ehrenbürger Christian Schmidbleicher verstarb am 30. April 1958 im Alter von 72 Jahren.

 
 
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