In der Gaststätte Hirsch in Besigheim sitzen die Gäste des Besigheimer Geschichtsvereins auf Bänken, die der Vater des 93-Jährigen Paul Roth 1928 geschreinert hat. Vorgestellt wird der neueste Band der Besigheimer Geschichtsblätter über die Rolle der Gestapo in Besigheim – am Ort des Geschehens, einer ehemaligen Außenstelle der Gestapo.
Blick in die Historie Geschichtsverein forscht zur Gestapo in Besigheim
In der neuen Ausgabe der Besigheimer Geschichtsblätter wird die Rolle der Geheimen Staatspolizei in der Stadt beleuchtet.
Heute 93-Jähriger hat die Verdunklung angebracht
Auch ist der heute 93-jährige Besigheimer Paul Roth, der bis heute in der Kirchstraße wohnt, der einzige noch Lebende, der 1944 den Raum gesehen hat, in dem die Geheime Staatspolizei (Gestapo) das Sachgebiet IV Kartei, Personen- und Sachakten im Hirsch als Außenstelle der Gestapo-Zentrale in Stuttgart eingerichtet hatten. Paul Roth musste für seinen Vater die Verdunkelungsbretter an die Fenster bauen. Paul Roth ist zur Präsentation der Geschichtsblätter ins Gasthaus Hirsch gekommen. Er ist einer von mehreren Zeitzeugen, die Ewald Anger, pensionierter Polizist, Hobby-Historiker und Fremdenführer in Besigheim, für Band 39 der Besigheimer Geschichtsblätter mit dem Titel „Als die Gestapo nach Besigheim kam“ befragte.
Albrecht Joos aus Besigheim hingegen hat seine Informationen aus zweiter Hand, von seiner verstorbenen Mutter Ilse. Sie wurde als gelernte Kontoristin, einer Art Sekretärin, von der Gestapo zwangsverpflichtet, um bei der Erfassung von Akten zu helfen und musste die Gestapo-Beamten bei ihrer Flucht, getarnt als Deutsche-Rote-Kreuz-Schwester begleiten. Im Hirsch wurden Reisen, auch ins Ausland bewilligt, gab es Pacht- oder Jagdscheine, Sichtvermerke, hier war die Registratur.
Nachdem Anger im Geschichtsbuch der Stadt Besigheim las, dass die Gestapo in der Stadt einen wichtigen Stützpunkt mit 20 Mitarbeitern hatte, war er neugierig geworden. Ein Gespräch mit Joos ergab, dass da einiges im Dunkeln lag. Anger machte sich an die dreijährige intensive Recherchearbeit, die ihn Dutzende Bücher lesen ließ sowohl in Hunderten von Akten, mehrere Archive, schauen ließ und mit vielen Besigheimer sprechen ließ. Sandy Richter, die Stadtarchivarin half dem Hobby-Historiker, der mit kriminalistischen Ermittlungsmethoden an die Suche heran ging. „Das Kapitel ist ja wie ein schwarzes Loch in der Stadtgeschichte gewesen, es ist wichtig, dass dieses nun gefüllt ist“, sagt Richter. Schon Ende 1943 hatte die Gestapo das Kameradschaftshaus gegenüber dem Bahnhof, das als Stadthalle und als Treffpunkt für die NSDAP-Gruppen diente, in Beschlag genommen. Erst 1999 wurde das Gebäude abgerissen, in dem, so erzählt Joos, Hunderte von Besigheimer Tanzkurs und Abschlussball absolvierten. Die Verwaltung der baden-württembergischen Gestapo wurde nach Besigheim ausgelagert, als Schutz vor den zunehmenden Bombardierungen.
Die Besigheimer wussten sehr wohl von der Anwesenheit der Gestapo in ihrer Stadt. Viel mitbekommen haben sie allerdings nicht, so Anger. „Die Gestapo-Beamten in Besigheim waren eher Schreibtischtäter“. Anger hat die Namen der Gestapobeamten und ihre Rolle recherchiert: Kriminalkommissar Friedrich Reile war der Leiter des in den Hirsch ausgelagerten Sachgebiets. Anger fand heraus, dass dieser engen Kontakt zum liberalen Widerstand um den Stuttgarter Industriellen Robert Bosch pflegte und auch erlaubte, dass Carl Friedrich Goerdeler, der ein Attentat auf Hitler plante, ins Ausland reisen durfte.
Der „gute“ Gendarm war ein Markgröninger
Die ausführenden Organe waren eher die Gendarmen der Stadt. „Da gab es sozusagen einen guten und einen bösen Gendarmen.“ Paul Roth kann sich noch gut erinnern: Einmal hat er vom „bösen“ Gendarmen Ernst Strasser eine Ohrfeige bekommen, weil er nach 19 Uhr auf der Straße war. 24 Liegestützen musste er vor ihm machen, bewacht von dessem scharfem Schäferhund, weil er einmal die Jungvolk-Stunde schwänzte. Hingegen hat der gute Gendarm, der Markgröninger Karl Hetterich, einen Deserteur entkommen lassen. Die Gendarmen mussten auch die Schutz- oder vielmehr Sippenhaft des Verwandten des Hitler-Attentäters, des Freiherrn Franz Schenk von Stauffenberg, im damaligen Besigheimer Krankenhaus überwachen.
Akten landen in der Gemmrigheimer Papierfabrik
Anger recherchierte auch, wie die Gestapo-Akten zu Kriegsende zerstört wurden. Sie wurden in die Papierfabrik Gemmrigheim gebracht, wo sie zu Papierleim verarbeitet wurden. Auch vom damaligen Bürgermeister Karl Fuchs, „der zwar Nazi, aber dennoch gerecht war“, so Paul Roth, berichtet Anger. Nachdem die Franzosen Besigheim erobert hatten, flüchtete dieser nicht, sondern verhandelte mit den Siegern, um die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung zu sichern.