Grabungen in Sachsenheim Tragödie aus dem Zweiten Weltkrieg wird sichtbar

Von Martin Hein
Projektleiter Dr. Ralf Keller von der Firma Fodilus steht am Eingang des nun freigelegten betonierten Splittergrabens. In diesem Graben starben im Dezember 1944 sieben Menschen.⇥ Foto: Martin Kalb

Bei Sondierungsgrabungen wurden Reste des ehemaligen Großsachsenheimer Krankenlagers freigelegt und Funde geborgen.

Die Vergangenheit holt das Eichwaldgelände immer wieder ein. Über das Sachsenheimer Gelände soll im nächsten Jahr die Neckarenztal-Gashochdruckleitung des Transportnetzbetreibers Terranets BW verlegt werden. Bei den bei solchen Projekten üblichen archäologischen Untersuchungen haben das Grabungsteam der Firma Fidolius und die für Trassenprojekte verantwortliche Archäologin des Landesamts für Denkmalschutz, Dr. Andrea Neth, nun Reste des sogenannten „Krankenlagers für ausländische Arbeitskräfte“ freigelegt.

Nach Recherchen der Sachsenheimer Autorin und Historikerin Dr. Elisabeth Wanjura waren im Zeitraum von 1943 bis Kriegsende rund 15 000 bis 20 000 Menschen in diesem Krankenlager. Bis zu 700 Personen waren in dem eigentlich nur bis rund 470 Personen ausgerichteten Lager zeitgleich untergebracht. Der unmittelbar angrenzende Flugplatz der deutschen Luftwaffe wurde vor allem in den letzten Kriegsmonaten häufig von amerikanischen Jagdbombern angegriffen. Das Lager war, wie alte Luftaufnahmen belegen, eigentlich für Flugzeuge gut sichtbar als Krankenlager gekennzeichnet. Ein Schutz vor angreifenden Flugzeugen boten die auf die Baracken-Dächer gemalten Rot-Kreuz-Symbole jedoch nicht. Dies erkannte anscheinend auch das für das Krankenlager zuständige Arbeitsamt. Dieses beantragte den Bau von Schutzeinrichtungen.

1944 Schutzbunker betoniert

Nach Angaben von Dr. Ralf Keller, Fidolius-Geschäftsführer, wurden 1943 Pläne für diese nun freigelegten Luftschutzanlagen im nördlichen Bereich des „Krankenlagers“ erstellt. Im September 1944 begann man den Aufzeichnungen nach in Zickzack-Form sogenannte Spitterschutzgräben zu betonieren. Diese Gräben wurden oben mit einem Betondeckel versehen und so zu einer Art Bunker. Nach Auskunft von Andrea Neth verarbeitete man damals recht minderwertigen Beton ohne Stahlarmierung.

Rein rechnerisch sollten den alten Aufzeichnungen nach 2,8 Personen auf einen Quadratmeter in dem Bunker Platz finden. Zwei solche Bunker wurden oberhalb des Lagers angelegt. Jeder sollte bis zu 200 Personen fassen. Es gab wohl nach Auskunft von Ralf Keller eine Anweisung, dass die Tuberkulose-Kranken bei einem Fliegerangriff in ihren Baracken bleiben sollten.

Ein besonders tragischer Zwischenfall ereignete sich am 19. Dezember 1944 in diesem notdürftigen Luftschutzbunker: Nach den Aufzeichnungen im Kriegstagebuch der in Großsachsenheim stationierten Nachtjagdstaffel griffen an diesem Tag von 13.22 bis 13.44 Uhr acht amerikanische Thunderbolt-Jagdbomber mit Bordwaffen und Bomben den Flugplatz an. Eine Bombe detonierte in unmittelbarer Nähe des Splitterschutzgrabens. Dabei wurden sieben Personen getötet und 15 verwundet. Unter den Toten war der damals 44-jährige Lagerarzt Dr. Adolf Levi.

Die Archäologen haben nun in der Nähe des jetzt freigelegten Bunker-Eingangs Betonreste gefunden, die sehr wahrscheinlich von dieser Explosion stammen. Darunter etliche Stücke Stacheldraht, Reste von emaillierten Schüsseln, eine Blechtasse, Reste von einer Glasampulle, Teile eines Reagenzglases und eines Fieberthermometers sowie Tellerscherben mit der immer noch gut lesbaren Aufschrift „Reichsarbeitsdienst“. Zudem wurden etliche Haarkämme gefunden, teilweise auch in dem Bunkersystem. Keller geht davon aus, dass die Menschen, die damals in diesem Notbunker bei den Fliegerangriffen Schutz gesucht, in der Enge die Kämme verloren haben.

Gegen ihren Willen

Dr. Christian Bollacher vom Landesamt für Denkmalpflege betont, dass diese Fundstelle hier bei Großsachsenheim in dieser Form sehr außergewöhnlich ist. An dieser Stelle werde das Schicksal der Menschen, die damals gegen ihren Willen und unter schlimmsten Bedingungen in dem Krankenlager untergebracht waren, sichtbar.

Bis April werden die Arbeiten an dieser Stelle beendet sein. Die Fundstelle wird dann wieder mit einer Erdschicht überdeckt und so für die Nachwelt konserviert und geschützt. „Wir sind Denkmalschützer, keine Ausgräber“, so Andrea Neth. Beim Bau der Gasleitung werde man in diesem Bereich die Bunkeranlage zusätzlich schützen, damit beim Leitungsbau keine Schäden an dem historischen Bauwerk entstehen.

Nach Auskunft von Christoph Kröhnert, dem für die Neckarenztal-Leitung zuständigen Projektleiter von Terranets, unterstreiche diese Grabung die Wichtigkeit einer umfassenden Trassenvorbereitung vor dem Bau einer Leitung. Neben der Sondierung archäologischer Kulturdenkmale sei es für Terranets ebenso wichtig, die Eingriffe in die Landschaft und Natur zu minimieren. Es gebe durch diese Fundstelle keine Verzögerung beim Bau der Gasleitung, zumal die Bauarbeiten nach derzeitigem Stand ohnehin erst 2022 beginnen. Der ursprünglich geplante Trassenverlauf werde sich wegen des nun freigelegten Kulturdenkmals nur geringfügig verändern. Für den Bau der etwa 29 Kilometer langen Neckarenztal-Leitung mussten in der Summe rund 800 Grundstückseigentümer und Pächter kontaktiert werden.

 
 
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