Grundschulempfehlung im Kreis Ludwigsburg „Kinder brauchen Erfolgserlebnisse“

Von Heidi Vogelhuber
Statistisch gesehen entscheiden sich zwei von fünf Schülern gegen die Grundschulempfehlung und besuchen eine zu anspruchsvolle Schule. Oftmals zu Lasten der Kinder. Foto: dpa/Ralf Hirschberger

Wo die Fahrt für Grundschüler hingeht, entscheiden die Eltern; eine Grundschulempfehlung ist seit Jahren nicht mehr bindend. Angst vor Stigmatisierung führt für 40 Prozent der Kinder zum Besuch einer Schule auf zu hohem Leistungsniveau.

Am Ende des ersten Schulhalbjahres der Klasse 4, spätestens bis zum 10. Februar, spricht die Grundschule entsprechend der Aufnahmeverordnung des Kultusministeriums eine Grundschulempfehlung aus. Verbindlich ist diese Empfehlung, auf welche weiterführende Schule das Kind am besten gehen sollte, seit dem Schuljahr 2012/13 allerdings nicht mehr. Wie Rektoren aus dem Kreis zur Grundschulempfehlung stehen, erfragte die BZ.

Beste Entscheidung für das Kind

„Grundsätzlich ist es in Ordnung, dass Eltern die Entscheidungsfreiheit haben“, sagt Rainer Graef, Schulleiter der Haupt- und Werkrealschule Kirchbachschule Hohenhaslach. Nicht in Ordnung sei es jedoch, wenn die Kinder unter der Entscheidung der Eltern leiden, findet der Rektor klare Worte. Er spricht aus Erfahrung, jedes Jahr kämen Schüler, die von der Real- auf die Haupt- und Werkrealschule wechseln wollten. „Die Überforderung ist bei vielen Kindern groß“, sagt er, da für einigen Eltern „der eigene Ehrgeiz oder auch das Geschwätz der Nachbarn“ wichtiger sei, so Graef. „Theoretisch könnten wir als Werkrealschule in allen Klassenstufen einen zweiten Zug aufmachen.“ Die Kirbachschule gehe dann ins Gespräch mit anderen Schulleitungen, um Lösungen zu finden. Jedoch sei auch wichtig, die Klassengröße nicht zu sehr überzustrapazieren. „Letztendlich muss dann das Schulamt entscheiden“, sagt Graef, betont aber auch, dass es prinzipiell keinen Grund mehr gebe, „Abzuschulen“. „Alle bieten die gleichen Abschlüsse an.“ Seine Devise sei jedoch, lieber auf-, statt abzusteigen. „Kinder brauchen Erfolgserlebnisse. Es ist wichtig, dass es für die Kinder leistbar bleibt.“

„Ich habe beides erlebt, verbindliche und unverbindliche Grundschulempfehlung“, sagt Claus Stöckle, Rektor der Realschule im Aurain in Bietigheim-Bissingen. Der überwiegende Teil der Eltern entscheide sich dafür, der Empfehlung zu folgen, aber eben nicht alle. Die Angst vor Stigmatisierung, wenn das Kind eine Haupt- oder Werkrealschule besuche, bestehe leider noch immer. Dass seit dem Schuljahr 2016/17 an der Realschule auch ein Hauptschulabschluss erlangt werden kann, sieht der Rektor nicht nur positiv. „Das hat den Schultypus Realschule in entscheidender Form verändert.“

Belastung für Lehrer und Kinder

Natürlich setze das Kollegium die dementsprechenden gesetzlichen Vorgaben um, jedoch sei es eine Belastung für die Lehrkräfte und vor allem für die Kinder. „Manche schaffen es nicht, wenn sie auf Realschulniveau unterrichtet werden“, erklärt Stöckle. Man müsse bedenken, was das für die Kinder bedeute. In Klasse 5 stehe noch die Orientierung im Mittelpunkt, in Klasse 6 zeige sich allerdings schnell, wer die verlangte Leistung nicht erbringen könne. „Die Kinder kassieren dann ständig Fünfer und Sechser“, sagt Stöckle. Das sei nicht gut für ihr Selbstbewusstsein.

Im Aurain werden die Schüler, die auf einem leichteren, dem sogenannten Grundniveau, unterrichtet werden sollen, als Klasse zusammengelegt. Die übrigen Schüler werden weiterhin auf mittlerem Niveau unterrichtet. „Das gibt es aber nur an Schulen, die das leisten können“, sagt Stöckle. Kleine Schulen hätten diese Kapazitäten nicht. Jedoch stehe fest: „Die zwei Pferde bringt man nicht vor einen Karren.“ Gut 20 Prozent der Realschüler im Aurain werden auf Grundniveau unterrichtet. „Abschulen“, das werde in Bietigheim eigentlich nicht gemacht, so der Rektor.

„Ziel der Grundschule muss sein, den Eltern profunde Informationen für ihre Entscheidung zu geben“, sagt Uwe Schäfer, Leiter der Ganerbenschule in Bönnigheim. Dabei komme es darauf an, wie der Leistungsstand des Kindes mit dem Leistungsprofil der weiterführenden Schule übereinstimme. Der Grundschulrektor betont, dass es nicht nur die Empfehlung in Klasse 4 gebe. „Wir halten die Eltern permanent in individuellen Gesprächen auf dem Laufenden über die Lernentwicklung ihres Kindes.“ Es sei wichtig, eine Beziehung zu den Eltern aufzubauen, damit diese Vertrauen haben in die Expertise der Lehrer. Die Lehrkräfte könnten eine kompetente und realistische Einschätzung geben. Es gehe dabei nicht nur um Noten. Auch um die Lernleistungsentwicklung, das soziale Verhalten sowie Stärken und Lernvorlieben. Danach werde ausgewählt, an welcher Schule das Kind seine Stärken einbringen und Erfolge erzielen könne.

Verantwortung liegt bei Eltern

Laut Statistischem Landesamt Baden-Württemberg (Stand: April 2019) entscheiden sich zwei von fünf Schülerinnen und Schülern gegen die Empfehlung, auf eine Werkreal-/Hauptschule oder Gemeinschaftsschule zu gehen und wählen stattdessen eine Realschule oder ein Gymnasium. Die Entscheidung, welche Schule das Kind besucht, und die Verantwortung liegt letztendlich bei den Erziehungsberechtigten. „Und die Entscheidung sollte wohl überlegt sein“, sagt Rainer Graef.

 
 
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