Haroon besucht die Gemeinschaftsschule in Sachsenheim Musterschüler aus Afghanistan

Von Michaela Glemser
Der 17-jährige Haroon besucht die Gemeinschaftsschule in Großsachsenheim. ⇥ Foto: Helmut Pangerl

Der 17-jährige Haroon hat sich ohne Eltern schnell in Deutschland zurechtgefunden. An der Gemeinschaftsschule in Sachsenheim zählt er zu den Jahrgangsbesten.

Er hat mit seinen 17 Jahren schon viel Leid und Schmerz erfahren. Er hat Dinge erlebt, die er wohl nie mehr in seinem Leben vergessen wird. Aber Haroon aus Afghanistan hat nie aufgegeben, immer weiter gekämpft mit dem klaren Ziel vor Augen, eventuell zu studieren und vor allem einen guten Beruf zu erlernen. Im Sommer hat er mit einem Notendurchschnitt von 2,2 das zweitbeste Ergebnis seines Jahrgangs beim Hauptschulabschluss an der Gemeinschaftsschule am Sonnenfeld erzielt. Jetzt lernt Haroon für die Mittlere Reife.

Haroon denkt nicht gerne an die Zeit zu Beginn des Jahres 2016 zurück, als er sich gemeinsam mit seiner Mutter und seinen drei Schwestern sowie vier Brüdern auf die Flucht aus der Stadt Herat im Westen Afghanistans machte. Mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Fawad schaffte er es in den Iran. Seine Mutter und seine anderen Geschwister wurden gefasst und nach Herat zurückgebracht. „Heute lebt meine Familie immer noch in Herat. Nach dem Einmarsch der Taliban in die Stadt ist die Lage vor Ort sehr schlecht. Aber zumindest körperlich sind meine Mutter und meine Geschwister unversehrt“, sagt Haroon.

Drei Jahre im Flüchtlingslager

Auf der Flucht vom Iran in die Türkei und schließlich nach Griechenland, wo er mit seinem Bruder drei Jahre in einem Flüchtlingslager verbringen musste, war an Bildung kaum zu denken. Ihr erst 25 Jahre alter Onkel, der in Freiberg lebt, holte die beiden Brüder Anfang 2019 nach Deutschland, wo sie zunächst in einer Wohngruppe in Ludwigsburg betreut wurden. Schließlich fanden Haroon und Fawad in Großsachsenheim eine Unterkunft, wo sie auch heute noch wohnen.

„Ich konnte endlich wieder in die Schule gehen. Zunächst habe ich mich in der Vorbereitungsklasse darum bemüht, möglichst schnell die deutsche Sprache zu lernen. Ich wusste, dass ich nur so Freunde finden und in Deutschland weiterkommen kann“, betont Haroon. Seine Lehrerin Susanne Schubert kann nur bestätigen, dass Haroon sehr schnell in die Fortgeschrittenen-Gruppe der Vorbereitungsklasse kam und nach etwas mehr als einem Jahr sogar schon den regulären Unterricht in seiner Jahrgangsstufe besuchen konnte. „Es war von Anfang an zu spüren, dass Haroon wirklich lernen will und großes Engagement zeigt. Üblicherweise bleiben die Schüler zwei bis drei Jahre in der Vorbereitungsklasse“, erklärt Schubert.

Deutsch und Mathematik gehören heute zu den Lieblingsfächern von Haroon. Je besser er den Unterricht verfolgen konnte, desto mehr Freude hatte er daran. Auch nach dem Unterricht legte er die Bücher nicht weg. „Im Gegenteil, Haroon hat sich vieles selbst erarbeitet, im Internet Lernvideos angeschaut und seine Lehrer auch per E-Mail mit seinen Fragen kontaktiert. Seine Motivation und Lernbereitschaft waren und sind wirklich vorbildlich“, lobt ihn die Lehrerin.

Doch die Pandemie stellte den Jungen vor eine große Herausforderung. Die Internetverbindung in seiner Unterbringung reichte nicht dafür aus, dem Online-Unterricht kontinuierlich folgen zu können. Zudem ist dort, wo viele Menschen und Kinder auf engem Raum zusammenleben, der Geräuschpegel hoch. Der Schüler konnte sich nur schwer auf seine Aufgaben konzentrieren. „Zum Glück konnte ich bei meinem Klassenkameraden in Bietigheim am Online-Unterricht teilnehmen und mit ihm gemeinsam lernen.“

Taschengeld für Nachhilfe

„Von dem Taschengeld, das ich von der Behörde bekomme, habe ich mir Nachhilfe in Mathematik finanziert, um bei meinen Prüfungen für den Hauptschulabschluss möglichst gut abzuschneiden“, berichtet Haroon. Seine Mühe hat sich gelohnt. Auf seine Belobigung für die Prüfungsergebnisse ist auch die Familie in Afghanistan stolz. „Meine Mutter ist sehr froh über das, was ich in Deutschland bisher erreicht habe. Meine Geschwister können in Afghanistan derzeit nicht zur Schule gehen. Auch für meine Mutter als Frau ist das Leben sehr schwer“, sagt Haroon. Er träumt davon, dass die Familie irgendwann wieder an einem Ort friedlich zusammenleben kann.

Afghanistan und seine Flucht dagegen hat Haroon, nach eigenen Aussagen, weitgehend aus seinem Gedächtnis verbannt. „Das ist für mich so, wie wenn ich in meinem Geschichtsbuch über die Vergangenheit lese. Es ist ein Teil meiner Vergangenheit, der jetzt abgeschlossen ist“, betont Haroon. Doch bei diesen Worten glitzern Tränen in seinen Augen.

 
 
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