HB Ludwigsburg Eine der Besten ihrer Zunft

Von Michael Nachreiner
Emily Bölk (links) und Jenny Behrend (rechts) haben das Nachsehen, Schwedens Jenny Carlson kommt im Vorrundenspiel zwischen Deutschland und den Skandinavierinnen frei zum Wurf. Foto: /Marco Wolf

Jenny Carlson, die Spielmacherin der schwedischen Olympia-Mannschaft, wechselt zur HB Ludwigsburg. Eigentlich wollte sie nach Podgorica gehen, doch in Montenegro gibt es finanzielle Probleme.

Den Verantwortlichen der HB Ludwigsburg ist ein absoluter Transfercoup gelungen. Mit Jenny Carlson wechselt eine der weltbesten Spielmacherinnen zum Deutschen Frauenhandball-Meister, der bis zur abgelaufenen Saison noch als SG BBM Bietigheim am Spielbetrieb teilgenommen hat. „Sie ist ein Handball-Genie wie kaum eine andere mit sehr viel internationaler Erfahrung. Sie spielt mit viel Tempo und hat einen hervorragenden Überblick für ihre Mitspielerinnen“, freut sich HBL-Cheftrainer Jakob Vestergaard über die hochkarätige Verstärkung.

Die Ludwigsburger profitierten dabei von der finanziellen Schieflage von ZRK Buducnost Podgorica, nachdem sich der Hauptsponsor des montenegrinischen Topteams zurückgezogen hatte. Denn der Wechsel von Carlson von Brest Bretagne nach Podgorica war eigentlich schon in trockenen Tüchern. „Ich bin sehr dankbar für diese Chance, die ich in Ludwigsburg bekommen habe, als sich die Situation in Buducnost ergeben hat. Ich freue mich darauf, mit den Mädels im Team und vor den Fans zu spielen“, erklärt die 29-jährige Schwedin.

Sieben Treffer gegen Deutschland

Wie gut Carlson ist, bekamen die deutschen Frauenhandball-Fans erst am vergangenen Sonntag zu sehen. Im zweiten Gruppenspiel des olympischen Turniers führte die Spielmacherin das Tre-Kronor-Team zu einem ungefährdeten 31:28 (19:12)-Erfolg gegen Deutschland. Die 29-Jährige war dabei mit sieben Treffern die beste Schützin ihrer Mannschaft. Auch in der Ludwigsburger MHP-Arena ist die Spielmacherin keine Unbekannte. In den vergangenen beiden Spielzeiten lief sie jeweils mit dem französischen Vizemeister Brest Bretagne in der Champions League in der Barockstadt auf.

Die gebürtige Göteborgerin stammt aus einer sportbegeisterten Familie. Während ihr Vater Fußball spielte, war ihre Mutter Handballspielerin und trainierte das Team von Jenny Carlsons großem Bruder. Dadurch begann auch Carlson selbst bereits im Alter von fünf Jahren mit Handball und spielte insgesamt 14 Jahre bei ihrem Heimatverein Kärra HF. Mit dem Wechsel zum schwedischen Erstligisten Lugi HF nahm ihre Karriere ab 2014 richtig Fahrt auf. In vier Jahren in Lund im Südwesten Schwedens entwickelte sich die Rechtshänderin zur Leistungsträgerin und einer der besten Torjägerinnen der Liga. Ab 2018 spielte Carlson in Dänemark mit Stationen bei Ringkøbing Håndbold, EH Aalborg und Holstebro Håndbold. Im März 2022 wurde Carlson von Brest Bretagne Handball verpflichtet und dort in den vergangenen drei Jahren jeweils französischer Vizemeister. In der Champions League war die schwedische Spielmacherin in der Saison 2022/23 mit 39 Treffern Brests Topscorerin und zählte auch in der vergangenen Spielzeit zu den besten Akteurinnen der europäischen Königsklasse auf Rückraum Mitte.

Colitis ulcerosa diagnostiziert

Dabei stand ihre Karriere schon vor dem Aus, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte. Mit 18 Jahren wurde bei Carlson Colitis ulcerosa diagnostiziert, eine chronische Autoimmunerkrankung des Darms, an der auch ihr Vater litt. Ein Jahr zuvor war die Krankheit bereits ausgebrochen. „Es waren immer Schübe – mal ging es mir besser, mal richtig mies. Ich verlor ganz schön viel Gewicht und lag im Sommer 2013 auch lange im Krankenhaus“, erzählt die Schwedin auf der Homepage des europäischen Verbands. Medikamente schlugen aber kaum an. „Ich lernte, die Symptome zu überspielen, und realisierte gar nicht, dass ich Kompromisse einging. Im Training konnte es mir beispielsweise Schwarz vor Augen werden, weil ich keine Energie mehr hatte, aber ich machte immer weiter. Ich sagte mir, ich kann das – und zwang mich durch die Schmerzen, die ich spürte“, berichtet sie weiter.

Vorbild für andere Erkrankte

Fünf Jahre lang ging das so, dann wurde ihr doch operativ ein Teil ihres Darms entfernt und ein künstlicher Darmausgang gelegt, als sie in Ringkøbing unter Vertrag stand. Zwar musste sie den Rest der Saison 2018/19 pausieren, doch seitdem nahm ihre Karriere richtig Fahrt auf. Rund zwei Jahre nach der OP wurde sie zum ersten Mal in die Nationalmannschaft berufen, nachdem sie schon für die schwedischen Jugend- und Juniorinnen-Nationalteams aufgelaufen war. Seit ihrem Debüt in der A-Nationalmannschaft gehört sie mit 183 Toren in 65 Länderspielen auch im Tre-Kronor-Team zu einer festen Größe. Der große Wurf fehlt aber noch. Zuletzt gingen die Schwedinnen immer leer aus – Vierte bei der WM 2023, jeweils Fünfte bei den Welttitelkämpfen 2021 und bei der Europameisterschaft 2022 sowie Vierte bei den Olympischen Spielen in Tokio 2021.

Mit ihrer Krankheit geht Carlson ganz offen um. Sie hat sogar eine Instagram-Seite unter @athletewithstoma, auf der sie auf die Krankheit aufmerksam macht und anderen Betroffenen zur Seite steht.

 
 
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