Im Sand wird ein Wohnhaus über einem Unterstand gebaut Über einem Bunker wohnen

Von Rena Weiss
In der Großingersheimer Straße in Bietigheim-Bissingen soll ein Haus mit 14 Wohnungen entstehen. Das Besondere daran: Das Gebäude wird auf einem alten Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg errichtet. Hinter dem rechteckigen Bunker ist die sogenannte Glocke zu sehen, die zur Beobachtung genutzt wurde. ⇥ Foto: Martin Kalb

In der Großingersheimer Straße wird gebaut, doch beim Ausheben der Baugrube wird ein Bunker sichtbar. Nun wird das Wohnhaus einfach darauf erbaut.

Wer die letzten Wochen in der Großingersheimer Straße in Bietigheim-Bissingen unterwegs war, dem wird aufgefallen sein, dass gegenüber der Schillerapotheke gebaut wird. Nichts Besonderes eigentlich, doch beim Ausheben der Baugrube staunten einige Bietigheim-Bissinger nicht schlecht: Unter der Erde versteckte sich ein Bunker. Auf Luftschutzkeller ist Architekt und Geschäftsführer des zuständigen Büros KMB, Michael Kerker, schon häufiger gestoßen. Ein Bau auf einem Bunker sei für ihn jedoch das erste Projekt dieser Art.

Keine Sprengung

Eine Überraschung war es für Kerker jedoch nicht, denn dass sich hier ein Kleinbunker befindet, sei seit Längerem bekannt. „Der Bunker steht unter Denkmalschutz. Er ist einer der letzten erhaltenen“, sagt der Architekt. Er wurde vermutlich in den 1920er-/1930er-Jahren errichtet und ist ein Beobachtungsbunker der Neckar-Enz-Stellung.

Der Unterstand wurde nach dem Krieg nicht gesprengt, wie die meisten anderen, sondern es wurden nur die Türen und Inneneinrichtung entfernt, heißt es in einem Bericht von Patrice Wijnands, der 2014 als ehrenamtlicher Beauftragter den Bunker für das Landesdenkmalamtes besichtigte und dokumentierte. „Es standen schon Häuser darum herum und da hat sich wohl keiner getraut, den Bunker zu sprengen“, vermutet Kerker. Sogar die sogenannte Kleinstglocke 9aP7 blieb erhalten und das dürfte die einzige Glocke sein, die überhaupt noch in Baden-Württemberg erhalten ist, heißt es im Bericht weiter. Diese Kuppel diente den Soldaten als Beobachtungspunkt. Während der Bunker vergraben war, ragte die Glocke über die Wiese hinaus. Eine Leiter aus Metall führte einst in den Schacht zur Kleinstglocke, in der ursprünglich ein Sitz war. „Es ging nur darum, Beobachtungen für die Infanterie zu gewinnen“, heißt es im Bericht. Die Glocke sei weder für Artilleriebeobachtungen noch zur Feuerabgabe geeignet.

Später wurde das Bauwerk zum Teil mit einem Gartenhaus überbaut und innen als Bunkerbar eingerichtet. Dazu wurden die Wände und Deckenträger gestrichen, aber sehr schonend und qualitativ hochwertig, sämtliche Beschriftungen wurden ausgespart, befand Landesamt für Denkmalpflege. „So hat der Bunker Jahrzehnte überdauert“, sagt der Architekt.

Vier Personen haben darin Platz, so Kerker weiter. „Die Eingangshöhe ist nur so hoch, dass man in gebückter Haltung hinein kann.“ Von dort aus geht es eine schmale Treppe hinunter. Im Bunker selbst gibt es unter anderem verschieden Wandnischen und einen Bereitschafts- und Beobachtungsraum. Der Bereitschaftsraum ist etwa 2,10 Meter hoch. Darin befinden sich elf Haken für Hängematten, so das Landesdenkmalamt. Zudem gibt es in dem Bunker eine Entgiftungsnische, eine passive und aktive Gasschleuse; Nischen für Maschinengewehr-Schlitten, Munition sowie Schanz- und Werkzeug. Die Nischen sind jeweils mit Schildern beschriftet, die der Besitzer des Gartenhäuschens glücklicherweise nicht überstrichen hatte. Auch eine Nische für einen Klapptisch und -sitz hat es im Bunker.

Keine Last auf dem Bunker

„Es ist sehr interessant für mich“, sagt Kerker zu den Arbeiten rund um den Bunker. Bevor überhaupt los gelegt werden konnte, musste der  Bunker frei gegraben werden. Dies wurde im Zuge der Aushebung der Baugrube gemacht. Je nach Witterung werde diese Woche mit dem Rohbau begonnen. Obwohl ein Bunker als stabiles Gebäude konzipiert sei, wisse man nicht, wie er gebaut wurde und was sich darunter verbirgt, so dürfe das neue Haus nicht einfach auf den Bunker augesetzt werden. Zunächst müsse der Bunker mit Styropor oder einer Dehnfugenhülle umhüllt werden. Damit soll gewährleistet werden, dass der Bunker den Neubau nicht berührt und somit keine Last trägt.

„Später ist er im Kellerbereich des Neubaus.“ Mit später mein der Architekt etwa Mitte 2022, dann soll das Mehrfamilienhaus mit 14 Wohnungen eines privaten Bauherrn fertiggestellt sein. Für die Bewohner werde er sogar zugänglich sein, ergänzt Kerker. Für die Dauer der Bauarbeiten ist die Türe jedoch zugeschraubt. „Er ist gesichert und wird erst wieder gegen Ende des Bauvorhabens aufgeschraubt.“ So werde zum einen der Bunker nicht beschädigt und zum anderen gewährleistet, dass sich keiner darin verletzt. „Die künftigen Bewohner haben die einmalige Chance, einen Bunker im Haus zu haben. Er wäre sogar noch funktionsfähig“, sagt der Architekt scherzhaft. Es bleibt zu hoffen, dass er nicht wieder gebraucht wird.

2010 entdeckten Archäologen des Landesdenkmalamtes ein Skelett zweieinhalb Kilometer nördlich des heutigen Bietigheims im Brachbergtal. Es war ein Römer, der irgendwann in der Zeit nach 220 n. Chr. lebte. Neben dem Skelett wurden auch weitere aufschlussreiche Funde am Brachberg gemacht wie Spuren einer Taberna und einer metallverarbeitenden Werkstatt. Auf der Suche nach weiteren Funden wurde der Bunker in der Großingersheimer Straße wiederentdeckt und 2014 von Patrice Wijnands als ehrenamtlicher Beauftragter dokumentiert.

Zur Neckar-Enz-Stellung

Die Neckar-Enz-Stellung wurde von 1935 bis 1938 gebaut. Sie ist eine als Verteidigungslinie entworfene Bunkerline und entstand gemeinsam mit der Wetterau-Main-Tauber-Stellung bei Frankfurt und der Bayerisch-Tschechischen-Grenzstellung an der dortigen Grenze in einem Konzept aus der Weimarer Republik, deren nach dem Versailler Vertrag kleines Heer einem gleichzeitigen Angriff von Frankreich und der Tschechoslowakei nicht gewachsen war. Um im Fall eines Krieges eine schnelle Durchschneidung Deutschlands zu verhindern, wurden so diese drei Bunkerlinien geplant, die aber erst in den frühen Jahren des NS-Regimes realisiert wurden, sagt der Diplom-Ingenieur und Beauftragter des Landesamt für Denkmalpflege, Patrice Wijnands. Das NS-Regime war sich der militärischen Schwäche Deutschlands anfangs sehr bewusst und so passten diese frühe Bunkerlinien in diese erste Phase der Aufrüstung.

Das Besondere an diese Bunkerlinien sind ihre frühe Bunkertypen, wovon wir sonst nur Entsprechungen in parallel gebauten Bunkerlinien der "Ostbefestigungen" kennen, die heute praktisch alle auf dem Territorium der heutigen Republik Polen liegen. Die Weiterentwicklungen dieser Bunkertypen finden sich danach in den ab 1936 gebauten Westbefestigungen und ab 1938 sogenannten Westwall an der westlichen Grenze zwischen Kleve und Basel. Auch hier anfangs defensiv entworfen, jedoch ab 1938 ganz eindeutig in Zusammenhang mit dem Einstieg des NS-Regimes in die Eroberung ihres Lebensraumes in Ost- und Südosteuropa ausgebaut, und damit eigentlich einem offensiven Zweck dienend, der zudem darauf abzielte die dortige Bevölkerung nach rassistischen Motiven zu unterteilen und zu töten, und mit dem geraubten Mitteln der eroberten Staaten auch die teure Aufrüstung und damit auch den Bunkerbau nachträglich zu finanzieren.

Einmalige Glocke

Der erhaltene Bunker 323 in Bietigheim-Bissingen aus 1935 gehört noch zum ersten Baujahr der Necker-Enz-Stellung und diente als Unterstand für Infanteriesoldaten, geschützt gegen die Einwirkung von der Artillerie, die ein Gegner bis grob eine Woche hätte heran transportieren können. Das Besondere ist nicht nur der erhaltene Zustand, sondern auch die kleine (teure) stählerne Beobachtungsglocke in der Decke, das einzige Exemplar in Baden-Württemberg. Damit nimmt das Bauwerk einen hohen Stellenwert in der Denkmallandschaft der Westbefestigungen in Baden-Württemberg ein, wovon aber jedes Bauwerk, auch die vielen Bunkerruinen und bewusst losgelöst von verklärender militärischer oder technischer Faszination nach dem Motto "der Zweite Weltkrieg war auch vor deiner Haustür", geeignete Aufhänger bieten um Zusammenhänge aus der Zeit des NS-Regimes zu hinterfragen und ihre Parallelen in der heutigen Zeit helfen zu erkennen: Themen wie bewusste Falschnachrichten, Verschwörungstheorien, scheinbare "einfache Lösungen", versteckte Diskriminierung und Pauschalierung von Bevölkerungsgruppen oder Abschottung von Grenzen sind heute noch immer hoch aktuell. So regt jeder Bunker an zum "Denk-mal", fomuliert es Wijnands passend.
 

 
 
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