Bis zum Herunterfahren des Atomkraftwerkes in Neckarwestheim im April 2023 konnte man am Horizont in Richtung Husarenhof von Großingersheim aus ein ungewöhnliches Bild bestaunen. Vor der riesigen Dampfwolke des Kraftwerkes, die in den blauen Himmel aufstieg, war das rund 180 Meter hohe Windrad zu sehen. Besser zeigte sich der Gegensatz zwischen einer gefährlichen und einer ungefährlichen Technologie der Energieerzeugung nicht.
Ingersheim Eine Anlage, die sich rechnet
Das Windrad hat 2023 einen Jahresertrag von 3,799 Millionen Kilowattstunden erzielt. Die Dividende für die Genossenschaftsmitglieder liegt bei vier Prozent.
Das Ingersheimer Windrad ist auch nach mehr als zwölf Jahren Betrieb immer noch die einzige Anlage dieser Art im Landkreis Ludwigsburg und inzwischen weit mehr als ein grünes Wahrzeichen. So wurde 2023 laut Diplom-Ingenieur Dieter Hallmann, Vorstand der federführenden und im März 2010 gegründeten Energiegenossenschaft Ingersheim und Umgebung eG, ein Jahresertrag von 3,799 Millionen Kilowattstunden erzielt.
Der Entschluss, ein Windrad zu bauen, wurde schon vor 2010 von Gutachten und eigenen Simulationen flankiert, erinnert sich Hallmann. „Ich war auch davon überzeugt, dass es wirtschaftlich darstellbar ist und wir nicht nur ein grünes Symbol in die Landschaft stellen wollten. Das war die Hauptmotivation, weil wir die Gegenargumente als völlig falsch angesehen haben.“ Ein Antrieb war auch, Bau, Betrieb und Auswirkungen auf eine sachliche Basis zu stellen.
Umstritten von Anfang an
Umstritten war die Anlage von Anfang an. Nach Bekanntwerden der Pläne fand im März 2010 in Ingersheim eine erste Bürgerversammlung statt. Windkraft ja, aber nicht in Ingersheim, so die Kritiker. Infraschall, Schattenschlag und die Nähe zur Bebauung wurden gegen das Windrad ins Feld geführt. Die Befürworter strichen die Alternative zur Atomkraft heraus, die geringe Belastung der Umwelt und verwiesen auf eine Energiequelle, die praktisch unerschöpflich ist und keinen Müll hinterlässt. In der Folge kochten die Emotionen hoch und der Ton wurde immer schärfer.
Im Zentrum der Kritik standen damals der Ingersheimer Bürgermeister Volker Godel, der ohne Vorbehalte hinter dem Projekt stand, und Hallmann, der stets mit Fakten argumentierte. Im Januar 2011 beschied das Landratsamt einen entsprechenden Antrag der Betreibergenossenschaft positiv und genehmigte den Bau damit grundsätzlich. Die Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegnern war damit jedoch noch nicht entschieden.
Widerspruch von „Gegenwind“
So lag der Behörde zu diesem Zeitpunkt ein Widerspruch der Bürgerinitiative Gegenwind gegen die Genehmigung vor, eine Klage war angekündigt. Nach einer Hängepartie wurde im September 2011 schließlich die Baugrube für das Windrad ausgehoben, zwei Monate später wies das Verwaltungsgericht Stuttgart einen Eilantrag zweier Nachbarn der geplanten Anlage gegen den Sofortvollzug der Baugenehmigung zurück. Nach der Rotormontage im März 2012 wurde das Windrad im April 2012 schließlich in Betrieb genommen. Auch nach der Inbetriebnahme habe man transparent und mit viel Öffentlichkeitsarbeit vor allem die kritischen Themen aufgearbeitet, so Hallmann. Etwa Infraschall, zu dem man ein Forschungsprojekt initiiert hatte. Dies sei in der Genossenschaft allerdings umstritten gewesen, weil es auch hätte anders ausgehen können und damit die Anlage in Frage gestellt worden wäre. „Mittlerweile wird deutschlandweit wahrgenommen, wie wir in Sachen Windrad Aufklärungsarbeit geleistet haben.“
362 Mitglieder
Die Energiegenossenschaft Ingersheim hat 362 Mitglieder, die das Windrad finanziert haben. Hallmann: „Weil wir nicht wussten, ob ein zweites Windrad folgen könnte, konzentrierte sich die Genossenschaft zunächst auf dieses eine Projekt.“ Im Prinzip ist das Windrad ein Finanzierungsmodell. Die Mitglieder wurden Miteigentümer am Windrad und konnten 20 Mindestanteile für insgesamt 2500 Euro erwerben. Dieses Geld wurde zur Finanzierung des Windrades verwendet, ergänzt um ein Darlehen und bei einer Eigenfinanzierung von weit über 70 Prozent, so Hallmann. Jedes Jahr wurde ein Anteil zurückbezahlt, nach fünf Jahren zwei Anteile. Nach 15 Jahren sind alle Anteile wieder ausbezahlt, bis auf zehn Prozent verbleibend. Hallmann: „Die Mitglieder haben somit ihr Geld wieder zurück und bekommen darüber hinaus eine Dividende, die jedes Jahr in Abhängigkeit der Gewinnlage von der Generalversammlung beschlossen wird.“ Die Dividendenhöhen lagen am Anfang zwischen 1,5 bis zwei Prozent, mittlerweile beträgt sie vier Prozent. Nach zehn Jahren konnten auch alle Darlehen zurückbezahlt werden. „Wir sind jetzt praktisch schuldenfrei. Ein Erfolgsergebnis, was niemand erwartet hatte.“
Das Genossenschaftsmodell wäre auch ein Modell für eine zweite Anlage. Momentan weist die Region die Vorranggebiete neu aus, aber der Ingersheimer Standort ist im ersten Entwurf nicht dabei. Bürgermeisterin Simone Lehnert übte harsche Kritik an dieser Entscheidung der Region, gegen den Entwurf hat die Kommune mit einem einstimmigen Beschluss des Gemeinderates einen Vorschlag eingebracht, Ingersheim als weiteren Standort aufzunehmen. Damit komme man in Ingersheim der Region mit einem Standort entgegen, so Hallmann. Dies sei im Grunde ein Politikum, weil die Region die Aufgabe habe, zwei Prozent der Flächen für weitere Windräder auszuweisen. „Unser Vorschlag würde diesem Ziel entgegenkommen, wird aber nicht berücksichtigt. Dies ist widersinnig.“ Hinzu kommt die Vorgabe, eine Windleistungsdichte von 215 Watt pro Quadratmeter zu erreichen, dies sei in Ingersheim nicht der Fall. Für Hallmann eine politisch motivierte Vorgabe, die man nicht nachweisen müsse, weil man mit eigenen Daten besser wisse, wie eine Anlage schon seit Jahren wirtschaftlich betrieben werden könne.
Wenn die Regionalversammlung dennoch einem Beschluss zustimmt, Ingersheim als Standort aufzunehmen, werde man in die nächsten Planungen einsteigen. Wie diese aussehen ist skizziert: Ein zweites Windrad, Standort Hoher Markstein, dazu eine immissonsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung mit einer Leistung von rund drei Megawatt und einer Turmhöhe von 138/160 Metern. Hinzu kommt ein Geschäftsszenario für die Erzeugung und Vermarktung von sieben bis neun Kilowattstunden Strom. „Ohne Planungssicherheit für einen Standort geht es jedoch nicht“, so Dieter Hallmann. Der Entscheidungsprozess werde sich jetzt schon um mindestens 1,5 Jahre verzögern, „die eigentlich verloren sind.“