Ingersheim Kies und Sand aus dem Neckar

Von Jörg Palitzsch
Weil sie zu spät kamen, drängten sich 13 Arbeiter in einen „Nachen“, der nur für sechs Personen ausgelegt war. In der Flussmitte kenterte das kleine Boot und alle landeten im Wasser. Foto: Heimatbuch Ingersheim

Die Arbeitsdisziplin in der Kiesbaggerei war hart. Eine Anekdote erzählt von einem Unglück mit einem „Nachen“, der Arbeiter ans andere Ufer bringen sollte.

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg spielte der Neckar eine wichtige Rolle im Arbeitsleben der Großingersheimer Bevölkerung. So wurde eine Kiesbaggerei am gegenüberliegenden Pleidelsheimer Ufer betrieben. Für viele Kleinbauern bot dieser Betrieb eine willkommene Möglichkeit, neben der Landwirtschaft ein zusätzliches Einkommen zu erzielen. Die Arbeiter wurden täglich mit einem sogenannten „Nachen“ über den Fluss zur Arbeitsstelle gebracht. Ein Nachen ist ein kleineres kompaktes, flaches Boot für die Binnenschifffahrt. Ein Kahn ist dagegen ein flaches, aber etwas größeres Arbeitsboot, das als Lastschiff und Schleppschiff diente.

Harte Arbeitsdisziplin

Eine Anekdote aus dieser Zeit, die im Ingersheimer Heimatbuch nachzulesen ist, verdeutlicht sowohl die harte Arbeitsdisziplin in der Kiesbaggerei, als auch die improvisierten Arbeitsbedingungen jener Jahre. Eines Morgens hatte der Fährmann, der aus Pleidelsheim stammte, offenbar verschlafen. Der Nachen lag morgens um 6 Uhr immer noch auf der Pleidelsheimer Neckar-Seite, als sich bereits der strenge Arbeitgeber näherte. In der Panik, den Zorn des Chefs auf sich zu ziehen, drängten sich alle 13 Arbeiter in den Nachen, der nur für sechs Personen ausgelegt war. In der Flussmitte kenterte das kleine Boot und alle landeten im Wasser. Glücklicherweise konnten alle schwimmen, und es kam niemand ernsthaft zu Schaden.

Die Kies- und Sandentnahme am Neckar hat eine lange Geschichte. Ältere Einwohner erinnern sich noch gut an die Zeiten, in denen oberhalb eines Wehrs Kies und Sand aus dem Flussbett gewonnen wurden. Der Neckar lagerte dort, wo sich die Strömung verlangsamte – etwa an Biegungen, unterhalb von Wehren und an Stauanlagen – erhebliche Mengen an Kies und Sand ab.

Die Gebrüder Fritz

Bereits um die Jahrhundertwende nutzten die Gebrüder Christian und Gottlob Fritz diese natürlichen Ablagerungen für ihre Kiesgewinnung. Mit einem zwölf Meter langen Nachen und einer sogenannten „Kieshaue“ – einem gelochten Metallgefäß an einer langen Stange – wurde das Kies-Sand-Gemisch vom Flussboden gehoben. An der „Fährlinde“, einer flachen, eingetieften Stelle im Flussbett, die durch den wiederholten Betrieb einer Fähre entstand, befand sich ein Lagerplatz, an dem das Material per Hand getrennt und anschließend mit Fuhrwerken abtransportiert wurde.

Mit der zunehmenden Nachfrage nach Baustoffen wie Beton und Mörtel wurde die Arbeit mechanisiert. Ab etwa 1908 betrieb die Firma Nanz und Strohäcker eine größere Kiesbaggerei zwischen dem sogenannten „Geisinger Rank“ und dem Wehr. Die geförderten Massen wurden auf Schiffe verladen und flussaufwärts bis zum Kieswerk gezogen – zunächst mit Pferden. Dort erfolgte die maschinelle Trennung der Körnungen in einer Siebtrommel, nach dieser „Wäsche“ wurde das Material per Zug weitertransportiert. Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich diese Technik fort, wurde aber in der Inflationszeit wirtschaftlich unrentabel. Zusätzlich zerstörte ein Hochwasser das im Neckar installierte Stauschild, eine künstliche Barriere, die verwendet wurde, um den Wasserstand zu regulieren – was zum Ende für die Schifffahrt auf diesem Abschnitt führte. Der Grund: Ohne Stauschild war die Fahrwassertiefe für die Kiesschiffe nicht mehr vorhanden. Lange Zeit zeugten noch einige Betonruinen am Pleidelsheimer Ufer vom einst regen Treiben der Kiesbaggerei am Neckar. Diese Ruinen konnte man sehen, als man im heutigen Alt-Neckar im Sommer noch baden konnte. Dort gilt ein von Landratsamt verordnetes Betretungsverbot.  

 
 
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