Kamala Harris, US-Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, habe es verstanden, dass die Mittelschicht wieder eine politische Heimat bekommen müsse. Donald Trump habe nur die Reichen gefördert, „die weniger Privilegierten sind durchs Raster gefallen“, so Harald Leibrecht im BZ-Interview über die Themen des US-Wahlkampfes.
Ingersheim US-Wahl: Große Chancen für Kamala Harris
Der frühere Bundestagsabgeordneter Harald Leibrecht hat die amerikanische und deutsche Staatsbürgerschaft. Die demokratische Präsidentschaftskandidatin verbreite Aufbruchstimmung.
Wie zersplittert nehmen Sie die amerikanische Gesellschaft wahr?
Harald Leibrecht: Vor allem seit der Präsidentschaft von Donald Trump ist die Gesellschaft extrem zersplittert. Durch das Zwei-Parteien-System, bei dem nur einer gewinnen kann, polarisieren die Parteien schon immer. Aber Populist Trump hat es verstanden, das Land wirklich zu spalten. In allen gesellschaftlichen Fragen und auch im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Er wollte aus der NATO austreten und hinterfragt die globale Sicherheitspolitik. Ich habe viele Freunde in Amerika, aber die Spaltung beim Streit um die richtige Politik geht bis in die Familien hinein.
Ist die derzeitige Euphorie für Kamala Harris gerechtfertigt?
Absolut, wenn auch überraschend, weil Joe Biden bis zuletzt überzeugt war, der einzige und fähigste Kandidat der Demokraten zu sein. Jetzt ergreift Harris die Chance, wenn auch mit viel Show und wenig politischen Inhalten. Aber sie hat verstanden, eine Aufbruchstimmung zu wecken – auch bei denjenigen, die nicht zu den Trump-Anhängern zählen, und für die Biden aber trotzdem keine Alternative war.
Dennoch steht sie nicht für alle Amerikanerinnen und Amerikaner. Selbst Latinos bekennen sich zu Trump, obwohl er gegen Migranten Stimmung macht.
Trump schürte den Hass und setzt sich nicht für eine wahre Immigration ein, die wichtig in Amerika wäre. Anstatt den Millionen von Einwanderern, die schon seit Jahren im Land leben, zu integrieren und zu Steuerzahlern zu machen, lässt er sie im Ungewissen. Dies wird er wohl auch in einer zweiten Amtszeit vorantreiben.
Ob die Latinos Trump unterstützen, wage ich zu bezweifeln. Meine Erfahrung ist, dass die Latinos sagen, wir arbeiten hart und machen alle die Jobs, die die anderen US-Amerikaner nicht wollen. Sie wollen ihren Platz in der amerikanischen Gesellschaft.
Nach der ersten Wahlkampfphase mit vielen Emotionen, hat Harris in ihrer Nominationsrede vom „Wiederaufbau der Mittelschicht“ gesprochen. Ist das nicht etwas vage?
Der ganze Parteitag und alle Reden waren etwas vage. Man kann nur die Tendenz erkennen, in welche Richtung Harris in ihrer Politik gehen wird. Sie hat verstanden, dass die Mittelschicht wieder eine politische Heimat bekommen muss. Dies sind die Menschen, die den Karren ziehen, die Steuern bezahlen und an die zu denken ist allerhöchste Zeit.
Bei Trump wurden nur die Reichen gefördert, die weniger Privilegierten sind durchs Raster gefallen. Aber genau die wählen ihn auch, was ein Widerspruch in sich ist. Viele fühlen sich im Stich gelassen und wählen, was gegen das politische Establishment ist.
Harris will die Lebensmittelpreise senken.
In den Vereinigten Staaten gibt es eine wachsende Schicht, die eine schlecht bezahlte Arbeit hat und sich mit bis zu drei Jobs über Wasser halten muss. Für die zählt jeder Cent. Da kann ein Versprechen der Senkung der Lebensmittelpreise schon greifen, führt aber nicht zu einem besseren Lebensstandard der Menschen. Wobei die Jobmaschine in Amerika läuft, das kommt aber bei den weniger Qualifizierten nicht an.
Wie wichtig ist das Thema Abtreibung? Kamala Harris sagt, sie vertraue darauf, dass Frauen Entscheidungen über ihren eigenen Körper treffen können und die Regierung nicht vorschreiben solle, was sie zu tun haben, so wie Donald Trump es will.
Zumindest sollte die Regierung sicherstellen, dass die Frauen für sich selbst entscheiden können. Amerika ist ein hochmodernes Land, aber unter Trump hatte man das Gefühl, man sei in das Mittelalter zurückgefallen. Ob eine Frau ein Kind möchte oder nicht, ist ein Recht, das sich die amerikanische Gesellschaft schon vor vielen Jahren erkämpft hat.
Trump jammert viel über sich selbst, bietet seiner Anhängerschaft aber immer noch eine Erzählung von weißem Stolz.
Tatsächlich unterstützt Trump schon seit Jahren die Vormacht der Weißen und deshalb wird er auch von den evangelikalen Kirchen, der sogenannten Religiösen Rechten, unterstützt. Warum es immer noch schwarze Wähler oder Hispanics gibt, die Trump wählen, ist mir ein Rätsel.
Sie waren als Bundestagsabgeordneter lange Zeit Koordinator für die transatlantischen Beziehungen. Wie würde sich Ihrer Meinung nach ein Wahlsieg von Trump für Deutschland auswirken?
Zunächst wird es sich auch für die Vereinigten Staaten negativ auswirken und die Spaltung weiter vorantreiben. Außenpolitik spielt im Wahlkampf keine so große Rolle, wie etwa bei uns in Europa. Damit kann man in Amerika keine Wahlen gewinnen.
Trump ist ein erklärter Gegner der NATO, aber ohne die amerikanische Unterstützung ist sie ein zahnloser Tiger. Dass Trump Putin auch noch auffordert, europäische Länder anzugreifen, die nicht bereit sind genug in den Wehretat einzubezahlen, ist inakzeptabel und eine populistische Aussage.
Wer gewinnt die Wahl?
Im Moment sieht es für Kamala Harris gut aus, positive Signale kommen selbst aus den Reihen republikanischer Gouverneure und Senatoren.
Ein Sieg von Donald Trump wäre schlecht für die ganze Welt. Mit so einem US-Präsidenten kann man nicht in eine bessere Zukunft gehen.
Vielen Dank für das Gespräch.