Ingersheim Vom Zeichensaal auf die Baustelle

Von Jonathan Lung
Die Baustelle des neuen Jugendhauses im Ingersheimer Fischerwörth. Studenten und Experten bauen dort mit gebrauchten Baumaterialien. Foto: /Martin Kalb

Aus recycelten Schalen von Stuttgart 21 entsteht in Ingersheim ein neues Jugendhaus mit der Grundfläche einer Ellipse – ein Pionierprojekt.

Im Ingersheimer Fischerwörth entsteht etwas: Weithin waren am Dienstag die Stapel an Holzelementen sichtbar, ebenso wie der Kran, der die Elemente positionierte. Ursprünglich dienten die Elemente als Schalen für die Tunnel beim Bauprojekt Stuttgart 21 – nun soll daraus ein neues Jugendhaus mit der Grundfläche einer Ellipse entstehen: Recycling in der Architektur.

Wie man aus alten Bauelementen Neues bauen könne, ist die Frage des Forschungsprojekts „Stuttgart 210: weiterdenken - weiterbauen“. Ein Teil davon ist das „Reallabor Pavillon Re-Use S21“ mit dem Pavillon als Jugendtreff.

So viel Holz wie möglich

Aus Klimaschutzaspekten sollte man so viel wie möglich mit Holz bauen, davon ist Projektleiter Roman Kreuzer überzeugt. Denn das verarbeitete Holz speichert CO2 und bindet es, ebenso wie neue Aufforstungen. Bis es eventuell entsorgt wird, verfault oder verbrennt, was das gespeicherte CO2 wieder freisetzt.

Das Bauen sei beim Klimaschutz „der Elefant im Raum“, so Kreuzer. Solange es hier keine Veränderungen gebe, würden auch Einsparungen in anderen Sektoren nur bedingt etwas bewirken. „Wie kann man mit Re-Use-Elementen bauen, damit das CO2 nicht wieder in die Atmosphäre gelangt?“, ist die zentrale Frage, unter der die jungen Architekten nun Erfahrungen sammeln. Projekte, bei denen solche Re-Use-Elemente tragende Funktionen in Gebäuden übernehmen, gebe es dabei deutschlandweit noch nicht, erklärt Kreuzer.

Das Forschungsprojekt funktioniert dabei wie eine universitäre Summer School: Insgesamt 43 Studenten und Studentinnen von drei internationalen Partnerhochschulen (CEPT Ahmedabad/Indien, ITÜ Istanbul/Türkei, HFT Stuttgart) und des Master-Studiengangs IMIAD (International Master of Interior-Architectural Design (Internationaler Master für innenarchitektonisches Design) nehmen daran teil.

Nur dass das gemeinsame Lernen der angehenden Architekten bei dieser Summer School nicht im Zeichensaal stattfindet, sondern direkt auf der Baustelle.

Das Jugendhaus in Ingersheim ist dabei eines von insgesamt vier Reallaboren, in denen im Projekt Möglichkeiten zur Wiederverwendung der recycelten Bauhilfsmittel untersucht und als kleine Architekturen umgesetzt werden. In Stuttgart Vaihingen wird noch ein Circuleum, ein stützenfreier, runder Raum mit einem Gesamtdurchmesser von 22 Metern, gebaut.

In Marbach entsteht zudem eine überdachte Fahrradstation. Und in Mannheim ein Experimentalbau mit einer Grundfläche von etwa zehn mal zwölf Metern, in dem von einer Mensa für Schüler über einen Bewegungsraum für einen Kindergarten bis hin zu einem Aufwärmraum für Obdachlose unterkommen könnten.

Gemeinde meldet Interesse an

Als sie von dem Projekt hörte, meldete die Gemeinde Ingersheim Interesse an einem Jugendtreff am Neckar an. Der Entwurf zeichnet sich durch einen „spektakulären Innenraum“ aus, beschreibt es die Gemeinde, der von den Holzoberflächen der gereinigten Schalungselemente geprägt wird. Im Dezember 2023 wurden die Bauteile nach Ingersheim gebracht und gesichert. Nach der Entwurfs- und Genehmigungsplanung folgte im März 2024 der Bauantrag. Die recycelte Bausubstanz gab es dabei kostenfrei.

Als am Dienstagvormittag der Kran die Elemente für den Innenraum in Stellung brachte, war man im Zeitplan. In der kommenden Woche soll mit den Studenten die Hülle rundum angebracht werden. Die Einweihung ist für den 19. Juli geplant.

 
 
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