Jahrhundertcheck: Ingersheim Wandel als Herausforderung für die Zukunft

Von Jörg Palitzsch
Großingersheim um 1935: Von der Martinskirche (Mitte) aus zieht sich links ein schmales Band von Wohnhäusern in Richtung Bietigheim. 1933 gab es 1775 Einwohner, heute sind es in beiden Ortsteilen über 6000. Foto: ⇥Fotos: Heimatbuch Ingersheim, Kleiningersheim in früher Zeit, Martin Kalb

Die Gemeinde Ingersheim ist bis heute stark landwirtschaftlich geprägt, Gewerbeansiedlungen erfolgten in den letzten Jahrzehnten nur zaghaft.

Wer von Bietigheim-Bissingen aus auf Ingersheim zufährt, sieht rechter Hand den  modernen Komplex der Firma ACPS Automotive. Der erste Eindruck trügt. Ingersheim hat sich in den letzten 100 Jahren nicht wirklich von einer landwirtschaftlich geprägten Gemeinde hin zu einem florierenden Industriestandort entwickeln können, wie dies etwa die Nachbarn in  Pleidelsheim in den letzten Jahren mit zahlreichen Gewerbeansiedlungen vollzogen haben.

Schon immer konnte sich die Ingersheimer Landwirtschaft auf ertragssichere Ackerböden stützen. Alle bekannten Feldfrüchte gedeihten gut und sorgten für den Lebensunterhalt vieler Generationen. Dort, wo die fruchtbare Lösdecke fehlte, errang auf den weniger optimalen Lagen für den Ackerbau die Mostobst- und Tafelobsterzeugung eine Blütezeit.

Frühe Aufzeichnungen listen im Jahr 1852 insgesamt 13 000 Obstbäume in beiden Ortsteilen auf, 1940 waren es dann über 18 300 – allein in Großingersheim. Pflege und Vermarktung des Obstes lag in den Händen des 1928 gegründeten Obst- und Gartenbauvereins Großingersheim. 1933 wurde in der Kelter eine vereinseigene Obstvermittlung eingerichtet, die im gleichen Jahr einen Umsatz von 3700 Zentnern Most- und Tafelobst im Wert von 21 000 Mark erzielte. Um auf das eigene Obst aufmerksam zu machen, beschickten die Ingersheimer Ausstellungen in Bietigheim und Lauffen, ein Höhepunkt in der Obsterfassung wurde 1937 mit 12 040 Zentnern erreicht.

Mit der Motorisierung der Landwirtschaft erfolgte seit 1950  ein tiefgreifender Strukturwandel. Anstatt mit einem Gespann die Feldarbeit zu erledigen, wurden jetzt starke Schlepper und leistungsfähige Geräte eingesetzt. Gleichwohl hat die Landwirtschaft auch in Ingersheim einen großen Konzentrationsprozess hinter sich, wie ein Blick in das Zahlenmaterial des Statistischen Landesamtes zeigt:

1873 gab es noch 322 landwirtschaftliche Betriebe im Ort. 1950 waren es 274, im Jahr 1978 noch 113, 1999 noch insgesamt 37 und 2016 wurden lediglich noch 20 Betriebe gezählt. Betrachtet man erneut das Jahr 1873, so hatten 163 Betriebe in der Größengruppe 2 bis 5 Hektar einen Anteil von 59 Prozent an der bewirtschafteten Fläche. Mehr als 100 Jahre später hat sich dieses Bild gewandelt. 1978 gab es 32 Betriebe, die mit einer Größe zwischen 10 bis 50 Hektar 78 Prozent der Fläche bewirtschafteten, weitere Zahlen zeigen den durchgreifenden Wandel auf: 1999 gab es noch 8 Betrieb mit einer Bewirtschaftungsfläche zwischen 20 und 50 Hektar, 2016 noch 5.

Die Konzentration und der starke Rückgang der Landwirtschaft, die in Ingersheim immer noch ortsbildprägend ist und die man zu großen Teilen im Nebenerwerb betreibt, wurde immer wieder von kleinen Wirtschaftsaufschwüngen begleitet.

Arbeit gibt es im Kieswerk und beim Bau des Neckarkanals

Vor der Jahrhundertwende 1900 gab es mit dem Kieswerk Strohhäcker nur einen größeren Betrieb, der zwischen 20 und 30 Menschen beschäftigte. Auch beim Bau des Neckarkanals bei Pleidelsheim für das Kraftwerk fanden 1911 bis 1912 viele Ingersheimer Arbeit.

Vor dem Ersten Weltkrieg waren es  Handwerker, die den technischen Anforderungen der damaligen Landwirtschaft vollauf genügten. Es gab Wagner, Schmiede und Sattler im Ort. Maurer, Zimmerleute, Flaschner, Glaser und Schreiner bauten Wohn- und landwirtschaftliche Gebäude. Die Gründung der Spar- und Darlehenskasse Kleiningersheim 1910 und des Pacht- und Leihvereins Großingersheim, den die Spar- und Darlehenskasse Großingersheim 1924 ablöste, sorgten dafür, dass die Bürger ihr Geld anlegen konnten, Zinsen erhielten und Kredite aufnehmen konnten. Neben den Geldgeschäften versorgten die Institute die Bürger auch mit Dünge- und Futtermittel, Saatgut und Brennmaterial.

In der Talstraße siedeln sich größere Betriebe an

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm eine Möbelfabrik ihre Produktion wieder auf, es gab eine Motorenwickelei, Reparaturwerkstätten und Gärtnereien. In der Talstraße wurde ein Gewerbegebiet  ausgewiesen, in dem sich nach und nach eine Schuhfabrik (Sioux), eine Maschinenfabrik, eine Eisenbiegerei (Ansel & Leibbrand),  ein Rollladen- und Fensterfabrikunternehmen, eine Faß- und Behälterbaufirma (Rieger) sowie ein Getränkemarkt (Brose) niederließen. Im Jahr 1978 gab es in den Betrieben von Groß- und Kleiningersheim 546 Arbeitsplätze in 87 selbstständigen Betrieben. Man zählte 40 Vollerwerbslandwirte und in der Verwaltung 28 Vollzeit- sowie 15 Teilzeitbeschäftigte. 1970 hatte Ingersheim 3882, zehn Jahre später 4975 Einwohner.

Inzwischen ist die Einwohnerzahl von Ingersheim laut Statistik auf 6330 Einwohner angewachsen, es gibt mit dem Gröninger Weg ein weiteres Gewerbegebiet und mit „Beeten II“ ist eine neues Wohngebiet in Planung.

Das Unternehmensregister wies 2008  267 Unternehmen mit steuerbarem Umsatz im Ort aus, in denen 647 sozialversicherungspflichtige Personen beschäftigt waren. Zehn Jahre später, 2018, waren es 238 Betriebe mit 599 Beschäftigten.

So wird der Wandel, weg von der Landwirtschaft, hin zu Dienstleistungen und Gewerbe, in Ingersheim zu einer Herausforderung für die Zukunft. Deshalb will die finanziell klamme Gemeinde  mit der sukzessiven Erweiterung des Gewerbegebiets für mehr Beschäftigung und  Gewerbesteuereinnahmen sorgen, um  die etwas zaghafte Entwicklung in den letzten Jahrzehnten wieder neu anzustoßen.

 
 
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