Anlässlich des Internationalen Tags der Katastrophenvorbeugung am Sonntag, 13. Oktober, hat die BZ mit dem Kreisbrandmeister des Landkreises Ludwigsburg, Andy Dorroch, gesprochen. Seit mittlerweile 20 Jahren ist er in dieser Funktion tätig. Im Gespräch blickt er unter anderem zurück auf das Pfingsthochwasser, spricht über aktuelle und zukünftige Herausforderungen des Katastrophen- und Bevölkerungsschutzes und die Notwendigkeit des geplanten Katastrophenschutzzentrums in Asperg für die Katastrophenbewältigung.
Katastrophenschutz im Kreis Ludwigsburg Stromausfall als „Master“-Katastrophe
Kreisbrandmeister Andy Dorroch spricht mit der BZ über das jüngste Hochwasser, Herausforderungen des Katastrophenschutzes und die Verantwortung der Bürger.
Wenn Sie auf das Hochwasser um Pfingsten zurückblicken: In welchen Bereichen sind Sie mit der Reaktion zufrieden?
Andy Dorroch: Zufrieden bin ich mit der Reaktion innerhalb unserer Verwaltung und der Übertragung unserer Kenntnisse in Richtung der Kommunen. Da waren wir wirklich gut. Wir haben uns sehr frühzeitig die Szenarien angeschaut und interpretiert, wohin die Reise gehen könnte.
Was hätte besser laufen können?
Uns stellt sich immer die Problematik: Wie ernst wird die Lage? Und wie intensiv oder aggressiv gehen wir vor, was die Warnung und Aktivierung angeht. Je genauer die Prognosen werden, umso sicherer können wir auch unsere Entscheidungen treffen. Ich bin der Meinung, wir müssen immer so agieren, dass wir auf der sicheren Seite sind. Das war zum Beispiel ein Thema in Steinheim. Da wurden zwei Seniorenheime geräumt, weil es, sofern die Prognosen eingetroffen wären, dort zu Überflutungen und einem Stromausfall gekommen wäre. Die Murr ist aber nicht so stark angestiegen wie befürchtet. Das ist der Zwiespalt. Wenn wir zu früh handeln, entsteht unnötig Unruhe, wenn wir zu spät agieren, sind die Schäden enorm. Die Bevölkerung muss uns vertrauen können. In diesem Fall war die Datenlage aber nicht überall optimal, weshalb wir zum Teil improvisieren mussten.
Mit welchen Instrumenten kann man in Zukunft genauere Prognosen treffen?
Es gibt sogenannte virtuelle Pegelsätze. Wenn wir wissen, wie der Neckarpegel in Plochingen ist, können wir ablesen, wie er bei uns ankommen wird. Das ist beim Neckar relativ gut zu messen. Problematisch sind die Starkregenereignisse. Beim Pfingsthochwasser war es so, dass wir Starkregen in Verbindung mit Hochwasser hatten, also einmal Wasser aus der Hanglage kommend und Wasser aus den Flüssen. Wenn sich diese Pegel überschneiden, dann haben wir ein richtig großes Problem. Diese Berechnungen sind nicht ganz trivial. Allein die Windgeschwindigkeit, also wie schnell die Gewitterzelle wieder weg ist, beeinflusst einen Pegel ganz schnell um bis zu 50 Prozent.
In welchen Bereichen sehen Sie Privatpersonen in der Verantwortung, sich vorzubereiten?
Hochwasserschutz und Katastrophenschutz sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Die Behörden können nicht alles regeln und organisieren. Bürgerinnen und Bürger sollten sich die örtliche Starkregengefahrenkarte und die Hochwassergefahrenkarte anschauen. Mein Garten liegt beispielsweise im 50-jährigen Hochwassergebiet. Deshalb habe ich mir Barrieren gekauft, um mich selbst und mein Haus zu schützen. Die Technik, Heizung und alle wichtigen Gerätschaften sind bei mir nicht im Keller, sondern im ersten Stock beziehungsweise unter dem Dach. Das ist eine private Vorsorge. Es gibt eine Holschuld und eine Bringschuld.
Und die Kommunen?
Kommunen müssen ihre Bevölkerung informieren: Wie verhalte ich mich bei Hochwasser, wo bekomme ich Informationen? Aber auch – da ist der Landkreis vorbildlich – beim Erstellen von Starkregengefahrenkarten. Wo haben wir in den Gemeinden Problemstellen? Welche kritische Infrastruktur ist betroffen? Wo müssen wir Schutzmaßnahmen treffen?
Welche Gefahren sehen Sie im Kreis sonst?
Eine „Master“-Katastrophe ist für mich der flächendeckende Stromausfall. Wenn wir den Stromausfall durchplanen, dann erhalten wir viele Szenarien, die ähnlich sind zu einem Hochwasser oder Orkan. Da haben wir dann zum Beispiel kein Trink- und Abwasser mehr und keine Heizung. Ob das aber aufgrund eines Stromausfalls oder eines Hochwassers geschieht, ist im Prinzip egal. Das haben wir deshalb intensiv geplant.
Welche Themen werden in Zukunft auf Sie zukommen?
Ein Punkt ist die Frage des Zivilschutzes im Verteidigungsfall. Die vielen kriegerischen Auseinandersetzungen sind eine Bedrohungslage, die nicht von der Hand zu weisen ist. Allerdings ist es in diesem Fall sehr schwer, Szenarien zu planen. Was wir erarbeiten müssen, sind aber etwa Möglichkeiten der Evakuierung von größeren Menschenmengen. Viel greifbarer sind hingegen die Folgen des Klimawandels, Hochwasser aber beispielsweise auch lange Trockenperioden. Wir haben als erster Landkreise in Baden-Württemberg einen Hitzeschutzaktionsplan ins Leben gerufen. Denn wenn man sich die Statistiken anschaut, sieht man, wie viele Menschen schon heute an der Hitze sterben. Vor zehn, fünfzehn Jahren war das noch gar kein Thema.
Die Folgen des Klimawandels sind real. Menschen, die das leugnen, negieren fundierte wissenschaftliche Fakten. Das sind keine Mitspieler im Katastrophenschutz.
Wie wirkt sich die Struktur der Freiwilligen Feuerwehr auf die Verfügbarkeit der Einsatzkräfte aus?
Wir sind im Landkreis mit unseren Berufsfeuerwehren und Freiwilligen Feuerwehren sehr breit aufgestellt. Insbesondere in den Freiwilligen Feuerwehren spürt man aber: Die Leute dort machen das aus Überzeugung und wollen ihrer Gemeinde helfen. Gerade im Katastrophenschutz brauchen wir auch Leute nach acht Stunden, nach 24 Stunden und vielleicht auch noch in der zweiten Woche.
Wie wichtig ist der Bau des neuen Katastrophenschutzzentrums für Ihre Arbeit?
Das ist ein ganz wichtiger Baustein für die Katastrophenbewältigung. Wir brauchen ein Zentrum, in dem wir die Katastrophen- und Krisenlenkung bewältigen können. Das haben wir aktuell nicht. Wir sind im Landratsamt, in den Feuerwehren, in der Leitstelle, wir haben ein Lager in Oberstenfeld – alles auf verschiedene Standorte verteilt und nicht gebündelt. Wenn das Katastrophenschutzzentrum nicht käme, würden wir um Lichtjahre zurückgeworfen werden.
Können Sie im Ernstfall jeden Bürger erreichen?
Wir waren im Kreis relativ schnell, als es um die Sirenenförderung ging. Da muss weiter Geld investiert werden, damit die Sirenenabdeckung bundesweit gegeben ist. Eine weitere Warnmöglichkeit sind die Apps, im Landkreis haben wir uns auf die Warn-App Nina verständigt. Als weitere, sehr wirksame Warnmethode steht den Bürgern der Cell Broadcast zur Verfügung. Da haben wir jetzt beim Warntag zum ersten Mal praktisch keine Beschwerden bekommen. Dass eine Sirene mal nicht funktioniert, kann immer vorkommen. Wenn man aber Medien, das Internet, Radio, Fernseher, Handy und Sirenen kombiniert, dann erreichen wir im Landkreis sehr viele Menschen. Alle werden wir nie erreichen können, wir haben aber mit dem genannten Warnmix sicherlich einen Erreichungsgrad von 80 plus X Prozent.
Wie sollte man sich privat auf einen möglichen Katastrophenfall vorbereiten?
Man sollte zunächst einmal wissen, wo das nächste Feuerwehrhaus ist. Ich empfehle, Lebensmittel und Wasser für mindestens eine Woche im Haus zu haben. Da gibt es Einkaufslisten vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Gut wäre zudem ein Radio mit Kurbelantrieb, worüber man Informationen bekommt. Kerzen, eine Taschenlampe mit Batterien, dann ist man schon gut ausgestattet.
Auch sollte man gedanklich mal durchspielen: Was wäre, wenn? Stellen wir uns vor, es fällt der Strom aus. Wie komme ich über die Runden? Der Herd funktioniert dann nicht mehr. Habe ich vielleicht einen Grill oder einen Gaskocher?