Seit vorigem Sonntag hat das Anna-Riecker-Haus seine ersten drei Bewohner. Nachmittags genossen sie erstmals gemeinsam Kaffee und Kuchen unterm Sonnenschirm auf der Terrasse.
Kirchheim Pionier-Projekt in Kirchheim startet
Die Pflege-WG ist im Kreis Ludwigsburg einmalig. Jetzt sind die ersten drei Bewohner eingezogen.
Ganz wichtig: Selbstbestimmung
„Wir wollen immer wieder gemeinsame Aktivitäten anbieten und die Bewohner zum Mitmachen motivieren“, sagt Melanie Kruse, Mitarbeiterin der Sozialstation Bönnigheim-Kirchheim-Erligheim und WG-Koordinatorin. „Aber es gibt keinen Zwang. Jeder kann selbst entscheiden, ob und was er machen möchte.“
„Und das ist richtig so“, bekräftigt Peter Schnurre, einer der ersten Bewohner. „Selbstbestimmt leben, das ist das Wichtigste. Auch im Alter“, sagt er. Und seine beiden Mitbewohner nicken.
Für die Bönnigheimerin Hannah Müller ist der erste Tag sehr interessant: Zurückhaltend beobachtet sie, was um sie herum vorgeht. Meldet sich aber stets zu Wort, wenn sie etwas klarstellen muss: „Ab heute bin ich Kirchheimerin“, sagt sie. Und gefällt es den Senioren in ihrem neuen Heim? „Ja, es gibt gar nichts zu kritisieren“, sagt Peter Schnurre. „Ich habe lange nach einer WG gesucht.“ Denn der gelernte Heilerziehungspfleger ist mit WGs vertraut. Und der tolerante Umgang miteinander sei sehr schön. Man könne sich zurückziehen, wenn und wann man möchte oder gemeinsam spielen, fernsehen oder basteln.
Aber gibt es nichts, was ihm nicht gefällt? „Nein“, sagt er. Carmen Scholl-Umbach überlegt: „Doch ich glaube schon. Dass ich gestern beim ‚Mensch ärgere nicht’ gewonnen habe“, sagt sie schmunzelnd unter dem Gelächter der anderen. Da geht Schnurre doch noch ein bisschen aus sich heraus: „Es wäre schön, wenn wir einen Sportraum mit einem Trainingsgerät hätten. Vielleicht liest das jemand und spendiert uns was?“ Auch Carmen Scholl-Umbach, die ein Faible für den Garten hat, hat einen Wunsch: „Wir hätten gerne ein Hochbeet, das man mit dem Rollstuhl unterfahren kann“, sagt sie und hofft auf einen geschickten Hobby-Bastler. „Dann könnten wir im Garten Gemüse anbauen und damit kochen.“ Die Bewohner finden die Idee gut, dann ein gemeinsames Kochbuch zu machen. Dort sollen alle Lieblingsrezepte rein. Denn natürlich wird in der WG selbst gekocht. Und wer kann, darf helfen. Der Bau eines ersten Vogelhäuschens hat bereits begonnen.
Angehörige helfen
Selbstverständlich dürfen auch die Angehörigen mit Hand anlegen. „Wir waschen die Bett- und Unterwäsche, die Angehörigen übernehmen die Oberbekleidung“, erklärt Melanie Kruse. Ein Hauswirtschaftsraum, eine große Küche und ein noch größerer Fernsehapparat machen die Gemeinschaftsräume nahezu perfekt. Die Zimmer der Bewohner werden von ihnen selbst mit persönlichen Dingen eingerichtet, für die Sauberkeit sind sie oder ihre Angehörigen zuständig. „Wir gehen nur in die Zimmer, wenn wir gerufen werden. Es ist der private Raum eines Jeden“, sagt Kruse. Und was für die Bewohner auch noch ganz wichtig ist: Es gibt keinen festen Stundenplan. „Die Bewohner bestimmen selbst, wann sie aufstehen oder ins Bett gehen wollen, wann sie frühstücken oder Mittag essen möchten“, sagt Melanie Kruse. „Wir sind aber da, wenn sie Hilfe brauchen.“ Wer sich weiter informieren möchte, darf gern vorbei kommen, ergänzt sie. Derzeit gibt es noch freie Plätze. Birgit Riecker