Könnte Bietigheim-Bissingen Modellstadt werden? Stadträte fordern Strategie zur Öffnung

Von Rena Weiss
Nordrhein-Westfalen ermöglicht seinen Kommunen, die Schließungen mit einem Konzept zu umgehen, das ein negatives Testergebnis zum Einkaufen in Einzelhandel vorsieht.⇥ Foto: Jonas Güttler/dpa

„Die Leute sind am Ende“, sagte Stadtrat Eberhard Blatter über Einzelhändler, Gastronomie und Kultur. Er erhofft sich von der Stadtverwaltung ein Konzept für mögliche Öffnungen.

Es ist mittlerweile fast schon Tradition, dass Oberbürgermeister Jürgen Kessing in den Gemeinderatssitzungen eine Zusammenfassung der aktuellen Corona-Situation in Bietigheim-Bissingen mitteilt. So auch am Dienstagabend. Doch ergänzend dazu forderten diverse Stadträte von der Verwaltung eine Öffnungsstrategie für Einzelhandel, Gastronomie und Kultur.

Perspektive geben

„Wir werden vermutlich eine lange Zeit mit der Pandemie leben müssen“, sagte FW-Stadtrat Eberhard Blatter. „Der Einzelhandel, die Gastronomie und die Kultur in Bietigheim-Bissingen sollten eine Perspektive aufgezeigt bekommen.“ Es müsse jetzt schon geplant und überprüft werden, welche Konzepte bei einer Lockerung umgesetzt werden könnten. „Wir haben aktuell noch drei schöne Stadtzentren, doch diese sind in größter Gefahr. Wir sollten jetzt gemeinsam planen und handeln und das konsequent.“ Welche Strategie komme für die Stadtverwaltung zur Sicherung der Geschäfts- und Gastronomieunternehmen infrage und könnte eine Bewerbung als Modellstadt wie Ludwigsburg sie abgegeben hat, eine Möglichkeit sein?

Unterstützung erhielt er von allen Fraktionen. Zur Modellstadt Tübingen entgegnete Kessing, dass diese viele Menschen anlockt. Das mache es schwierig, die Situation zu kontrollieren. Zudem wurden falsche Tests verkauft, um so in Tübingen einkaufen zu können, berichtet Kessing. Mit den drei Zentren sei es für Bietigheim-Bissingen zusätzlich komplexer, weil alle drei gleich zu behandeln seien. In Tübingen gebe es ein Gebiet, das relativ gut absperrbar und überwachbar sei. Zusätzlich sei ein Konzept wie in Tübingen personell schwer umsetzbar. Trotz zusätzlichem Sicherheitspersonal sei es bereits jetzt kaum machbar, die normalen Kontrollen im erforderlichen Maße durchzuführen.

Das Konzept der Modellstädte ist auch innerhalb des Gemeinderats umstritten. Thomas Wiesbauer, CDU-Fraktionsvorsitzender, findet die Idee zwar gut, allerdings nicht die Umsetzung. „Wenn Ludwigsburg nun auch Modellstadt wird, werden die Menschen aus den umliegenden Gemeinden dorthin strömen.“ Hier sollten die Kommunen zusammenarbeiten. Nur Abwarten halte er jedoch für falsch.

„Ich setze eher darauf, dass man alles öffnet oder alles zu lässt“, sagt Kessing. Die Stadt habe versucht, alles so tolerant wie möglich zu gestalten, spricht er Ideen anderer Städte an, wie Klopapierverkauf in Textilgeschäften. Doch von der Bundesregierung werden solchen Ideen schnell Riegel vorgelegt. „Für die öffentlichen Einrichtungen gibt es Konzepte“, ergänzte er indes.

Die Stadträte ließen nicht locker. Dr. Arno Steilner, FPD-Fraktion: „Wir hangeln uns jetzt seit fünf Monaten von Lockdown zu Lockdown.“ Er fordert ebenso eine Strategie für die Stadt, denn es werde auch noch eine vierte und fünfte Welle geben, ist Steilner überzeugt. „Wir schauen immer gebannt auf die nächste Mutation und die Inzidenzzahlen, davon müssen wir wegkommen.“ Es gebe zwei Möglichkeiten, das Impfen und das Testen. „Beim Impfen hinken wir hinterher. Es bleibt uns also nur noch das Testen.“ Bietigheim-Bissingen sollte sich eine Teststrategie überlegen. „Wir kommen sonst aus diesem Dauer-Lockdown nicht heraus“, ist der FDP-Stadtrat sicher. „Unsere drei städtischen Einkaufszentren sind fast tot, aber man kann sie noch wiederbeleben.“

Frage der Zuständigkeit

Immer wieder verteidigte der Oberbürgermeister seine Stadtverwaltung. „Ich möchte noch mal in Erinnerung rufen: Hier gibt es zunächst eine Zuständigkeit beim Bund und Land, das wird dann heruntergebrochen auf die Stadt und die Landkreise.“ Andere Landkreise seien lockerer, doch provozieren damit sofort eine Reaktion der zuständigen Behörden, so Kessing. „Es läuft unheimlich viel falsch, aber ich glaube nicht, dass wir große Freiräume bekommen werden.“ Aktuell sei es ein Hinschieben von Verantwortungen. „Wer übernimmt die Verantwortung für die steigenden Zahlen?“ Er habe den Eindruck, dass die Pandemie und eine Erkrankung manchmal unterschätzt werden.

Für CDU-Stadtrat Claus Stöckle war dies jedoch keine befriedigende Antwort. Wir können nichts machen, nur warten, sei ihm zu wenig. „Glauben sie ernsthaft, dass wir dasitzen und Däumchen drehen? Wir überlegen jeden Tag, was wir machen können“, platzte es aus Kessing heraus. Es gebe jedoch nicht viele Möglichkeiten.

„Den Einzelhändlern und Gastronomen steht das Wasser nicht bis zum Hals, sondern darüber“, so Blatter. Er unterstelle keine Untätigkeit, doch es brauche eine Konzeption. „Wir müssen uns etwas einfallen lassen. Die Leute sind am Ende.“ Das sei der Stadt bewusst, so der OB, und es fließe in alle Diskussionen und Entscheidungen mit ein. Wenn beispielsweise die Stadt Vermieter ist, wolle sie helfen. Doch fehlende Einnahmen könne die Stadt nicht ersetzen. „Das Problem müssen sie auf großer Ebene lösen und dann für alle“, spricht er erneut die Zuständigkeiten an. Doch dort fehle die Erfahrung vor Ort, kritisiert der OB.

Thomas Reusch-Frey, Vorsitzender der SPD-Fraktion versuchte zu schlichten und brachte erneut den Antrag einer Online-Plattform vor. Die Aktiven Unternehmer hatten diesbezüglich verschiedene andere Möglichkeiten aufgebracht, wie man den Unternehmern helfen könne (die BZ berichtete). Diese sollten von der Stadt betrachtet und diskutiert werden. Diesem Vorschlag stimmte auch Kessing zu.

 
 
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