Körperverletzung mit Todesfolge Heimleiterin: „Er hat zwei Gesichter“

Von Rena Weiss
Am Heilbronner Landgericht wird derzeit geklärt, ob ein ehemaliger Bewohner eines Bietigheim-Bissinger Pflegeheims weiter in einer psychiatrischer Einrichtung untergebracht bleiben soll. Er habe einen anderen Bewohner geschlagen, woraufhin dieser verstarb.⇥ Foto: Rena Weiss

Am zweiten Verhandlungstag des Sicherungsverfahrens gegen den 57-jährigen Beschuldigten wurde dieser von allen Zeugen als launisch bezeichnet.

Zwölf Zeugen wurden am Dienstag, dem zweiten Verhandlungstag des Sicherungsverfahrens wegen Körperverletzung mit Todesfolge am Heilbronner Landgericht vernommen. Wie berichtet, wird derzeit verhandelt, ob ein 57-Jähriger weiter in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden soll oder nicht. Der Beschuldigte stritt sich am 4. April 2020 mit einem 89-Jährigen und soll ihm ins Gesicht geschlagen haben. Durch den Schlag habe dieser ein Hirnödem erlitten, woran er drei Tage später verstarb. Beide Männer wohnten bis zu ihrem Streit in einem Pflegeheim in Bietigheim-Bissingen.

Zeuge der Auseinandersetzung seien drei Heimbewohner gewesen. Diese jedoch seien aus medizinischer Sicht nicht in der Lage, vor Gericht das Erlebte wiederzugeben, daher wurden die Polizisten und Kriminalbeamten, die die Zeugen noch am Abend des Geschehens vernommen haben, vorgeladen. Aus den Befragungsprotokollen und den Berichten der Beamten wurde jedoch nicht klar, ob der Beschuldigte den 89-Jährigen nun zwei Mal oder nur ein Mal geschlagen habe. Zudem sei zweifelhaft, in wieweit der Beschuldigte den Grund für seine Festnahme sowie die Festnahme selbst begriffen habe.

Diskussionen um Medikamente

Auch die Heimleiterin war am Dienstag als Zeugin geladen. Da der Beschuldigte noch so jung ist, habe das Team ihn integriert. Es wurde zusammen geraucht oder mit dem Tischkicker gespielt. „Wir hatten ein gutes Verhältnis.“ Doch, so die Heimleiterin, „hat er zwei Gesichter. Er kann ganz arg nett und hilfsbereit sein. Es gab aber auch Momente, in denen er sehr aggressiv wurde.“ Ausgelöst wurden diese verbalen Ausraster beispielsweise dadurch, dass er keine Zigaretten mehr bekam oder wenn er seine Medikamente einnehmen musste. Dies verweigerte der 57-Jährige, der alkoholkrank sei, zuletzt immer häufiger. Die Medikamente wurden daraufhin abgesetzt, was weitere verbale Ausraster förderte. „Ich wollte, dass er in die Psychiatrie kommt und dort eingestellt wird“, sagte die Heimleiterin. Das jedoch wollte der Arzt nicht und verschrieb erneut Medikamente. Sie habe ihm erklärt, dass er nicht im Bietigheim-Bissinger Heim bleiben könne, wenn er seine Medizin nicht nehme. Doch er glaubte, er werde damit vergiftet.

Die Heimleiterin kritisierte, dass dem Heim bei seiner Ankunft 2018 nicht gesagt worden sei, dass er bereits aufgrund seines aggressiven Verhaltens aus zwei Heimen verwiesen sei. „Er gehörte nicht in eine solche Einrichtung“, sagt sie über ihr eigenes Pflegeheim. „Mit der richtigen Einrichtung hätte man das verhindern können“, glaubt die Leiterin und fügt hinzu, dass es einen solchen Vorfall bislang noch nicht in dem Bietigheim-Bissinger Pflegeheim gegeben habe. Ihrer Einschätzung nach brauche er Förderung und Gleichaltrige, denn er habe sonst keine sozialen Kontakte.

Eine Pflegekraft, die am Tag des Streits arbeitete, beschrieb zudem den Streittag. Sie habe den Verstorbenen morgens gewaschen, zum Frühstück gebracht und ging innerhalb der Einrichtung ihrer Arbeit nach. Erst als er sich beim Mittagessen übergab, wurde ihr von einer Bewohnerin mitgeteilt, dass es morgens zu einer „Schlägerei“ gekommen sei. Sie brachte ihn in sein Zimmer und maß seine Vitalwerte. „Alles war im Normbereich.“ Er habe auch nicht über Kopfschmerzen geklagt. Äußerliche Verletzungen seien ebenfalls nicht vorhanden gewesen. Um 13.30 Uhr war die Schichtübergabe und gegen 15.30 Uhr musste sich der 89-Jährige erneut übergeben, schilderte die Pflegekraft, die nun Dienst hatte. Auch sie maß vorher mehrmals den Puls und den Blutdruck. Beide seien gut gewesen, auch nach dem Erbrechen. Dennoch rief sie den Rettungsdienst und brachte ihn ins Bietigheimer Krankenhaus, wo er gegen 17 Uhr aufgenommen wurde. Dort wurde ein CT veranlasst. Dies zeigte ein Subduralhämatom, so die behandelnde Orthopädin, die sich daraufhin mit einem Neurochirurgen in Ludwigsburg besprach. Von einer Operation wurde nach Rücksprache mit den Angehörigen aufgrund einer Patientenverfügung abgesehen. Eine OP hätte der Patient, wenn überhaupt, nur als Pflegefall überlebt. Der 89-Jährige wurde in die Palliativstation verlegt, wo er am 7. April verstarb. Die Obduktion bestätigte die Diagnose eines Hirnödems.

Erneuter Ausraster

Der Beschuldigte kam in der Zwischenzeit in eine geschlossene Psychiatrie nach Ludwigsburg. Auch dort erlebten die Mitarbeiter den 57-Jährigen verbal aggressiv, wenn ihm andere Patienten zu nahe kamen. Eine Krankenpflegerin erlebte dies, als sich ein Demenzkranker in sein Zimmer verirrte und trotz Aufforderung nicht wieder ging. Der 57-Jährige wollte ihn daraufhin aus dem Zimmer schieben und drückte ihn in Höhe des Halses gegen einen Schrank.

Am dritten (3. März) von fünf angesetzten Verhandlungstagen werden die beiden Sachverständigen ihr Gutachten zum Gesundheitszustand des Beschuldigten darlegen.

 
 
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