Kreis Ludwigsburg 100 Euro für eine 40-Stundenwoche

Von John Patrick Mikisch
Hanna Kraus ist die erste FSJlerin der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen. Foto: /Oliver Bürkle

Das Freiwillige Soziale Jahr hat sich seit seiner Einführung 1964 zum Erfolgsmodell entwickelt. Den Freiwilligendienst nutzen viele Jugendliche inzwischen zur Berufsvorbereitung.

Sie helfen in Pflegeheimen und Rettungsdiensten, erledigen Büroarbeiten, führen durch Ausstellungen, unterstützen Kitas, Sportverbände und Kirchenvereine und viele mehr. Ohne die jungen Menschen, die ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) leisten, würden viele gesellschaftliche Aufgaben liegen bleiben. Das war zur Einführung des FSJ 1964 noch nicht absehbar. Seitdem haben hunderttausende Jugendliche am Freiwilligendienst teilgenommen, aktuell sind es rund 50.000. Warum tun die das und was macht das FSJ so attraktiv? Die BZ hat nachgefragt.

Rund 400 für 40 Stundenwoche

Am Geld liegt es wahrscheinlich nicht. Etwas mehr als 400 Euro erhalten die FSJler derzeit monatlich für 40 Wochenstunden, ab 2025 voraussichtlich 35 Stunden. Das Entgelt kann aber auch etwas höher oder niedriger ausfallen, abhängig vom jeweiligen Träger und der Einsatzstelle.

Bei Tim Mohrbacher ist das die Jugendstiftung Baden-Württemberg in Sersheim. Die legt zum Entgelt noch das JugendticketBW drauf. Das braucht der 21-Jährige auch: „Ich fahre täglich mit dem ÖPNV von Benningen nach Sersheim“, erzählt er.

In der Stiftung ist er einer von vier Jugendlichen im Freiwilligendienst. „Den bieten wir seit zwölf Jahren an“, sagt Paul Nollenberger, der den Fachbereich Jugend und Medien leitet. „Für uns als Stiftung mit Fokus auf die Jugend sind diese jungen Leute doppelt wertvoll“, betont er. Die Stiftung biete eine vielfältige selbstbestimmt Mitarbeit.

„Jeder Tag ist anders“, bestätigt Tim Mohrbacher. Derzeit helfe er bei der Vorbereitung zum 15. Jubiläum des Jugendbildungspreises Baden-Württemberg. Neben Organisatorischem gehöre dazu auch das Layouten von Broschüren und PR-Arbeit. Außerdem betreue er Social-Media-Accounts, arbeite an Internetseiten und einem Online-Shop für die Stiftung. „Es ist unheimlich abwechslungsreich“, sagt er.

Auch die verpflichtenden Praktika, etwa Foto-Workshops und der Besuch des Bildungszentrums des Bundes in Karlsruhe mit anderen FSJlern, machten viel Spaß. Dabei wollte er sein FSJ ursprünglich beim WDR in Köln ableisten. An seinem Gymnasium in Marbach habe er bei einem Schulpodcast mitgemacht und sei als Vorstand im Klinikradio Bietigheim aktiv. Da hätte der WDR-Funkhaus in Köln mit seiner renommierten Hörspielredaktion gut gepasst, wie er erzählt.

„Die Jugendstiftung hatte ich gar nicht im Kopf“, gibt er zu. Er fand sie im Internet bei der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ). Sie unterhält ein Portal mit Stellen im Kulturbereich, auf die sich Jugendliche bewerben können (mehr unter: www.freiwilligendienste-kultur-bildung.de).

Was kommt nach der Schule?

Zum FSJ sei er nach dem Schulabschluss gekommen. „Da war die große Frage: Was nun? Studium, Ausbildung, ein Auslandsjahr?“, erinnert er sich. „Ich wollte etwas Praktisches machen und da war das FSJ genau richtig“ sagt er. Dass es dann die Jugendstiftung worden ist, war im Nachhinein ein Glücksfall.“ Einziger Wermutstropfen: Ende August ist Schluss. Einen ganz konkreten Plan, wie es dann weitergeht, hat er noch nicht. Oder doch: „Ich möchte eine Ausbildung in den Medien machen“, sagt Tim Mohrbacher. „Das FSJ war ein guter Schlenker für mich.“

Noch genauere Vorstellungen von ihrer beruflichen Zukunft hat Jenny Rieger. „Ich möchte mal Ärztin werden, am liebsten in der Chirurgie“, erzählt die 19-Jährige. Derzeit arbeitet sie als FSJlerin im RKH-Krankenhaus Bietigheim-Bissingen in der OP-Pflege. Eine verantwortungsvolle Aufgabe: „Es gibt dabei drei Stationen, an denen OP-Pfleger tätig sind“, erläutert sie. „Von der Übernahme des Patienten an der OP-Schleuse bis zur OP-Pflege während der Operation und zur Unterstützung der Anästhesie.“

Die Idee zum FSJ im Krankenhaus kam ihr, nachdem sie in der zwölften Klasse vom Gymnasium abgegangen war. „Das FSJ wird fürs Fachabitur angerechnet“, sagt sie. Eine Voraussetzung für ein späteres Medizinstudium. Das FSJ kannte sie schon aus der Schule. „Wir waren auf mehreren Jobmessen, auf denen auch das FSJ und der Bundesfreiwilligendienst vertreten waren“, sagt sie.

Im Mai 2023 kontaktierte sie das RKH-Krankenhaus und durfte auf der Intensivstation zuschauen. „Ich habe auch mit eine Operationstechnischen Assistentin gesprochen“, erzählt sie.

Ziemlich schnell sei klar gewesen, dass alles passt. Seitdem pendelt sie täglich von Markgröningen nach Bietigheim-Bissingen. Der Umstieg von der Schule auf eine normale Arbeitswoche sei anfangs zwar anstrengend gewesen. „Es war ja auch alles neu“, sagt Jenny Rieger. „Aber die Kollegen haben sich alle viel Zeit genommen, alles zu erklären. Es ist immer jemand bei einem.“

Vom FSJ in die Ausbildung

Und zum Glück habe sie auch kein Problem damit, Blut zu sehen. „Ich bin ehrenamtlich bei DRK und hatte schon Praktika im medizinischen Bereich gemacht.“ Auch die psychische Belastung stecke sie gut weg.

Was ihr das FSJ gebracht hat? „Ich bin selbstbewusster geworden“, sagt Jenny Rieger. Sie habe außerdem Erfahrungen gesammelt, die ihr den Einstieg ins Berufsleben erleichtern. „Der Übergang wird dadurch leichter“, meint sie. In ihrem Fall heißt das: Sie bleibt am Klinikum. „Das Krankenhaus hat mir einen Ausbildungsplatz zur Operationstechnischen Assistentin angeboten.“

Hanna Kraus will hingegen gleich nach dem FSJ studieren. In Richtung Kultur soll es gehen. „Vielleicht Medienpsychologie“, sagt die 18-Jährige aus Bietigheim-Bissingen. Sie hatte voriges Jahr nach dem Abitur bei der Städtischen Galerie angefangen. „Die kannte sich bereits von einem Schulpraktikum“, erzählt sie. Seit Oktober ist sie drei Tage in der Woche in der Galerie und zwei Tage in der städtischen Verwaltung. Denn ihre Einsatzstelle ist an das Kulturamt der Stadt angegliedert.

Ihre Motivation fürs FSJ war es, Erfahrungen fürs spätere Berufsleben zu sammeln. „Ich habe aber auch menschlich viel dazu gelernt“, sagt sie. Zum Beispiel durch ganz praktische Dinge im Büro- und Galeriealltag. Telefonieren sei ihr früher schwer gefallen oder das Ansprechen von Menschen, sagt die 18-Jährige.

Kritik an dere Bezahlung

Die Arbeit sei sehr vielfältig: Im Kulturamt helfe sie beispielsweise bei der Öffentlichkeitsarbeit, der Organisation der Sportlerehrung und der Aktenablage, in der Städtischen Galerie beim Kinderprogramm, der Gestaltung von Flyern, im Bilder-Depot und beim Ausstellungsaufbau.

Ihr Fazit: „Ich würde das FSJ auf jeden Fall weiterempfehlen.“ Einen Kritikpunkt hat sie aber doch: die Bezahlung. Die sei zum einen unterschiedlich: „Das sollte wenigstens landesweit gleichviel für alle sein.“ Zum anderen sei sie zu gering, um selbst ein WG-Zimmer zu bezahlen.

Das sehen auch Jenny Rieger und Tim Mohrbacher so. „Die Bezahlung ist zu gering“, sagt Jenny Rieger. Tim Mohrbacher findet: „Wir leisten auch mehr als die 400 Euro Bezahlung.“ Außerdem stehe bei dem geringen Entgelt längst nicht alle Jugendlichen der Weg ins FSJ offen.

Wie viele das künftig überhaupt noch sein werden, ist jedoch fraglich. Denn der Bund überlegt, die FSJ-Förderung zu kürzen – um bis zu 35 Prozent. Das würde für viele FSJ-Stellen das Aus bedeuten.

 
 
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