Die Ampelregierung ist seit Mittwochabend Geschichte. Wer daran schuld ist und wie es weitergehen soll, darüber wird derzeit gestritten. Die BZ fragte Politiker aus dem Kreis, wie sie die Vorgänge auf Bundesebene bewerten.
Kreis Ludwigsburg Ampel-Aus überrascht nicht jeden
Politiker aus der Region äußern sich zur Regierungskrise. SPD und Grüne geben den Schwarzen Peter der FDP, CDU und AfD sehen die Verantwortung beim Kanzler.
„Es war nicht klar, dass der Ampelbruch kommt“, sagte Macit Karaahmetoglu (SPD) und wies auf die weltweit historische Krisensituation hin mit den Kriegen in der Ukraine und Nahost sowie dem Wahlsieg von Trump. „Aus taktischen Gründen so ein Schmierentheater zu veranstalten, hätte ich nicht einmal Herrn Lindner zugetraut“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Ludwigsburg. Die Schuld für das Aus der Ampel sieht er ausschließlich beim FDP-Bundesvorsitzenden, den er als „selbstverliebten Egomanen“ bezeichnete. Auch innerhalb der FDP gebe es Kritik an Lindner, „aber nicht alle haben so viel Rückgrat wie Volker Wissing“, sagte er.
„Union muss Farbe bekennen“
Neuwahlen könne es nicht vor März geben, sagte Karaahmetoglu. Grund seien die Ferienzeiten in den verschiedenen Bundesländern. Dass der Haushalt nicht verabschiedet worden sei, mache ihm keine Sorgen. „Jetzt müssen wir die dringlichsten Themen klären“, sagte er. Um die Automobilindustrie zu stärken, brauche es eine Förderung der Elektromobilität, die Industrie brauche bezahlbare Energie und auch über die langfristige Stabilisierung der Renten müsse zeitnah entschieden werden. „Jetzt muss die Union Farbe bekennen, wenn sie das nicht macht, ist das eine Offenbarung“, sagte der SPD-Abgeordnete.
Fabian Gramling, Bundestagsabgeordneter der CDU für den Wahlkreis Neckar-Zaber, gibt die Schuld am Scheitern der Ampel der Regierung, die in den vergangenen drei Jahren „an großen Teilen der Bevölkerung vorbeigeredet hat“. Die drei Regierungsparteien hätten bei den vergangenen Landtagswahlen zusammen nur rund elf Prozent der Wählerstimmen erreicht, „dann muss man sich selbst hinterfragen“, sagte Gramling. Doch das sei nicht passiert. Die Regierung „war nicht stabil“, sagte er.
In seiner Rede am Mittwoch habe Bundeskanzler Olaf Scholz für die Minderheitsregierung „lebenserhaltende Maßnahmen“ gefordert und damit eine „Nachspielzeit“ einleiten wollen. 85 Prozent der Menschen würden Neuwahlen fordern. Diese bräuchten eine gewisse Vorbereitungszeit, doch 70 Tage seien zu lang.
„Der Kanzler ist gescheitert“
Die CDU sei an der Misere nicht beteiligt, sie lasse sich nun auch nicht die Schuld in die Schuhe schieben. Die Ampel habe sich selbstherrlich als große Zukunftsfraktion gefeiert. „Nun muss man feststellen, dass sie gescheitert ist und dass der Kanzler gescheitert ist“, sagte Gramling. Olaf Scholz könne nicht führen. Dass Verkehrsminister Volker Wissing aus der FDP austreten werde, „hat mich nicht überrascht“.
Dass SPD und Grüne nun die CDU anfragen, „ist ein Hilferuf“, sagte Gramling. Themen, die im vergangenen dreiviertel Jahr nicht funktioniert hätten, ließen sich in den vier Sitzungswochen bis Weihnachten kaum klären.
„Die Stimmung war gut und optimistisch, aber es gab für uns keinen Anlass zu Jubel wie bei der SPD und FDP am Mittwochabend.“ So beschreibt sein CDU-Kollege aus dem Wahlkreis Ludwigsburg, Steffen Bilger, die Stimmung in der Unionsfraktion. Er habe seit dem Lindner-Papier mit einem Ende der Ampel-Koalition gerechnet. „Überrascht haben mich die Schnelligkeit des Auseinanderbrechens und die gegenseitigen Beschimpfungen“, so Bilger. Die Hauptverantwortung für das Scheitern liegt seiner Meinung nach beim Kanzler. „Es war schon seit einiger Zeit offensichtlich, dass die drei Ampel-Parteien nicht mehr über ausreichend gemeinsame Überzeugungen verfügen“, sagte Bilger. „So gesehen tragen alle drei Parteien Verantwortung für das Scheitern, auch wegen der mangelnden Kompromissbereitschaft, dem gegenseitigen Misstrauen und dem zu oft offen ausgetragenen Streit.“
Die Rede von Kanzler Scholz am Mittwochabend habe er als „unangemessen und unwürdig“ empfunden, so der CDU-Politiker. Auch das Spiel auf Zeit von Olaf Scholz sei unverantwortlich. „Er sollte nicht erst im Januar, sondern umgehend die Vertrauensfrage stellen“, fordert Bilger. Gerade jetzt brauche Deutschland „eine starke und kraftvolle Regierung und keine Hängepartie“. Die CDU sei bereit, über notwendige Entscheidungen zu sprechen. „Gleichwohl sollte diese Phase so schnell wie möglich beendet werden“, so Bilger.
Die grüne Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Ludwigsburg Dr. Sandra Detzer findet das Ampel-Aus „absolut überraschend“. Es sei traurig, dass es nicht mehr gelungen sei, zwischen den drei Partnern Kompromisse zu finden. Durch das Verfassen von Papieren habe sich der Bruch aber angedeutet. Dass Kanzler Scholz am Mittwoch dann die FDP rausgeworfen habe, sei folgerichtig gewesen, aufgrund von deren „unversöhnlicher und bisweilen destruktiver Haltung“. Die Koalition habe viel erreicht, beispielsweise die Bewältigung der Energiekrise, findet Detzer, das Erreichte sei aber aufgrund der ständigen Streitereien untergegangen. Sie hätte gerne noch weitere Projekte wie die Vergabereform realisiert. Dass der Bundeskanzler die Vertrauensfrage für den 15. Januar ansetzen will, findet Sandra Detzer richtig. Die Zeit bis dahin müsse genutzt werden, „um Deutschland sicherheits- und haushaltspolitisch für die Zeit des Wahlkampfs und der nächsten Regierungsbildung solide aufzustellen“.
Für einzelne Gesetzesvorhaben müsse man nach Mehrheiten suchen. Da man für 2025 keinen Haushalt mehr haben werde, brauche man für das dringend Notwendige Absicherungsgesetze.
Kritik an Wissing
Viola Noack, die Vorsitzende des FDP-Kreisverbands Ludwigsburg und Fraktionschefin im Kreistag, hat ebenfalls nicht damit gerechnet, dass die Regierung platzt. FDP-Chef Christian Lindner habe ein gutes Papier vorgelegt. Dass es nun zum Bruch gekommen ist, sei schade, so Noack gegenüber der BZ. Was die Frage angeht, wer die Verantwortung für das Scheitern der Koalition trägt, so will die FDP-Kreisvorsitzende keine Schuldzuweisungen machen. „Es ist wie in der Ehe, schuld sind immer beide“, sagt sie. Sie betont aber auch, dass die Liberalen in der Koalition vieles geschluckt hätten. Gut findet sie, dass Lindner an der Schuldenbremse festgehalten habe. Es gehe nicht, dass man sich immer mehr zu Lasten kommender Generationen verschulde.
Die Vertrauensfrage sollte nach der Meinung von Noack gleich gestellt werden, nicht erst im Januar. Mit Blick auf Äußerungen der CDU sagte die Liberale aber auch, dass die Ampel nicht an allem schuld gewesen sei, was falsch gelaufen sei. Auch die CDU-geführte Vorgängerregierung trage eine Mitschuld. Nicht nachvollziehen kann Noack das Verhalten von Verkehrsminister Volker Wissing, der aus der FDP austritt und Minister bleiben will: „Das kann ich persönlich gar nicht verstehen.“ Sie kenne ihn aus Wahlkampfzeiten und sei darüber „einigermaßen erschrocken“.
Martin Hess von der AfD zufolge, haben „alle Ampel-Parteien mit ihrer völlig verfehlten Politik gemeinsam massive Fehlentwicklungen in nahezu jedem zukunftsrelevanten Bereich, vor allem aber in den Themenfeldern Wirtschaft, Migration, Innere Sicherheit und soziale Gerechtigkeit, zu verantworten.“ Die Ampel-Koalition habe deshalb schon lange das Vertrauen der Mehrheit der Bürger verloren, sagte Hess. Wer so am Bürgerwillen vorbei regiere, müsse letztlich scheitern. Daran seien SPD, Grüne und FDP gleichermaßen beteiligt.
An der Reaktion Volker Wissings zeige sich laut Hess die innere Zerrissenheit der Ampelkoalition, die offensichtlich bis in die Parteien selbst hineinreichte. Sein Verhalten zeuge „von höchstgradigem Opportunismus und einer beispiellosen Prinzipienlosigkeit“.
Hess forderte „schnellstmöglich eine handlungsfähige Regierung, um die zweifelsohne bestehenden massiven politischen Fehlentwicklungen endlich effektiv korrigieren zu können“. Scholz müsse unverzüglich die Vertrauensfrage stellen. Ein Abwarten bis Januar sei nicht akzeptabel.