Drecksladen“, „inkompetent und unfreundlich“ und „einfach nur schlecht“ – so lauten Kommentare über die S-Bahn in der Region Stuttgart auf Trustpilot. Auf dem Internetportal können Kunden Unternehmen und ihre Angebote mit einem bis fünf Sternen bewerten. Die S-Bahn kommt auf einen Durchschnitt von 1,3 Sternen. Selbst asiatische Händler von Billigmode und -elektronik schneiden besser ab. Doch wie schlimm ist es um die S-Bahn in der Region tatsächlich bestellt? Und ist Besserung in Sicht? Die BZ hat nachgehakt.
Kreis Ludwigsburg Auf der Strecke geblieben
Die S-Bahn in der Region wird immer unzuverlässiger und unpünktlicher. Das wird wohl auch noch einige Jahre so bleiben. Dafür gibt es viele Ursachen.
Der schienengebundene Nahverkehr befinde sich momentan in einer „extrem schwierigen Situation“, sagt Dr. Jürgen Wurmthaler. Er ist beim Verband Region Stuttgart (VRS) Leitender Direktor für den Bereich Wirtschaft und Infrastruktur und damit auch für die S-Bahnen in der Region zuständig.
Der VRS fungiert für Stuttgart und Umgebung als sogenannter Aufgabenträger, der Transportleistungen bei entsprechenden Anbietern bestellt. Für die S-Bahn ist das die DB Regio AG, eine 100-prozentige Tochter des Staatsunternehmens Deutsche Bahn.
Die DB Regio ist der größte Anbieter von regionalem Schienenpersonenverkehr (SPNV), wie es auf Amtsdeutsch heißt. Das Unternehmen betreibt S- und Regionalbahnen im gesamten Bundesgebiet, etwa auch in Berlin.
Immer unpünktlicher
Auch dort läuft nicht alles rund: Seit April veröffentlicht der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg, wie pünktlich die S-Bahnen fahren. Eine Praxis, in der der Verband Region Stuttgart schon deutlich länger Übung hat. Der VRS erfasst dabei zwei Werte: Verspätungen unter drei und unter sechs Minuten, die sogenannte Drei- und Sechs-Minuten-Pünktlichkeit. Und um die ist es nicht gut bestellt.
Pendelte die Drei-Minuten-Pünktlichkeit von 2014 bis 2021 im Jahresdurchschnitt noch zwischen 84,4 und 90,7 Prozent, sank sie 2022 auf 80,2 und 2023 auf 74,1 Prozent. Im laufenden Jahr (Januar bis Mai) sackte sie auf 71,54 Prozent.
Auch bei der Sechs-Minuten-Pünktlichkeit gibt es nur einen Trend: abwärts. Hier lagen die Werte von 2014 bis 2021 zwischen 95,3 und 97,3 Prozent. 2022 rutschten sie auf 93 und 2023 89,1 Prozent ab. In diesem Jahr dann auf 88,34 Prozent. Auch das vom Land Baden-Württemberg 2021 eingeführte SPNV-Ranking für die 32 Schienennetze im Land weist für die „Region Stuttgart einen eher negativen Trend aus“, wie das Verkehrsministerium mitteilte. In der Gesamtwertung für das zweite Halbjahr 2023 kann sich die Neckartalbahn, die Stuttgart unter anderem auch mit Bietigheim-Bissingen verbindet, zwar um einen Platz verbessern – auf Rang 31.
Die Pünktlichkeit hat sich laut Ministerium jedoch “massiv“ auf 67,15 Prozent verschlechtert. Auf Deutsch: Wer auf die Regionalbahn statt auf die unpünktliche S-Bahn setzt, wird wahrscheinlich eine Enttäuschung erleben.
Hauptursache: Stuttgart 21
Für die Verspätungsmalaise existiert gleich eine ganze Reihe von Ursachen. So gebe es bei den neu beschafften S-Bahn-Zügen der Baureihe 423, die in der Praxis beim Einfahren noch „die eine oder andere Macke“ haben, immer wieder Schwierigkeiten, so VRS-Manager Jürgen Wurmthaler. Auch die angespannte Personalsituation führe immer wieder zu Zugausfällen. Hinzu kämen unvorhergesehene Wetterereignisse: Erst vorige Woche hatte ein Unwetter das S-Bahn-Netz gleich an mehreren Stellen beschädigt, zudem wurde die S-Bahn von einem Oberleitungsschaden an der Stammstrecke getroffen.
Die DB Regio selbst verweist in einer Stellungnahme an die BZ auf ein zu altes, überfülltes und störanfälliges Streckennetz, das nun erneuert werde. Das ist sicher richtig, denn dies betrifft nicht nur die Region Stuttgart, sondern das gesamte bundesdeutsche Schienennetz.
Allerdings vermengen sich in Stuttgart marode Bahninfrastruktur – und das in jeder Hinsicht entgleiste Großprojekt Stuttgart 21 (S 21) zu einem verkehrstechnischen Albtraum. Dabei steht für das Verkehrsministerium „aktuell das problematische Baustellenmanagement der DB InfraGO im Fokus“.
Kritisiert werden vor allem die kurzfristige Planung von Baustellen und mangelhafter Kommunikation, die den Verkehrsunternehmen derzeit zusätzlich schwierige Rahmenbedingungen biete.
Brandbrief von Kretschmann
Das Problem: Verkehrsträger wie der VRS haben zwar Verträge über Transportleistungen mit der DB Regio. Das Schienennetz und die Bahnhöfe – und damit die Großbaustelle S21 – fallen in die Zuständigkeit der DB InfraGO AG. Auch diese eine 100-prozentige Bahntochter, aber eben formal ein eigenständiges Unternehmen.
Der VRS kann sich daher zwar über Verspätungen im Zusammenhang mit dem S21-Projekt beim Vertragspartner DB Regio beschweren. Auf die DB InfraGO kann die Region aber nur indirekt Druck ausüben, wenn überhaupt.
Erst Anfang der Woche hatte sich der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz gewandt: Dieser solle gegenüber der Deutschen Bahn ein Machtwort sprechen, damit sie millionenschwere Mittel für den digitalen Ausbau von S 21 freigibt. Die dritte und letzte Stufe des sogenannten Digitalen Knoten Stuttgart soll den Zug- und damit auch S-Bahn-Verkehr zuverlässiger machen. Dies ist nötig, damit der Bahnhof Ende 2026 überhaupt in Betrieb gehen kann. Andernfalls setzt sich das Chaos auf den Bahnschienen weiter fort – und S-Bahn-Pendler müssen sich noch länger in Geduld üben. „Wir haben eine extrem schwierige Zeit vor uns“, sagt VRS-Direktor Jürgen Wurmthaler.