Kreis Ludwigsburg Bürokratie und kein Ende in Sicht?

Von Claudia Mocek
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltungen können nur bedingt zum Bürokratieabbau beitragnen, ist Jurist Arne Pautsch überzeugt. Foto: /Martin Kalb

Mitarbeiter in Verwaltungen müssten in die Gesetzgebung früher einbezogen werden und könnten so für eine bessere Umsetzung sorgen, findet der Jurist Arne Pautsch von der Verwaltungshochschule Ludwigsburg.

Alle reden vom Abbau der Bürokratie, die BZ hat bei Prof. Dr. Arne Pautsch nachgefragt, wie es bisher darum bestellt ist und was Verwaltungen dazu beitragen können.

Wie kann weniger Bürokratie gelingen?

Prof. Dr. Arne Pautsch: Bund, Land und auch Kommunen, alle schreiben sich den Bürokratieabbau auf die Fahnen, aber das Patentrezept hat niemand zur Hand. Man ist fast geneigt zu sagen, es handele sich um eine Floskel unserer Zeit.

Warum haben wir so viele Regelungen?

Das ist kein neues Phänomen. Aber vor dem aktuellen Hintergrund der Digitalisierung, die nicht so recht voranschreitet, aber auch des Fachkräftemangels ist das Unbehagen gestiegen, dass wir uns eher weiter im Bürokratie-Dickicht verheddern.

Wirtschaftsvertreter argumentieren, dass andere auch mit weniger Bürokratie auskommen.

So einfach ist es leider nicht. Jeder versteht naturgemäß etwas anderes unter Bürokratie. Nicht selten wird beklagt, dass zum Beispiel Genehmigungsverfahren zu lange dauern. Aber: In einem demokratischen Rechtsstaat gilt natürlich auch, dass die wesentlichen Dinge im Gesetz geregelt sein müssen. Das hat Auswirkungen auf den Gesetzesvollzug, die Rechtsanwendung. Je komplexer eine Materie, desto detaillierter häufig die einzuhaltenden Verfahren. Dafür sind im Regelfall die Landratsämter und die Gemeinden zuständig. Mancher Vorgang verlangt auch ein mitunter aufwendiges Verwaltungsverfahren. Das haben die ausführenden Stellen nicht erfunden, sondern wird durch den Gesetzgeber so vorgegeben, mitunter sogar von europäischer Ebene. Steigende Komplexität erfordert auch mehr Detailgenauigkeit und diese führt mitunter zu Bürokratie. Bürokratieabbau kann nur gelingen, wenn man auf die gesetzlichen Inhalte schaut und dann überlegt, welche Verfahrenserleichterungen es im Verwaltungsverfahren geben kann. Digitale Verfahren könnten da weiterhelfen, aber längst nicht alle Gesetze sind digitalisierungstauglich.

Können die Mitarbeiter in den Verwaltungen beitragen?

Nur bedingt. Wie gesagt, es kommt vor allem auf den Gesetzgeber an, zu einer Entflechtung der Gesetze beizutragen und diese vollzugstauglicher zu machen. Das betrifft vor allem die Bundesebene, deren Gesetze ja die Länder und ihre Behörden – etwa die Landratsämter – umzusetzen haben. Hier wäre eine stärkere Verschränkung zwischen beiden Ebenen schon möglichst früh im Gesetzgebungsverfahren sinnvoll. Das ist übrigens eine Aufgabe, bei der Normenkontrollräte eine wichtige Rolle spielen. Der derzeit in Umbildung befindliche Normenkontrollrat in Baden-Württemberg hat nach meiner Einschätzung hier in den letzten Jahren vorbildlich gewirkt. Durch die Umbildung ist gewissermaßen ein Vakuum entstanden, und es bleibt zu hoffen, dass alsbald die angekündigte Neuaufstellung kommt. Sonst ließe es sich berechtigterweise fragen: Wie hält das Land es denn jetzt selbst mit dem Bürokratieabbau?

Wie müsste eine Strategie aussehen?

Ich glaube, wir brauchen eine viel stärkere strategische Verschränkung zwischen Bund und Ländern im Gesetzgebungsverfahren des Bundes. Die Vollzugsebene muss stärker von Beginn an einbezogen werden.

Einige Verbände haben dem Bund 442 Vorschläge vorgelegt. Das hört sich nach Einzelfallregelung an. Muss man nicht die Struktur ändern?

Die Bürokratisierung entsteht nicht in den Kommunen, das heißt in den Landratsämtern oder Kommunalverwaltungen. Der Bürokratieabbau ist deshalb nicht in erster Linie eine Aufgabe der Kommunen. Wir haben eine hohe Komplexität von Recht und dessen Ausführung, was nicht selten auf die Ausgestaltung der Gesetze zurückgeht. Jetzt muss man schauen, wie man den Verwaltungsvollzug besser gesteuert bekommt.

Bisher ist es so, dass die von den Ländern auszuführenden Bundesgesetze vor allem in den Bundesministerien erarbeitet werden. Es ist damit sozusagen im Föderalismus angelegt, dass von Berlin vorgegeben wird, wie zum Beispiel das Landratsamt Ludwigsburg das Recht auszuführen hat. Ihre Prägung erhalten die Gesetze aber so schon in einer ganz frühen Phase des Gesetzgebungsverfahrens, bevor das Ganze ins Parlament geht, noch vor dem Kabinettsbeschluss.

Über 90 Prozent der Gesetze, die verabschiedet werden, gehen auf diese Referentenentwürfe zurück. Deswegen glaube ich, dass wir eine stärkere Vernetzung der Ebenen brauchen: Diejenigen, die Recht umsetzen, die Vollzugsebene, muss viel stärker einbezogen werden.

Was bedeutet das konkret?

Es bedeutet, dass viel stärker als bisher auf die Vollzugstauglichkeit von Gesetzen geachtet werden muss. Bislang ist es so, dass es eher undurchsichtig beziehungsweise vom Zufall abhängig ist, wer an der Entstehung von Gesetzesentwürfen in den Ministerien beteiligt ist, das heißt wessen Expertise zurate gezogen wird. Der Entwurf geht dann irgendwann über den Kabinettsbeschluss ins Parlament und wird nach Ausschussbehandlung und den vorgesehenen Lesungen dann verabschiedet. Es wird oft behauptet, dass kein Gesetz das Parlaments so verlässt, wie es hineingekommen ist. Aber das stimmt in dieser Form so nicht. Meist hat das Gesetz schon längst sein maßgebliches Gepräge erhalten. Hier müsste man ansetzen. Es existiert zumindest als experimentelles Modell die Idee von sogenannten Gesetzgebunsglaboren.

Würden sich die Referenten denn von den Ausführenden belehren lassen?

Es geht überhaupt nicht um Belehrungen. Aber das Modell einer frühzeitigen Einbeziehung vom Rat derjenigen, die am Ende die Gesetze auszuführen haben, ist nicht völlig neu. Im Zusammenhang mit dem Onlinezugangsgesetz sind ja Digitalisierungslabore eingerichtet worden, um nutzerfreundliche Online-Lösungen für Verwaltungsleistungen im föderalen Digitalisierungsprogramm zu erarbeiten. Ähnliches könnte ich mir mit den Gesetzgebungslaboren unter Einbeziehung der Rechtsanwender zumindest punktuell gut vorstellen.

Denken Sie, dass die Rechtsanwender das auch wollen?

Ja, aber bisher werden sie wenig gehört. Aber darauf kommt es wesentlich an. Sie können am ehesten Auskunft über Fragen wie die Verfahrensdauer oder generell die praktische Umsetzbarkeit geben. Fließen solche Einschätzungen frühzeitig in den Gesetzgebungsprozess ein, kann das durchaus auch einen anderen Blick der Legisten auf die Umsetzbarkeit von Normen richten und damit letztlich auch zum Bürokratieabbau beitragen. Das gilt sowohl für die Entstehung von Gesetzen auf Bundes- wie auf Landesebene.

Hätten Mitarbeiter aus den Rathäusern dazu denn überhaupt Lust?

Es ist doch ein Anreiz, frühzeitig in die Entstehung von Gesetzen einbezogen zu werden, anstatt bei der Anwendung von Gesetzen die voraussehbaren Fehler bei deren Vollzug beklagen zu müssen. Nochmals: Die Idee solcher Gesetzgebungslabore ist ein bislang nur wenig erprobter, aber innovativer Ansatz, der natürlich nicht für jedes Gesetzgebungsvorhaben taugt. Ich denke daher schon, dass ein solches Format Lust wecken kann – nicht nur in den Rathäusern.

Eine gelungene Digitalisierung könnte einiges vereinfachen oder?

Ja, aber Deutschland ist da nach wie vor etwas behäbig. Der vielleicht größte Hoffnungsträger, das Onlinezugangsgesetz, hat jedenfalls erst mal einige Erwartungen enttäuscht. Ich glaube schon, dass ein maßgeblicher Schub von einer ernst zu nehmenden Digitalisierung ausgehen könnte. Es wäre hilfreich, stärker darauf zu schauen, was die Digitalisierung zur Vermeidung von Bürokratie durch medienbruchfreie und damit schlankere Verwaltungsverfahren beitragen könnte. Das wäre ein immenser Nutzen.

Vielen Dank für das Gespräch.

 
 
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