Das Versprechen war groß: Mit dem im Mai 2023 eingeführten Deutschlandticket sollte jeder für nur 49 Euro im Monat bundesweit mit Bus und Bahn fahren können. Es sollte endlich Schluss sein mit dem Flickenteppich an Tarifzonen, mit dem die Verkehrsverbünde Deutschland überzogen hatten, wie adelige Kleinherrschaften im Mittelalter. Der günstige Einheitspreis sollte stattdessen immer mehr Menschen dazu bewegen, vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel umzusatteln. Ist das gelungen?
Kreis Ludwigsburg D-Ticket: Durchwachsene Bilanz
Seit einem Jahr gibt es das Deutschlandticket. Die Politik feiert es landauf, landab als Erfolg. Doch was sagen eigentlich die Busunternehmen im Kreis Ludwigsburg dazu?
Millionenfach verkauft
Auf den ersten Blick scheint es so. 344 Millionen Fahrten mit Bussen und Bahnen verzeichnete der Verkehrsverbund Stuttgart (VVS) nach eigener Angabe im Jahr 2023. Das ist ein Plus von 10,4 Prozent. Dabei gibt es das Deutschlandticket erst seit vorigem Mai. Damit hätten ähnlich viele Fahrgäste Bus und Bahn genutzt wie vor der Corona-Pandemie, so VVS-Sprecher Niklas Hetfleisch. Zu dem Erfolg habe sicherlich auch das im März 2023 eingeführte JugendticketBW beigetragen.
Das spiegelt auch den bundesweiten Trend wider. Nach Angaben des Verbands deutscher Verkehrsunternehmer (VDV) haben bislang im Schnitt 11,2 Millionen Menschen pro Monat das Deutschlandticket abonniert. 20 Millionen Deutsche haben demnach mindestens einmal ein Deutschlandticket besessen. Das klingt nach einem großen Erfolg. Doch die erhoffte Verkehrswende bleibt offenbar aus – zumindest im Landkreis Ludwigsburg.
Freizeitverkehr wächst
„Die Straßen sind heute genauso voll wie vor der Einführung des Deutschlandtickets“, stellt Tobias Hähnle, Verkehrsplaner beim Bietigheimer Busunternehmen Spillmann nüchtern fest. Die Spillmann-Busse beförderten zwar mehr Menschen. Die Zahl derjenigen, die etwa als Pendler nun lieber den ÖPNV statt das eigene Auto nutzen, halte sich aber in Grenzen.
Zugenommen habe vor allem der „induzierte Verkehr“, so Hähnle und hat ein Beispiel parat: „Vor dem Deutschlandticket konnte sich der Enkel den Besuch bei der Oma vielleicht nur zweimal im Jahr leisten. Mit dem 49-Euro-Ticket geht das jetzt jeden Monat.“ Das sei schön für die Oma und auch für den Fahrgast, der vor allem von der Einfachheit des Tickets profitiere. Statt Schneisen durch den wuchernden Tarifdschungel schlagen und umständlich Angebote vergleichen zu müssen, gebe es jetzt ein Ticket für alle für nur 49 Euro.
Um den Preis des Tickets und seine Finanzierung gab es jedoch schon vor der Einführung Zwist. Seitdem streiten Bund und Länder darum, wer die milliardenschweren Kosten trägt. Der Bund gibt bislang nur eine Finanzierungszusage bis Ende 2025. Damit steht auch eine Einstellung des Angebots Ende 2025 im Raum.
„Damit das Ticket weiter erfolgreich bleibt und mehr Menschen zum Umstieg auf den ÖPNV bewegt, brauchen die Fahrgäste Planbarkeit“, fordert hingegen Tobias Hähnle.
Die Fuhrunternehmen aber auch, wie Carry Greiner erläutert. „Die Tarifstruktur im ÖPNV ist extrem kompliziert“, sagt die Geschäftsführerin von LVL Jäger. Die Firma unterhält im Kreis vor allem in Ludwigsburg rund 25 Buslinien. Das Problem: Das Ticket zum günstigen Einheitspreis wurde einfach von oben auf dieses Tarifgefüge gepfropft.
Mit Folgen für die Beförderungsentgelte, denn das Deutschlandticket ist deutlich günstiger als die meisten anderen Tarife, die vorher galten. Einnahmen, die bei Bus- und Bahnunternehmen nun fehlen, zumal diese auch mit gestiegenen Energie- und Personalkosten zu kämpfen haben. Der ÖPNV sei schon vor dem Deutschlandticket auf Ausgleichszahlungen und finanzielle Rettungsschirme der öffentlichen Hand angewiesen gewesen, so VVS-Sprecher Niklas Hetfleisch. Der Kostendeckungsgrad, also der Anteil, den die Fahrgäste mit dem Ticketkauf zur Finanzierung des ÖPNV beitragen, beträgt demnach im VVS derzeit noch 35 Prozent.
ÖPNV in Finanznot
„Die finanzielle Situation im deutschen Nahverkehr im Allgemeinen macht uns Sorgen“, sagt Niklas Hetfleisch. Steigende Kosten bei Personal und Material, gekürzte Förderprogramme wie etwa bei der E-Bus-Förderung sowie angekündigte weitere finanzielle Einschnitte stellten Verkehrsunternehmen, Verbünde, aber auch die Kommunen und Bundesländer als Aufgabenträger des ÖPNV und Schienenpersonennahverkehrs vor große Probleme. Eine Möglichkeit wäre, den Preis des oft auch als 49-Euro-Ticket bezeichneten Angebots anzuheben. Doch das ist wenig populär. Zudem könnte ein zu großer Preisanstieg genau die vertreiben, die die günstig Fahrkarte finanzieren könnten: mehr Kunden.
Die Lösung: mehr Abos
Würden sich noch mehr Menschen für den ÖPNV entscheiden, könnte er möglicherweise kostendeckend arbeiten. Bislang sind nach Angaben des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) rund acht Prozent der 11,2 Millionen Abonnenten des Deutschlandtickets komplette ÖPNV-Neulinge. Damit sich das Ticket trägt, müsste diese Neukundenquote nach VDV-Einschätzung auf 20 Prozent steigen. Um eine spürbare Verlagerung des Verkehrs weg vom Auto zu Bus und Bahn zu erreichen, wäre sogar ein Drittel Neukunden nötig.
Doch wie soll das erreicht werden? Denn das Deutschlandticket ist nicht für alle gleich attraktiv. „Wenn Sie in einer Großstadt mit gut ausgebautem ÖPNV leben, ist das Ticket toll“, sagt Tobias Hähnle von Spillmann. „Wenn Sie in einem Dorf auf der Schwäbischen Alb leben, an dem nur dreimal täglich ein Bus vorbeikommt, sieht das ganz anders aus.“
Wäre es nach dem Verkehrsplaner gegangen, wären die Milliarden, mit denen Bund und Länder das Ticket derzeit finanziell stützen, im Ausbau des ÖPNV-Angebots besser angelegt gewesen.
Eine positive Seite kann Hähnle dem Deutschlandticket doch noch abgewinnen: „Die Zahl der Barzahler im Bus hat um 40 Prozent abgenommen“, sagt Hähnle. Das ist aus seiner Sicht gut, denn Bargeld kassieren kostet die Busfahrer Zeit und ist damit ein potenzielles Verspätungsrisiko. „Durch das digitale Deutschlandticket auf dem Smartphone oder der Polygo-Card sind unsere Touren weniger anfällig für Fahrzeitverzögerungen.“