Immer mehr junge Leute absolvieren ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ). Laut dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg sollen sich im Südwesten 13.913 Menschen 2024 für ein FSJ entschieden haben. Das seien 14 Prozent mehr als im Vorjahr und der zweithöchste Stand seit der Einführung gewesen, so die Auswertung des Ministeriums. Die BZ hat beispielhaft bei drei Bereichen im Kreis Ludwigsburg nachgefragt, die jeweils ein FSJ anbieten, ob sie diesen Eindruck bestätigen können.
Kreis Ludwigsburg Das Interesse ist durchwachsen
Laut Sozialministerium haben 2024 insgesamt 14 Prozent mehr junge Menschen ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert als noch im Vorjahr. Die BZ hat im Kreis Ludwigsburg nachgefragt.
Interesse steigt wieder
„Wir haben immer noch deutlich weniger Freiwilligendienstleistende als vor Corona. Das Interesse steigt aber im Vergleich zu den letzten Jahren wieder deutlich an“, sagt die Pressesprecherin der Theo-Lorch-Werkstätten, Isabell Brando. Die Werkstätte haben fünf Standorte im Kreis, darunter in Bietigheim-Bissingen, Bönnigheim und in Ludwigsburg. Insgesamt arbeiten an den Standorten derzeit 18 Freiwillige, sagt Brando. Junge Menschen werden erfahrungsgemäß zum Beispiel durch Empfehlungen anderer FSJler, durch den Auftritt in den sozialen Medien sowie durch Messeauftritte auf die Stelle aufmerksam.
Die jungen Leute arbeiten bei den Theo-Lorch-Werkstätten eng mit Menschen mit geistlichen sowie mit psychischen Beeinträchtigen zusammen. Sie begleiten diese im Arbeitsbereich, in den Fördergruppen und im Berufsbildungsbereich im Alltag.
Dass das Interesse zuletzt vor der Pandemie größer gewesen sei, erklärt sich die Pressesprecherin folgendermaßen: Einerseits werde das FSJ von der Gesellschaft eher weniger anerkannt, „wenn man nach der Schule nicht gleich mit der Ausbildung oder mit dem Studium beginnt, wird es oft als ein verlorenes Jahr angesehen.“ Auch, dass die Vergütung eher gering sei (diese liegt meist zwischen circa 400 bis 500 Euro), könnte ein FSJ für viele unattraktiv machen. Zudem gibt es eine Vielzahl anderer Möglichkeiten nach der Schule, beispielsweise ein Work and Travel oder Reisen.
Dabei bringt das FSJ viele Vorteile mit sich, wie das Landesministerium schreibt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen nämlich ein stärkeres Bewusstsein für soziale Verantwortung erhalten. Diesen Eindruck hat Isabell Brando auch: „Viele FSJler haben zum ersten Mal Kontakt mit Menschen mit besonderen Fähigkeiten und Hilfebedarf. Das gibt einen Einblick in eine unbekannte Welt und in ein anderes Lebenskonzept“, sagt sie. Herausfordernd könnte aber für manche genau das sein – Verhaltensweisen erleben, die man so vorher nicht kannte. Auch das Thema Pflege könnte für viele ein ganz neues Erlebnis sein und als Herausforderung gesehen werden, die es erst einmal zu bewältigen gelte. Trotzdem sagt Brando: „Wir hören immer wieder von den Freiwilligen, dass die Zeit wertvoll und bereichernd ist.“
Viele junge Menschen finden sich selbst, erklärt sie zudem. Das FSJ vermittle erste Berufserfahrungen und verbessere die Sozialkompetenz. „Immer mehr Arbeitgeber schauen nämlich verstärkt darauf, dass Mitarbeiter neben der Fachkompetenz ein hohes Maß an Sozialkompetenz mitbringen.“
Wichtig: Offenheit und Respekt
Besondere Fähigkeiten und Eigenschaften müssen nicht unbedingt mitgebracht werden. „Jeder, der Lust darauf hat, kann ein FSJ bei uns machen“, sagt Brando. Offenheit für Neues und Respekt gegenüber anderen Menschen seien Voraussetzungen, ebenso sei die Freude an neuen Begegnungen wichtig. Ideal wären handwerkliches Geschick oder die Bereitschaft, auch pflegerische Tätigkeiten zu übernehmen.
Das Pädagogisch-Kulturelles-Centrum (PKC) Freudental bietet einen FSJ-Platz an. Das sagt der Leiter für Pädagogik und Kultur des PKC, Michael Volz. „Wir sind froh, dass wir jedes Jahr neue junge Leute bei uns haben. Wir sehen ein gleichbleibendes Interesse und es ist trotzdem immer wieder spannend für uns, ob überhaupt jemand zu uns kommen will.“ Das PKC halte viele verschiedene Aufgaben für die FSJler bereit, darunter Teile von Führungen mitgestalten, im Gästehaus und in der Küche helfen oder die Nachfahren von jüdischen Freudentalern betreuen. Junge Menschen werden meist durch Empfehlungen Gleichaltriger oder durch Empfehlungen ihrer Lehrerinnen und Lehrer auf ein FSJ beim PKC aufmerksam, so Volz.
Weiterhin müssen sie vor allem die Bereitschaften mitbringen, in einem kleinen Team intensiv zusammenzuarbeiten und sich auch fordern zu lassen sowie andere Menschen zu treffen und ihnen etwas beizubringen. „Die jungen Leute, die bei uns waren, sind alle viel erwachsener geworden“, sagt Volz. „Sie sind viel sicherer im Umgang mit Jüngeren und Älteren geworden. Und sie alle haben viel mehr über lokale Geschichte, Demokratie, das Judentum und über andere Religionen gelernt.“
In der Diakonischen Bezirksstelle Vaihingen habe man nicht den Eindruck, dass sich mehr junge Menschen für ein FSJ entscheiden. „Wir haben eher weniger Anfragen als in den Vorjahren“, sagt die Geschäftsführerin, Andrea Magenau. Das Interesse sei vor allem vor Corona höher gewesen. „Möglicherweise liegt der Rückgang daran, dass sich die Bildungs- und Lebenspläne junger Menschen verändert haben.“
Auch Unsicherheiten in der Arbeitswelt sowie veränderte Studien- und Ausbildungsbedingungen könnten eine Rolle spielen, erklärt sie. Derzeit sei in der Diakonischen Bezirksstelle, die für den evangelischen Kirchenbezirk Vaihingen-Ditzingen zuständig ist, ein FSJ-Platz besetzt. Zu den Aufgaben gehören zum Beispiel die Hilfe bei der Tafel, die Mitarbeit bei Aktionen und Veranstaltungen sowie Telefondienste. „Viele erfahren über die sozialen Medien oder durch persönliche Empfehlungen von unserem Angebot. Auch direkte Kontakte über Schulen oder Kirchengemeinden spielen eine Rolle“, sagt Magenau.
Neuer Blick auf soziale Themen
Obwohl weniger Menschen ein FSJ in der Diakonie machen, habe es in der Vergangenheit stets positive Rückmeldungen gegeben: „Viele berichten, dass sie durch die Arbeit einen ganz neuen Blick auf soziale Themen bekommen und ihre Empathie und ihr Verantwortungsbewusstsein wachsen“, sagt Magenau. Die Arbeit könne jedoch auch herausfordernd sein, denn der Umgang mit Menschen in schwierigen Lebenslagen fordere manchmal viel Einfühlungsvermögen und Geduld.
Laut Magenau sei das FSJ aber eine wichtige Berufsorientierung. „Es gibt jungen Menschen die Möglichkeit, sich zu orientieren, sich auszuprobieren, praktische Erfahrungen zu sammeln und einen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.“ Durch die Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Werk Württemberg erhalten die FSJler eine professionelle Begleitung und vielfältige Weiterbildungsmöglichkeiten, sagt die Geschäftsführerin.