Das Thema Einsamkeit ist eines, das unsere Gesellschaft schon lange begleitet. Es hat im Verborgenen geköchelt, durch die Pandemie ist es aber so richtig nach oben gekommen, weil ganz viele von uns erfahren haben, was es bedeutet, einsam zu sein“, sagt Anja Reichert-Schick im Gespräch mit der BZ.
Kreis Ludwigsburg Das „nette Schwätzchen“ hilft gegen Einsamkeit
Es ist ein gesamtgesellschaftliches Thema – auch im Landkreis Ludwigsburg: Einsamkeit. Die BZ hat mit Gesprächspartnern vor Ort über die Gründe der Kontaktarmut gesprochen, und was dagegen hilft.
Millionen von Menschen in Deutschland fühlen sich einsam. Einsamkeit ist ein Problem, das nicht nur eine bestimmte Bevölkerungsgruppe trifft, sondern ganz verschiedene Ursachen haben kann. Die BZ hat sich dem Thema auf lokaler Ebene angenähert und die Frage gestellt: Wie einsam ist der Kreis und was wird dagegen unternommen?
Wohnformen gegen Einsamkeit
Bislang sei vor allem in den Bereichen Gesundheit, Soziologie, Psychologie zum Thema Einsamkeit geforscht worden, sagt Anja Reichert-Schick, Leiterin der Themengebiete Zukunftsfragen und Bildung bei der Wüstenrot-Stiftung mit Sitz in Ludwigsburg. „Man muss doch auch an der gebauten Umwelt mit Wohnformen, der Art und Weise, wie wir unsere Quartiere gestalten, etwas gegen Einsamkeit tun können. Also präventiv“, sagt Reichert-Schick. Das sei einer der Grundgedanken gewesen, die sie sich gemeinsam mit den Stadtplanern Dr. Petra Potz und Nils Scheffler, beide aus Berlin, gemacht habe. Entstanden ist das Kooperationsprojekt „Einsamkeit. Neue Anforderungen an lebendige Quartiere“ zwischen der Wüstenrot-Stiftung und den Planungsbüros „Urban Expert“ von Nils Scheffler und „location3 – Wissenstransfer“ von Petra Potz. Finanziert wird das Projekt durch die Wüstenrot-Stiftung.
Es gehe darum, was Städte und Quartiere tun können, um einsamkeitsresilienter zu werden, erklärt Potz. Dabei werde untersucht, wie man die gebaute Umwelt verändern kann und wer die wichtigen Akteure im Quartier sind, die man einbinden muss. „Es gibt zum Beispiel die Abstandsflächen zwischen den Häusern. Wie kann man die so gestalten, dass man sich dort trifft und dass diese Orte zum Verweilen einladen und zum Begegnungsort werden?“, so Potz. Urban Gardening, also Gärtnern im städtischen Raum, sei ein Beispiel dafür. Man treffe über das Interesse am Gärtnern auf Gleichgesinnte. Nach einer Weile könnten zwischenmenschliche Kontakte, vielleicht sogar Freundschaften, entstehen.
„Kommunale Wohnungsunternehmen etwa denken das Thema Einsamkeit bereits mit“, berichtet Potz. Es sei ja auch im Interesse der Bauträger, dass es den Bewohnern im Quartier gefällt. Dadurch gebe es weniger Fluktuation, was auch zu gefestigteren Beziehungen unter den Nachbarn führe. Es könne schon ein öffentlicher Waschsalon helfen, miteinander in Kontakt zu treten.
Wichtig sei, zu analysieren, was dazu führt, dass Menschen in bestimmten Quartieren einsam sind. „Das ist oft dort, wo keine Begegnungen möglich sind. Wo es keine Grün- und Freiflächen gibt, keine Infrastruktur, wie Cafés oder kleine Lebensmittelläden, wo die Barrierefreiheit nicht gegeben ist“, so Reichert-Schick. Hilfreich sei auch ein Mix der Bewohner, ob bezogen aufs Alter oder die sozialen Durchmischung.
Erlebbarer sozialer Nahraum
Ziel sei, den sozialen Nahraum erlebbar zu machen. Dabei helfe, die „wichtigen Player vor Ort“, wie Potz sagt, zusammenzubringen: Vereine, Kirchengemeinden, die Stadt- oder Gemeindeverwaltung. So könne man soziale und kulturelle Einsamkeit angehen, indem man Teilhabeangebote schaffe, sagt Reichert-Schick. Die Effekte wiederum stärken den Zusammenhalt in der Gesamtstadt und seien nicht „nur“ für die Einsamen gut. Die Projekt-Ergebnisse werden kostenlos zur Verfügung gestellt (www.quartier-einsamkeit.de). So könne auch mehr Bewusstsein in der Bevölkerung geschaffen werden. Was noch geplant ist: Ein Einsamkeitsindex, an dem die Kommunen ablesen können, wo sich vor Ort Risikostrukturen ballen, etwa weil die ÖPNV-Anbindung fehlt oder es keine Bank zum Hinsetzen gibt.
Gespräche spielen große Rolle
Einsamkeit war auch das Thema des Gesellschaftsreports Baden-Württemberg, der vom Sozialministerium in Auftrag gegeben und kürzlich vorgestellt wurde. Nach Daten des Sozioökonomischen Panels von 2021 haben sich in Baden-Württemberg 17,5 Prozent aller Befragten oft oder sehr oft einsam gefühlt. Auch wurde festgestellt, dass armutsgefährdete Menschen öfters betroffen sind.
Im Tafelladen in Bietigheim-Bissingen spiele das Gespräch und der zwischenmenschliche Kontakt eine große Rolle, sagt Andrea Bitz, die stellvertretende Ladenleiterin. Zwischen den ehrenamtlichen Mitarbeitern gebe es eine feste Bindung, da es ein fester Stamm an Freiwilligen sei. „Wir unternehmen zusammen auch Ausflüge. Die Gemeinschaft ist uns wichtig“, berichtet sie.
„Die Tafel ist auch ein sozialer Treffpunkt für die Kunden untereinander“, sagt Johannes Schockenhoff, Vorsitzender der Bietigheim-Bissinger Tafel. Die Tafel-Kunden kommen extra früher, bestätigt Bitz, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Ebenso gebe es auch das „nette Schwätzle“ zwischen Mitarbeitern und Kunden, so Schockenhoff und weiter: „Die paar Minuten, die man miteinander ins Gespräch kommt, machen den Unterschied.“ Das tue einerseits den Kunden gut, mache aber auch die Arbeit für die ehrenamtlichen Mitarbeiter so wertvoll.
Mehr einsame Jugendliche
Im März wurde im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung eine Umfrage durchgeführt. Daraus geht hervor, dass sich viele junge Menschen einsam fühlen. Demnach gab jeder zehnte Befragte zwischen 16 und 30 Jahren an, „sehr einsam“ zu sein. Die Werte liegen deutlich über denen vor der Pandemie, somit sei die Zunahme der Einsamkeit unter den jungen Menschen nachhaltig.
„Durch die Corona-Pandemie hatten Jugendliche in der Blüte ihrer Pubertät keine sozialen Kontakte – und genau in der Zeit ist es besonders wichtig“, sagt Harald Finkbeiner-Loreth, Leiter der Jugendförderung „Das Netz“ in Bietigheim-Bissingen. Vor Kurzem habe der diesjährige Jugendgipfel stattgefunden und erstmals seien Themen wie soziale Gesundheit von den Jugendlichen selbst angebracht worden. Viele hätten berichtet: „Ich habe keine Freunde.“ Durch die Kontaktlosigkeit währen der Pandemie hätten Jugendliche nachhaltig Schwierigkeiten, Kontakt zu anderen aufzubauen. „Viele haben die Zeit der Isolation noch immer nicht überwunden. Das hat verheerende Auswirkungen“, sagt Finkbeiner-Loreth. Es bestehe Handlungsbedarf. Auch im Rahmen der Schulsozialarbeit würde das Thema nun mit den Schulen gemeinsam angegangen.
„Draußen trifft man Menschen“
Seit jeher sind alte Menschen von Einsamkeit betroffen, das hat jedoch andere Gründe als bei Jugendlichen. Dies bestätigt auch die Bietigheimerin Renate Wendt, eine der beiden Vorsitzenden des Kreisseniorenrates Ludwigsburg. Gründe dafür, dass Menschen, die früher ein reges Sozialleben hatten, im Alter vereinsamen, gebe es viele. Zum Beispiel weil der Ehepartner gestorben ist. „Dazu kommen noch gesundheitliche Beschwerden, die dazu verleiten, nicht mehr vor die Tür zu gehen.“ Und genau das sei die Hauptursache für die Vereinsamung, erklärt auch Volker Schick, Beisitzer im Kreisseniorenrat. Es sei wichtig, rauszugehen. „Draußen trifft man andere Menschen, kommt ins Gespräch, erlebt etwas.“ Auch betont er: „Das Internet, Medien und der Fernseher sind keine Personen“, das helfe keineswegs gegen Vereinsamung. Was jedoch helfe, sei, sich zu engagieren, ob im Verein, in der Nachbarschaft oder als Ehrenamtlicher. „Wenn man sein Leben lang gearbeitet hat und dann plötzlich nichts mehr macht, fällt man in ein Loch“, warnt Schick.
Sowohl Wendt als auch Schick engagieren sich in Seniorenresidenzen. Dabei sei Wendt wichtig, den Menschen keine Programme überzustülpen, „das funktioniert nicht. Man muss sich den Menschen so zuwenden, wie sie es brauchen“. Die eine sehne sich nach Ausflügen, der andere brauche einfach jemanden zum Reden.
Schick merkt aber auch an, dass es einen Unterschied gibt zwischen einsam sein und dem Wunsch nach Ruhe gibt. Das wiederum müsse natürlich auch respektiert werden.
Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit
Seit Juni 2022 erarbeitete das Bundesgesellschaftsministerium federführend eine Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit. Sie beinhaltet Maßnahmen, um Einsamkeit vorzubeugen und zu lindern. Im Dezember 2023 hat das Bundeskabinett die ressortübergreifende Strategie mit 111 Maßnahmen beschlossen.
www.kompetenznetzeinsamkeit.de