Kreis Ludwigsburg Der lange Kampf um den Klärschlamm

Von Uwe Mollenkopf
In Walheim wurde bereits in den 90er-Jahren gegen die Klärschlammverbrennung gekämpft. Foto: /Martin Kalb

Bereits in den 90er-Jahren wurde getestet, in Walheim Klärschlamm zu verfeuern. Später scheiterte der Landkreis mit seinen Plänen bei den Kommunen.

Im Prinzip muss man froh sein, dass es Klärschlamm gibt. Denn dieser fällt in den Kläranlagen – durch Sedimentation – an, die dazu da sind, das vom Menschen hinterlassene Abwasser wieder zu reinigen. Doch die Frage, die sich stellt, lautet: Was tun mit dieser Hinterlassenschaft? Genau hier beginnt das Problem, das aktuell in Walheim im Zuge der geplanten Phosphor-Rückgewinnung in einem Klärschlammheizkraftwerk für Aufregung sorgt. Doch die Diskussion darüber im Kreis ist schon wesentlich älter.

Plan der Neckarwerke

So gab es bereits in den 90er-Jahren in Walheim Unruhe wegen eines Vorschlags der – 2003 von der EnBW übernommenen – Neckarwerke. Diese planten, neben Kohle auch getrockneten Klärschlamm im dortigen Kraftwerk mit zu verbrennen. Das Klärtrockenprodukt sei vergleichbar mit der Braunkohle, erklärte ein Vertreter der Neckarwerke im Juni 1996 im Walheimer Gemeinderat.

Damals wurde ein Teil des stickstoff- und phosphorreichen Klärschlamms noch als Dünger auf die Felder ausgebracht, worauf man in Baden-Württemberg inzwischen aus Angst vor den darin auch enthaltenen Schadstoffen weitgehend verzichtet. Klärschlamm mit höherem Schadstoffgehalt wurde auf Deponien gebracht, doch hier zeichnete sich damals ein Ende ab. Der Neckarwerke-Vertreter wies in der Sitzung darauf hin, dass ab 2005 keine Endprodukte aus Kläranlagen mehr auf die Deponien gebracht werden durften.

Im gleichen Monat billigte das Regierungspräsidium Stuttgart einen Versuchsbetrieb.

Veränderungssperre beschlossen

Gemeinderat und Bürger in Walheim, aber auch in den Nachbargemeinden Besigheim und Gemmrigheim, fürchteten hingegen, dass Schadstoffe wie Quecksilber und Dioxin in die Luft gelangten und waren alarmiert. Eine Petition mit 1173 Unterschriften gegen das Vorhaben wurde übergeben. Während das Regierungspräsidium im Februar 1998 feststellte, dass der Versuchsbetrieb die Umwelt nur wenig beeinflusse, zweifelte man in Walheim die Ergebnisse an.

Die Gemeinde habe sich bereits 1994 einen fachkundigen Berater genommen, erklärt Martin Gerlach, der damalige Bürgermeister, rückblickend gegenüber der BZ. „So eine Anlage hat im Neckartal nichts verloren“, verdeutlicht er den Widerstand der Bürger. Zum einen wäre viel aus dem Kamin herausgekommen, zum anderen wäre die Gemeinde auf Dauer zum Entsorgungsstandort geworden, nachdem damals der Ausstieg aus der Kohleverstromung schon absehbar war. Die Verwaltung mit Gerlach an der Spitze und Gemeinderat fanden dann aber einen Weg, um das Projekt zu durchkreuzen. Die Gemeinde stellte einen Bebauungsplan auf und verhängte eine Veränderungssperre für das Gelände. So wurde verhindert, dass die Neckarwerke die Anlage für die Klärschlammverbrennung (geplant waren ein Anteil von fünf Prozent und eine Investition von 1,2 Millionen Mark) umrüsten konnten.

Danach dauerte es rund zehn Jahre, bis das Thema erneut aufs Tapet kam – jetzt als Projekt des Landkreises, der allerdings keine Entscheidungsbefugnis hatte, sondern bei den Kommunen um Zustimmung warb. Der damalige Landrat, Dr. Rainer Haas, sprach sich 2009 bei der Vorstellung der Abwasserdaten dafür aus, mehr Klärschlamm zu verbrennen. Schadstoffe aus Abwässern gehörten nicht auf den Acker, so Landrat Haas.

Arbeitsgruppe des Landkreises

Im Sommer 2010 rief Haas eine Arbeitsgruppe ins Leben, der Fachleute der Städte Ludwigsburg, Bietigheim-Bissingen, Vaihingen und Kornwestheim sowie einige Zweckverbände angehören. Ein Ingenieurbüro wurde mit einer Machbarkeitsstudie zur „nachhaltigen und zentralen Klärschlammverwertung“ im Kreis beauftragt. Als Ergebnis wurde festgestellt, das wirtschaftlichste Verfahren zur Klärschlammverwertung sei eine Kombination aus thermischer Trocknung und anschließender „Wirbelschichtverbrennung“ des gepressten und getrockneten Klärschlamms.

NIcht-öffentliche Diskussion

Ziel war es, mit der Abwärme der Anlage den entwässerten, nassen Schlamm zu trocknen und zusätzlich zehn bis 20 Prozent der Heizenergie zur Stromgewinnung zu nutzen oder als Fernwärme abzugeben. Haas argumentierte, dass ein Großteil des Materials aus dem Kreis – damals rund 42.000 Tonnen Klärschlamm im Jahr – in die Verbrennungsanlage nach Stuttgart-Mühlhausen gehe. Auch um die Nutzung des Restprodukts Asche zur Phosphorgewinnung ging es dabei schon, zu der es allerdings noch kein technisches Verfahren gab, das kostengünstig arbeitete.

Der Kreis peilte die Inbetriebnahme einer solchen Anlage im Frühjahr 2014 an und rechnete mit Baukosten von 14 Millionen Euro. Doch die zentrale Frage war: Wo sollte der Standort sein? In einem ersten Suchlauf wurden alle 30 Kläranlagen, drei Deponien und einige ausgewählte Gewerbestandorte einbezogen. Drei Standorte kamen schließlich in die engere Wahl. Bürgerproteste blieben aus, da alles unter Ausschluss der Öffentlichkeit in den kommunalen Gremien der „Standortkommunen“ diskutiert wurde – doch am Ende stand trotzdem die Ablehnung. Mitte 2012 gab die Kreisverwaltung bekannt, dass keine der Gemeinden eine Klärschlammverbrennungsanlage auf ihrer Gemarkung haben wollte, womit auch dieser Anlauf gescheitert war.

Kein Wunder also, dass die Kreisverwaltung den aktuellen Vorstoß der EnBW, auf dem Gelände des Walheimer Kohlekraftwerks ein Klärschlammheizkraftwerk zu errichten, begrüßte. „Der Klärschlammtourismus wird eingedämmt“, heiß es aus dem Kreishaus bei Bekanntwerden der EnBW-Pläne 2021. Verwiesen wurde darauf, dass im Kreis zu diesem Zeitpunkt rund 35.000 Tonnen Klärschlamm pro Jahr anfielen.

Vom Thema eingeholt

Ironie des Schicksal: Martin Gerlach, der in den 90er-Jahren als Walheimer Bürgermeister (1994 bis 2005) erfolgreich gegen die Klärschlammpläne vorging, ist jetzt nach verschiedenen anderen Stationen und Wohnorten wieder in der Neckargemeinde heimisch. Die Klärschlamm-Diskussion habe ihn wieder eingeholt, so Gerlach gegenüber der BZ.

Und der Ex-Bürgermeister ist auch jetzt wieder unter denen, die das Vorhaben vehement bekämpfen. Er hofft, dass es nicht umgesetzt wird und kritisiert die Technik, die er als „Dinosauriertechnik“ bezeichnet, den befürchteten Schadstoffausstoß als auch die entstehenden Verkehrsströme in der dicht besiedelten Region. Für die Phosphorrückgewinnung gebe es bessere Verfahren, ist er überzeugt. Dass die EnBW geäußert habe, Walheim habe sich ja schon 1994 als Standort für die Klärschlammverbrennung beworben, ist für Gerlach ein Hohn. Damals habe die Gemeinde bis zur Erschöpfung dagegen angekämpft.

 
 
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