Kreis Ludwigsburg Der Umgangston in Praxen wird rauer

Von Claudia Mocek

Bundesweit kommt es laut Landesärztekammer jeden Tag zu 2870 Fällen von verbaler Gewalt. Vor allem das Empfangsteam ist davon betroffen, sagt die Vorsitzende der Kreisärzteschaft.

Volle Wartezimmer, Missverständnisse und Sprachbarrieren: Immer öfter reagieren Patienten darauf mit aggressivem Verhalten, vor allem, wenn sie unter Drogen- oder Alkoholeinfluss stehen. Die Kriminalstatistik des Landeskriminalamts verzeichnet laut Pressemitteilung einen Anstieg dieser Aggressionsdelikte. Dabei reicht das Spektrum von der einfachen Körperverletzung über Raubdelikte bis zum versuchten Totschlag. Laut Landesärztekammer Baden-Württemberg kommt es in deutschen Arztpraxen pro Arbeitstag durchschnittlich 75 Mal zu körperlicher Gewalt. Weitaus verbreiteter sei verbale Gewalt. Mit bundesweit 2870 Fällen täglich hätten diese Form von Gewalt schon vier von zehn Ärzten erlebt. Die BZ hat nachgefragt: Auch im Kreis Ludwigsburg wird der Ton in den Praxen und Notaufnahmen rauer.

Bis hin zu Schlägereien

„Die Gewaltbereitschaft hat leider zugenommen“, bestätigt der Sprecher der RKH-Kliniken, Alexander Tsongas: „In unseren Kliniken, insbesondere in den Notaufnahmen, kommt es immer wieder zu Gewalt.“ Dabei reicht das Spektrum von leichten verbale Attacken, lautem Schreien, Drohungen und aggressivem Verhalten bis hin zu leichten oder schwereren Körperverletzungen und Schlägereien. Zu solchen Vorfälle kommt es laut Sprecher Alexander Tsongas vor allem unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol.

In solchen Fällen versuche das Personal der RKH-Kliniken, die Situation zu deeskalieren. Wenn dies nicht gelingt, können die Mitarbeiter den Sicherheitsdienst oder die Polizei rufen. „Wir bieten Seminare und Schulungen für Deeskalation an“, sagt Tsongas. Kommt es bei den Mitarbeitern in der Folge von schweren Vorfällen zu Traumatisierungen und Verletzungen, gibt es an den RKH-Kliniken ein speziell ausgebildetes Team, das Hilfe anbietet. Gewalt gegen medizinisches Personal ist auch in den Praxen im Kreis ein Thema, bestätigt die Vorsitzende der Kreisärzteschaft, Dr. Carola Maitra: Obwohl Gewalt in den Arztpraxen weiterhin eine Ausnahme darstelle, kämen solche Vorkommnisse häufiger vor. „Insbesondere das Personal am Empfang ist davon betroffen“, sagt Maitra. Aktuelle Erhebungen belegten, dass in der überwiegenden Zahl der Praxen Erfahrungen insbesondere mit verbaler Gewalt bestehen, es kommt aber gelegentlich auch zu körperlicher Gewalt. Betroffen davon sind nach Maitras Einschätzung alle Arten von Arztpraxen.

Schutz der Mitarbeiter rückt in den Fokus

In vielen Praxen werde der Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter inzwischen in den Fokus genommen. Wichtig ist laut Maitra, dass in Teambesprechungen ein gemeinsames und schützendes Verhalten wie etwa Kommunikations- und Alarmierungskaskaden, sichere Rückzugsräume und Fluchtwege festgelegt werden. „Die Fortbildungsakademien der Ärztekammern bieten regelmäßig Kurse zum Thema an und es existiert ein Flyer der Landesärztekammer zu Gewalt in den Praxen“, sagt Maitra.

Man müsse das Thema „Gewalt in Arztpraxen“ richtig einordnen, findet der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW), Kai Sonntag: Nach seiner Kenntnis seien aktuell keine Fälle bekannt, „in denen körperliche Gewalt in den Praxen stattgefunden hat.“ Vor Jahren sei ein Hausarzt in Offenburg, erstochen worden. „Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass so etwas nicht vorkommt“, sagt Sonntag. Denn es könne auch sein, dass Fälle von körperlicher Gewalt nicht an die KV Baden-Württemberg gemeldet werden. „Was aber sicherlich zunimmt – zumindest sind das die Rückmeldungen unserer Mitglieder – dass der Ton rauer wird“, sagt Sonntag. Diese könnten angezeigt werden. Sonntag schätzt aber, dass das jedoch nur in Ausnahmefällen geschieht. Eine andere Reaktion könne sein, dass der Patient keinen Termin mehr bekommt. Die KVBW bietet Kurse zum Umgang mit schwierigen Patienten an, Beschäftigte in Bereitschaftspraxen werden gemeinsam mit dem Landeskriminalamt geschult.

Kurse in Selbstverteidigung

Zur Anzeige bringen Ärztinnen und Ärzte laut Landesärztekammer bislang nur etwa jeden vierten tätlichen Angriff. Dabei gelte: Je größer eine Praxis, desto öfter kommt es laut Landesärztekammer zu verbaler Gewalt. Je kleiner die Praxis, desto häufiger komme körperliche Gewalt vor.

Von Gewalt betroffene Mediziner würden sich meist telefonisch an den Rechtsbereich ihrer zuständigen Bezirksärztekammer wenden, sagt der Sprecher der Landesärztekammer, Tobias Langenbach. Die Kammern empfehlen, Fälle von Gewaltanwendung oder -androhung konsequent strafrechtlich verfolgen zu lassen. Die ärztliche Selbstverwaltung in Baden-Württemberg habe das Thema Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte in ihrem Fortbildungsangebot verankert. Mitglieder können unter anderem Angebote zu den Bereichen Deeskalation, Stalking und wertschätzende Kommunikation wahrnehmen. Darüber hinaus gibt es auch Angebote zum Thema Selbstverteidigung.

 
 
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