Während die Einen die Tage bis zum Renteneintritt zählen, können andere sich ein Leben ohne Arbeit kaum vorstellen oder merken erst in der Rente, dass ihnen etwas fehlt. Wieder andere sind aus finanziellen Gründen darauf angewiesen, auch im Alter weiter Geld zu verdienen.
Kreis Ludwigsburg Erwerbstätige Rentner: „Aufhören war nie ein Thema“
13 Prozent der Rentnerinnen und Rentner zwischen 65 und 74 Jahren arbeiten weiter. Die BZ hat mit drei von ihnen gesprochen.
Wie das statistische Bundesamt berichtet, waren in Deutschland 2023 13 Prozent der Rentnerinnen und Rentner zwischen 65 und 74 Jahren noch erwerbstätig. Jeder Dritte gab demnach an, aus finanzieller Notwendigkeit weiter zu arbeiten, immerhin 29 Prozent nannten die Freude an der Arbeit als Hauptgrund. Elf Prozent ging einer Arbeit nach, weil sie finanziell attraktiv war oder die Partnerin oder der Partnern noch arbeitete. Die soziale Integration war für neun Prozent ausschlaggebend. Zum Stichtag 31. Dezember 2022 waren in Baden-Württemberg laut der Deutschen Rentenversicherung 197.161 Rentnerinnen und Rentner erwerbstätig, der größte Teil (rund 157.000) als geringfügig Beschäftigte.
Von den Kollegen wertgeschätzt
Für Dorothee Streicher aus Ottmarsheim steht der Spaß an der Arbeit im Vordergrund. Die 67-Jährige arbeitet einen Tag pro Woche als Aushilfs-Erzieherin, meist im Kinderhaus Mikado in Bietigheim-Bissingen.
Seit 2012 arbeitet die Quereinsteigerin als Erzieherin. Nach vielen Jahren als Hausfrau und Mutter hatte sie nach einer erfüllenden Arbeit gesucht. Eigentlich hatte sie sich damals für den hauswirtschaftlichen Bereich beworben, rutschte aufgrund des Fachkräftemangels jedoch in die Betreuung. „Das war eigentlich nie ein Thema, dass ich aufhören wollte, zu arbeiten.“ Die gelernte Krankenpflegerin fühle sich von den Kollegen und Kindern wertgeschätzt, an ein Aufhören sei deshalb auch jetzt noch nicht zu denken.
Vaclav Sourek ist seit April dieses Jahres Beauftragter für Klimaschutz bei der Stadt Bietigheim-Bissingen in Vollzeit. Er hielt es nur zwei Jahre als Rentner aus. Der 68-jährige gelernte Wirtschaftsingenieur arbeitete lange bei großen Firmen und war dort für den Vertrieb zuständig. „Irgendwann bin ich in Rente gegangen und habe mich gefragt: ‚Was mache ich jetzt? Ich bin doch noch fit?’“ Als die Pandemie gerade vorbei war, hörte er, dass die Flughäfen händeringend nach Personal suchten. Sourek, der fließend englisch, französisch, tschechisch und deutsch, sowie ein bisschen russisch und spanisch spricht, bewarb sich. Schnell musste er jedoch feststellen, dass er in seinem Alter kein attraktiver Kandidat war. Bei den Flughäfen, so sagte man ihm, stelle man keine Rentner ein, bei anderen Firmen habe er erst gar keine Rückmeldung erhalten. Auf der Suche nach Angeboten sei er dann schließlich auf die Stelle bei der Stadt gestoßen. Beruflich habe er mit dem Thema Klimaschutz zwar nie zu tun gehabt, privat dafür umso mehr: Schon vor Jahren baute er sein Einfamilienhaus klimaneutral um. Des Geldes wegen mache er die Arbeit nicht. „Ich durfte eine schöne, heile Welt genießen und will jetzt etwas zurückgeben.“
Beurteilung nach Fähigkeiten
„Ich kenne viele, die noch gerne arbeiten würden, aber oft werden Bewerbungen von Über-60-Jährigen direkt zur Seite gelegt,“ kritisiert er. „Diejenigen würden gerne zum Wohlstand beitragen, werden aber nicht gelassen.“ Man solle die Menschen nicht nach dem Alter, sondern nach den fachlichen Fähigkeiten beurteilen, fordert der Bietigheim-Bissinger. Soureks aktuelle Stelle wird noch bis September 2026 gefördert. Mit 70, 72 Jahren könne er sich dann durchaus vorstellen, wirklich in Rente zu gehen, sofern er zuvor so viel Wissen wie möglich weitergegeben habe.
Anders erging es Johann Reiss aus Tamm. Er ist durch Zufall auf seine aktuelle Stelle bei der Firma Exept Software in Bietigheim-Bissingen gestoßen. Der 72-Jährige arbeitete bei diversen großen Telekommunikationsfirmen und ging mit 62 schließlich in Rente. „Die Kinder waren ausgezogen, wir hatten uns vorgenommen, das Haus zu renovieren, sonst hatte ich mir eigentlich noch keine Gedanken gemacht, was auf mich zukommt.“
In einem Artikel der BZ las er damals, dass das Unternehmen Exept aus Bönnigheim nach Bietigheim umzog. Da er einige Mitarbeiter persönlich kannte, entschloss er sich, diese zu besuchen. Vor Ort wurde ihm kurzerhand eine Anstellung im Vertrieb angeboten, mit seinem Netzwerk solle er Aufträge für die Firma an Land ziehen. Da seine Frau ebenfalls noch berufstätig war, fiel die Entscheidung leicht. Zwei Tage später trat er die Stelle an. Aus einem Kaffeebesuch wurde ein Job. „Wichtig war mir nur, dass ich anders als früher, als ich für den Geschäftserfolg zuständig war, und Kunden, Mitarbeiter und Management gleichzeitig zufriedenstellen musste, keine Verantwortung habe.“
Reiss, der schon Anfang der 90er-Jahre Software für Handys entwickelte, wolle in der sehr dynamischen Softwareentwicklung am Ball bleiben. Zugleich mache ihm aber auch die Arbeit mit den jungen Kollegen Spaß. Wie lange er das noch machen will? „Solange es gesundheitlich geht und der Arbeitgeber zufrieden ist.“