Kreis Ludwigsburg Freigabe von Cannabis ist umstritten

Von Bigna Fink  
Künftig soll es ab 18 Jahren erlaubt sein, bis zu 30 Gramm Cannabis und zwei Pflanzen legal zu besitzen. Als Marihuana oder Gras werden die Blüten der weiblichen Hanfpflanze bezeichnet. Foto: IMAGO

Künftig soll eine kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken erlaubt werden. Experten aus der Region sehen das kritisch.

Seit Jahrzehnten wird in Deutschland über die Freigabe von Cannabis gestritten. Seit 2017 dürfen Ärzte medizinisches Cannabis verschreiben. Darüber hinaus ist der Anbau, Verkauf und Konsum der pflanzlichen Droge illegal. Ende Oktober beschloss nun das Bundeskabinett ein Eckpunktepapier zur regulierten Legalisierung auf breiterer Basis: Ab 2024 soll eine „kontrollierte Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken an Erwachsene in lizenzierten Geschäften“ möglich sein. Damit will die rot-grün-gelbe Bundesregierung für einen „bestmöglichen Gesundheitsschutz“ der Konsumenten sorgen und den Kinder- und Jugendschutz sicherstellen.

Was halten Ärzte, Apotheker und Suchtberater in der Region von den Plänen?

Kreisärzteschaft warnt

„Die Ärzteschaft warnt vor der Legalisierung von Cannabis außerhalb des medizinischen Einsatzes“, teilt Dr. Carola Maitra mit. Sie ist Vorsitzende der Ärzteschaft im Kreis Ludwigsburg und Sektionsleiterin Schmerztherapie in der Orthopädischen Klinik Markgröningen. Der Konsum von Cannabis führe, das zeigten wissenschaftliche Studien, vor allem bei Kindern und Jugendlichen zu Entwicklungsverzögerungen.

„Wir sehen bei einer Legalisierung weiterhin die Gefahr als Einstiegsdroge, die bei einem erheblichen Anteil der Konsumenten zu beobachten ist“, sagt Maitra und fügt hinzu: „Die potenziellen Nebenwirkungen überwiegen die theoretisch positiven Auswirkungen einer Entkriminalisierung bei weitem.“ Sehr wichtig ist der Ärztin: „Sollte es zu einer Freigabe kommen, müssen zwingend die Vorgaben des Jugendschutzes beachtet werden.“

Als Schmerztherapeutin verwende sie Cannabis zwar gelegentlich und schätze es als zusätzliches Medikament etwa zur Krampflösung. Es gebe auch Anwendungen im palliativen Bereich bei Sterbenden, bei denen Cannabis durchaus gut eingesetzt werden könne, so Carola Maitra. „Hier würde ich mir aber einen erheblichen Abbau der bürokratischen Vorgaben wünschen“, sagt die Oberärztin über die Medikation von Cannabis, die an ein Antragsverfahren geknüpft ist. „Insgesamt setze ich Cannabis in der Schmerztherapie aber selten ein und muss auch sagen, dass die Wirksamkeit von vielen Anwendern sehr überschätzt ist,“ sagt die Medizinerin.

Große Skepsis beim Apotheker

Auch Dr. Tillmann Wertz steht den Plänen, Cannabis zu Genusszwecken freizugeben, kritisch gegenüber. „Eine Legalisierung macht die Droge nicht harmlos“, sagt der Inhaber der Bahnhof-Apotheke in Sachsenheim. „Wir haben mit Zigaretten und Alkohol schon genug zugelassene Drogen, die der Gesundheit schaden.“

Im Schnitt beliefern Tillmann Wertz und sein Team zwei- bis dreimal in der Woche Kunden mit Rezepten, die medizinisches Cannabis beinhalten. „Das sind Personen mit Krankheitsbildern unterschiedlichster Art, darunter Schwerkranke oder Menschen mit Phantomschmerzen nach einer Amputation.“ Es unterliege der individuellen ärztlichen Entscheidung, sich mit den Patienten für eine Therapie mit den Cannabis-Wirkstoffen CBD oder THC zu entscheiden, stellt Tillmann Wertz klar.

„Bei der Legalisierung ist zu klären, wie die kontrollierte Abgabe gestaltet werden soll“, gibt der Apotheker zu bedenken. Denn in dem Eckpunktepapier der Bundesregierung werden neben lizenzierten Verkaufsstätten auch Apotheken als Abgabestellen erwogen.

Die Blüten der Cannabispflanze, die oft zur Inhalation verschrieben werden, hätten einen sehr durchdringenden Eigengeruch, gibt der Pharmazeut zu bedenken. Als Apotheker stelle sich ihm ganz praktisch die Frage: „Wie gehe ich bei einem bestimmten Vorrat an Marihuanablüten in der Apotheke mit deren mitunter belästigendem Geruch um?“

Suchthilfe: mehr Kontrolle nötig

Cannabis ist nach Alkohol der zweithäufigste Beratungsanlass in den Einrichtungen der Suchthilfe laut Landesstelle für Suchtfragen in Baden-Württemberg. Dies kann Matthias Liegl bestätigen. Er ist Fachbereichsleiter der Suchthilfe Bietigheim im Kreisdiakonieverband Ludwigsburg. Seit Jahren sei bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen Cannabis das Suchtmittel Nummer Eins. Die Jugendlichen kämen immer häufiger mit synthetisch hergestelltem, gefährlichem Cannabis und Mischkonsum in Kontakt, was massive gesundheitliche Probleme, vor allem Psychosen und Antriebsstörungen verursachen könne. „Durch die regulierte Abgabe sollte es eine strikte Kontrolle der Qualität der Droge geben“, fordert der Suchttherapeut und ein viel höheres Maß an Präventionsarbeit bei Jugendlichen bezüglich der Risiken der Droge.

„Mit der Legalisierung werden sich nicht alle Probleme in Luft auflösen.“ So bezweifelt Liegl, dass der Schwarzmarkt komplett zurückgedrängt werden kann, was auch das Beispiel Kanada zeige. „Auf dem Schwarzmarkt bekommen Jugendliche Cannabis zu billigeren Preisen.“ Was den Klienten aber helfen könne, sei das Wegfallen von psychischen und sozialen Folgeschäden durch eine Entkriminalisierung. „Wir befürworten die Entkriminalisierung von Cannabis-Konsumenten“, sagt Matthias Liegl. „Doch wir verharmlosen das Suchtmittel überhaupt nicht.“

Kiffen in anderen Ländern

Kiffen in anderen Ländern

Die Niederlande
toleriert seit 1976 den Cannabis-Verkauf in Coffeeshops. Luxemburg plant die Droge zu legalisieren, ein aktueller Gesetzesentwurf liegt vor. Spanien arbeitet an einer Freigabe von Marihuana für medizinische Zwecke. Der Anbau in Privaträumen für den Eigenkonsum wird toleriert. Portugal entkriminalisierte 2001 den Konsum aller Drogen. Nach Uruguay (2013) legalisierte Kanada 2018 als zweites Land der Welt Cannabis für Genusszwecke.

 
 
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