Bei der Europawahl waren es noch 11,9 Prozent, zuletzt in Sachsen 5,1 Prozent, in Thüringen sogar nur 3,2 Prozent. Auch wenn die Grünen im Osten traditionell schwächer abschneiden, die Umfragewerte der Partei befinden sich im freien Fall. Nach all den Wahlschlappen sei der Schritt des Bundesvorstandes daher nur konsequent, sagt der für den Wahlkreis Bietigheim-Bissingen gewählte Landtagsabgeordnete Tayfun Tok. Die Parteispitze um Ricarda Lang und Omid Nouripour hatte vergangene Woche ihren Rücktritt angekündigt.
Kreis Ludwigsburg Krise bei den Grünen: „Rücktritt des Vorstands konsequent“
Die Grünen in der Region begrüßen den Personalwechsel an der Parteispitze. Sie erhoffen sich neue Ideen und einen Aufschwung bis zur Bundestagswahl.
Sein Eindruck war, dass man aus all den Niederlagen nichts gelernt habe, sagt Tok. Wenn die Menschen sich mit den Themen Migration, wirtschaftliche Lage und soziale Sicherheit beschäftigen, dann müsse die Partei Antworten auf diese Fragen liefern. „Mein Eindruck ist, dass man uns das nicht mehr zugetraut hat.“
Obwohl eine Begrenzung der Migration nie Teil der grünen DNA gewesen sei, stehe man doch auch für Ordnung. „Irgendwann brauchen die Kommunen eine Verschnaufpause. Die Kindergärten sind voll, der Wohnraum knapp.“ Über den eigenen Schatten zu springen, habe auch etwas mit Verantwortung zu tun, ist Tok überzeugt.
Neue Gesichter nach vorne rücken
Besonders Federn ließen die Grünen bei den vergangenen Wahlen bei den jungen Wählern. Man habe das Lebensgefühl der jungen Menschen nicht erreicht, sagt Tok. In dieser Hinsicht nimmt er auch die Grüne Jugend in die Pflicht besser hinzuhorchen. „Auch andere Themen als Klimaschutz spielen ein Rolle.“ Im Gegensatz zum Rückzug der Parteivorsitzenden sei der Rücktritt und Parteiaustritt des Vorstandes der Jugendorganisation für ihn überraschend gekommen. Tok sieht darin jedoch auch ein Chance, neue junge Gesichter nach vorne zu rücken. „Wir haben kluge Köpfe in der Partei.“
Eine solche Person sieht Tok in der Heidelberger Bundestagsabgeordneten Franziska Brantner, die zusammen mit Felix Banaszak auf dem Parteitag im November für den Parteivorsitz kandidiert. Mit dieser Besetzung könne man optimistisch in Richtung Bundestagswahl 2025 blicken, meint der Abgeordnete.
Auch Daniel Christen, für die Grünen im Kreistag, Kreisvorstand und Ortsverein Neckar-Enz aktiv, sieht den Rücktritt von Ricarda Lang und Omid Nouripour als konsequenten Schritt. „Beide haben viel für die Grünen geleistet. Trotzdem tut es der Partei gut, jetzt einen Cut zu machen.“ Den Eindruck, dass man die Menschen nicht mehr erreicht habe, hat auch Christen. Er sieht die Gründe dafür jedoch weniger bei der Ampel-Koalition. „Die Bilanz ist eigentlich recht gut.“
Gerade bei den jüngeren Leuten habe man lange angenommen, die werden schon links sein. Das sei aber ein Trugschluss. Die Grüne Jugend habe es nicht geschafft, die Probleme der jüngeren Generation zu adressieren. Das sei aber ein grundsätzliches Problem der Demokratie, sagt Christen. Hier sei der neue Bundesvorstand gefragt, ein Gefühl für die wichtigen Themen zu entwickeln. Dann könne man bis zur Bundestagswahl auch wieder ein paar Prozentpunkte gut machen.
Ehrenamtliche nicht verheizen
Allerdings müsse man auch aufpassen, die Ehrenamtlichen in der Partei ob der aufgeheizten Stimmung im Land nicht zu verheizen. „Wenn man sich im Wahlkampf anschreien lassen muss, verstehe ich jeden, der davon irgendwann genug hat.“
Auf lokaler Ebene ändere sich durch die jüngsten Schlagzeilen erst mal nichts. „Die grüne Jugend vor Ort tritt nicht aus“, sagt Christen. „Wir sind uns grün und halten zusammen.“
Auch in Bietigheim-Bissingen hinterlasse das Beben auf Bundesebene bislang keine Spuren, sagt GAL-Gemeinderätin Salome Ebinger. Allerdings müsse man sich auf allen politischen Ebenen die Frage stellen, wie man vor allem junge Menschen besser erreichen kann. Das sei auch kein Problem, das sich nur auf die Grünen beschränke. Entsprechenden Aufholbedarf sieht sie darin, junge Menschen an der Demokratie zu beteiligen, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Den Personalwechsel an der Parteispitze sieht Ebinger positiv. „Neue Personen können frischen Wind und neue Ideen einbringen.“
Die Bundestagsabgeordnete Sandra Detzer aus dem Wahlkreis Ludwigsburg teilt derweil mit: „In einer Koalition ist die Versuchung immer groß, den Grund für Wahlniederlagen beim Partner zu suchen. Wir Grünen sind da anders. Wir reden nicht nur von Verantwortung, wir übernehmen sie.“ Ricarda Lang und Omid Nouripour würden mit ihrem Rückzug die Verantwortung für Land und Partei voranstellen. Dafür bedanke sie sich bei den beiden. Sie seien auch im Moment ihres Rücktritts echte Vorbilder, teilt Detzer weiter mit.