Die Bundestagswahl am 23. Februar unterscheidet sich in mehrerlei Hinsicht von bisherigen Wahlen zum deutschen Parlament. Sie ist zum einen nicht regulär, sondern vorgezogen, weil die Ampel-Koalition vor dem Ende der Legislaturperiode auseinanderbrach. Zweitens findet der Wahlkampf mitten im Winter statt und ist verkürzt durch die Feiertage. Schließlich, drittens, kommt jetzt erstmals das neue Wahlrecht zur Anwendung, das 2023 vom Bundestag beschlossen wurde.
Kreis Ludwigsburg Wahlkreissieg ist noch kein Ticket für den Bundestag
Bei der vorgezogenen Wahl am 23. Februar wird erstmals das neue Wahlrecht angewendet. Betroffen könnte vor allem die CDU sein.
Warum gibt es das neue Wahlrecht?
Grund für die Reform ist die stetige Vergrößerung des Bundestags in den zurückliegenden Legislaturperioden auf mittlerweile 735 Abgeordnete. Nominell vorgesehen sind nur 598 Parlamentarier. Das Anwachsen wurde durch Überhang- und Ausgleichsmandate verursacht. Kritisiert wurden daran steigende Kosten und mangelnde Effektivität. Um gegenzusteuern verabschiedete der Bundestag 2023 mit der Mehrheit der Ampelkoalition ein neues Wahlrecht.
Wie wirkt sich die Reform aus?
Zunächst einmal können auch künftig bei der Wahl zum Deutschen Bundestag zwei Stimmen abgegeben werden: die Erststimme für einen Wahlkreisbewerber vor Ort und die Zweitstimme für die Landesliste einer Partei. Maßgeblich für die proportionale Zusammensetzung des Bundestages ist nun jedoch allein das Ergebnis der Zweitstimmen. Die Überhang- und Ausgleichsmandate, die nach dem früheren Wahlrecht noch in einem späteren Schritt hinzugerechnet wurden, wenn eine Partei mehr Direktmandate über die Erststimme holte als ihr über die Zweitstimme zustanden, entfallen. Dadurch werden ab der kommenden Legislaturperiode maximal 630 Abgeordnete im Bundestag sitzen. Laut Schätzungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft spart man so jedes Jahr rund 125 Millionen Euro.
Wie ist jetzt das Prozedere bei der Mandatszuteilung?
Zunächst wird in der sogenannten Oberverteilung bestimmt, wie viele Sitze einer Partei bundesweit nach ihrem Zweitstimmenanteil zustehen. Dann werden die Sitze der jeweiligen Partei auf die Landeslisten dieser Partei verteilt. Dabei werden zunächst die Wahlkreisbewerber, die in ihrem Wahlkreis die relative Mehrheit der Erststimmen erlangt haben, nach ihrem Stimmanteil gereiht. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Wenn allen erfolgreichen Wahlkreisbewerbern ein Sitz zugeteilt wurde, der Partei in dem Bundesland aber nach dem Zweitstimmenergebnis noch weitere Sitze zustehen, werden diese nach der Landesliste vergeben. Verhält es sich umgekehrt, und das nach dem Zweitstimmenergebnis zur Verfügung stehende Sitzkontingent ist ausgeschöpft, ohne dass alle erfolgreichen Wahlkreisbewerber zum Zug gekommen sind, gehen die Wahlkreissieger mit den schwächsten Erststimmenergebnissen leer aus. Anders ausgedrückt: Ein Wahlkreisbewerber, der seinen Wahlkreis nach Erststimmen gewinnt, erhält nur dann ein Ticket nach Berlin, wenn seine Partei ausreichend Zweitstimmen einfährt.
Wer wäre in den Wahlkreisen Neckar-Zaber und Ludwigsburg betroffen?
Der Wahlkreis Ludwigsburg wurde in den letzten Jahrzehnten immer von der CDU gewonnen. Seit 2009 holte Steffen Bilger dort das Direktmandat. Auch im Wahlkreis Neckar-Zaber war abgesehen von der Legislaturperiode 1998 bis 2002 (Hans-Martin Bury, SPD) zuletzt immer die CDU Wahlkreissieger. Seit 2021 sitzt für sie Fabian Gramling im Bundestag. Eine Musterberechnung der Bundeswahlleiterin von 2024 nach dem Ergebnis der Bundestagswahl 2021, aber unter Berücksichtigung des neuen Wahlrechts, hat nun ergeben, dass es elf Wahlkreissieger aus Baden-Württemberg, allesamt von der CDU, nicht ins Parlament geschafft hätten, darunter auch Steffen Bilger im Wahlkreis Ludwigsburg. Fabian Gramling im Wahlkreis Neckar-Zaber wäre dagegen drin gewesen. Damals hatte die CDU allerdings bundesweit ein sehr schwaches Ergebnis eingefahren. Gemessen an den derzeitigen Wahlumfragen würde die Union mehr Abgeordnete aus Baden-Württemberg in den Bundestag schicken.
Was sagte das Bundesverfassungsgericht?
Gegen das neue Wahlrecht klagten Abgeordnete der CDU/CSU und der Linken sowie rund 4000 Bürger. In ihrem Urteil vom 30. Juli 2024 stellten die Karlsruher Richter fest, dass das Zweitstimmendeckungsverfahren, wie das beschriebene Vorgehen bei der Verteilung der Mandate genannt wird, mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Dagegen kippten die Richter einen anderen Bestandteil des neuen Wahlrechts, den Wegfall der Grundmandatsklausel. Diese sieht vor, dass Parteien, die unter der Fünf-Prozent-Hürde bleiben, trotzdem in den Bundestag einziehen, wenn sie in drei Wahlkreisen als Erststimmensieger ein Direktmandat holen. Über diese Regelung konnte die Partei Die Linke nach der Bundestagswahl mit 39 Abgeordneten in den Bundestag einziehen, obwohl bundesweit nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen auf sie entfielen. Den Wegfall dieser Regelung sah das Gericht als verfassungswidrig an, es bleibt also bei der bisherigen Regelung.
Wie reagiert die CDU im Kreis?
Beim Neujahrsempfang der CDU im Kreis Ludwigsburg im Januar kritisierte Steffen Bilger das neue Wahlrecht heftig. Es gebe nur eine einzige Demokratie weltweit, in der direktgewählte Kandidaten nicht auch automatisch im Parlament säßen, das sei Deutschland, so der Abgeordnete. Auch Fabian Gramling hält die Regelung für „demokratieschädigend“. Die Zweitstimme sei für die CDU von großer Wichtigkeit und es wurde im Wahlkampf die Devise ausgegeben, um beide Stimmen des Wählers zu werben.