Die Online-Plattform „ornitho“ ist seit 2011 das Meldeportal für Vogelbeobachter in Deutschland. Regelmäßig tragen sie dort ihre Sichtungen ein – ob Blaumeise oder Kranich. Im Landkreis Ludwigsburg sticht dabei ein Areal heraus: der sogenannte „Regenpfeiferacker“ zwischen Schwieberdingen und dem Hemminger Zeilwald. Hier werden immer wieder seltene Vögel registriert, in der Vergangenheit unter anderem Sumpfohreule, Kornweihe und verschiedene Regenpfeiferarten, von denen der Acker auch seinen Namen hat. Damit könnte es jedoch vorbei sein, wenn die Region Stuttgart ihr Vorhaben wahr macht, das Gelände, auf dem sich der „Regenpfeiferacker“ befindet, als Vorranggebiet für Windkraft auszuweisen – das jedenfalls befürchten Naturschutzverbände im Kreis und schlagen Alarm.
Kreis Ludwigsburg Windkraft kontra Regenpfeifer
Der Bau von Windrädern wird derzeit vielerorts kritisch diskutiert, da die Region gerade dabei ist Vorranggebiete auszuweisen. In Hemmingen geht es um einen ganz besonderen Acker.
Der Arbeitskreis Ludwigsburg des Landesnaturschutzverbandes, der BUND und der Nabu-Ortsverband Schwieberdingen-Hemmingen, unterstützt von den Nabu-Gruppen Markgröningen und Korntal-Münchingen, ziehen dabei an einem Strang. Vor Kurzem organisierten sie einen Vor-Ort-Termin, um Vertreter der Regionalversammlung für ihr Anliegen zu gewinnen. „Diese Fläche ist aus Gründen des Vogelschutzes aus dem vorgesehenen Vorranggebiet herauszunehmen“, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme zu den Windkraft-Plänen der Region.
Streng geschützte Arten
Das Besondere und für die Region äußerst Wertvolle sind aus Sicht der Naturschutzverbände die sehr weiten, offenen Acker- und Feldfluren mit relativ wenig horizontalen Strukturen, dazu eine leichte Senke, welche einerseits als Zugleitlinie, andererseits auch als ideale Rast- und Nahrungshabitate über das ganze Jahr hindurch gelten. Diese Strukturen würden viele Brutvögel des Nordens, der kargen Tundren, anziehen. Streng geschützte, seltene Arten wie beispielsweise Kiebitze, Gold- und Mornellregenpfeifer rasteten regelmäßig hier, seien als Wintergäste teilweise fünf Monate lang anwesend. Man müsse solch wertvolle Flächen aus Entwicklungen jeglicher Art herausnehmen, um Störungen oder komplette Lebensraumverluste zu vermeiden und die entsprechenden Flächen dringlichst zu erhalten, appelliert etwa der Nabu Korntal-Münchingen.
Vorgaben von Bund und Land
Hintergrund der Windkraft-Pläne sind Vorgaben von Bund und Land. Die – damals noch rot-grün-gelbe – Bundesregierung hat mit ihrem am 1. Februar 2023 in Kraft getretenen Gesetz für jedes Bundesland ein Flächenziel für Windanlagen festgelegt. Für Baden-Württemberg beträgt dieses 1,8 Prozent der Landesfläche. Das Land hat diese Vorgabe mit einem am 7. Februar im Landtag verabschiedeten Klimagesetz pauschal jeder der zwölf Planungsregionen zugewiesen. Bei Nicht-Erreichen dieses Zieles droht der Region der Entzug der Planungshoheit bei der Genehmigung von Windrädern.
Entwurf abgespeckt
In der Folge legte der Regionalverband im Oktober 2023 einen ersten Planentwurf vor, der mit einer Fläche von 2,6 Prozent das vorgeschriebene Ziel übererfüllte. Im April 2025 wurde im Beschluss zur zweiten Offenlage von 106 auf 87 Vorranggebieten abgespeckt, womit man das 1,8-Prozent-Ziel nun exakt erfüllt. Im Landkreis Ludwigsburg waren bislang 24 Gebiete vorgesehen, jetzt sind es noch 20.
Dagegen gibt es zahlreiche Einwände unterschiedlicher Art, wie die beim Regionalverband eingegangenen Stellungnahmen zeigen. Beim Vorranggebiet „LB-18“ auf dem Gebiet von Sachsenheim und Löchgau stört sich beispielsweise die Gemeinde Freudental an der Größe und der Beeinträchtigung des Landschaftsbildes, und der Abstand zum Segelflugplatz wird als ein Problem gesehen. Letzteres gilt auch für „LB-19“ in Erligheim und Bönnigheim. Dagegen stimmen in diesen beiden Gebieten die Gebietsgemeinden zu der Ausweisung zu. Dagegen beklagt bei „LB-16“ (Vaihingen/Oberriexingen) die Stadt Vaihingen unter anderem die Beeinträchtigung des Kulturdenkmals Schloss Kaltenstein und die Nähe zu künftigen Baugebieten.
Fast bei keinem Gebiet fehlt der Hinweis auf den Vogelschutz, doch beim Gebiet „LB-08“, wie das 145 Hektar große Vorranggebiet auf den Gemarkungen von Hemmingen, Eberdingen, Schwieberdingen und Markgröningen heißt, auf dem sich der „Regenpfeiferacker“ befindet, sind die kritischen Stellungnahmen diesbezüglich am umfangreichsten.
Auch RP und Kreis dagegen
Beachtlich ist dabei, dass nicht nur Naturschützer das Gebiet ablehnen. Das Gebiet LB-08 „sollte nicht ausgewiesen werden, zumindest aber reduziert werden, da dieses ein Rast- und Zugvogelgebiet von überregionaler Bedeutung umfasst“, erklärt das Landratsamt Ludwigsburg. Der in diesem Fall bereits „absehbare und nur schwer lösbare Konflikt mit dem Artenschutz“ solle von vornherein vermieden werden. Noch eindeutiger formuliert das Regierungspräsidium Stuttgart (RP) seine Ablehnung: „Aufgrund der damit einhergehenden hohen Wertigkeit sollte die Fläche LB-08 unter naturschutzfachlichen Gesichtspunkten unbedingt aus der Vorranggebiets-Kulisse herausgenommen werden.“
Region: Kein Ausschluss
Der Regionalverband sieht gleichwohl keinen Anlass, von dem Vorranggebiet abzuweichen, für das mit der Uhl Windkraft Projektierung GmbH & Co. KG aus Ellwangen auch schon ein Investor bereitsteht, der dort vier Windräder errichten will. Man habe von der der höheren Naturschutzbehörde im September flächenhafte Daten zu „Bedeutenden Rast- und Überwinterungsgebieten von Zugvögeln im Offenland“ erhalten, teilt Alexandra Aufmuth, die Sprecherin des Verbands, auf Anfrage mit. Diese stellten eine wichtige Grundlage in der Bewertung der Fläche dar, begründeten nach aktuellem Stand jedoch keinen Ausschluss der betroffenen Flächen.
Es habe innerhalb des geplanten Vorranggebietes auch bereits weit fortgeschrittene Erkundungen gegeben, so Aufmuth. In diesem Zusammenhang würden auch Maßnahmen zur Reduktion der Eingriffsintensität und mögliche Kompensationsmaßnahmen diskutiert. Hinweise, die ein absehbares Genehmigungshindernis darstellen würden, seien jedoch nicht gekannt. Ein zwingend zu beachtender „Verbotstatbestand“ liege nicht vor. Auch der Investor, die Uhl Windkraft GmbH, kommt aufgrund eigener Untersuchung zu dem Ergebnis, dass es keine „erheblichen Störungen rastender Tiere“ geben werde. Zustimmung kommt im Übrigen auch von den Gemeinden Hemmingen und Markgröningen, Ablehnung signalisiert Schwieberdingen.
Entscheidung im Dezember
Die Entscheidung darüber, ob dieses wie auch die anderen Vorranggebiete wie geplant für die Windkraft reserviert werden oder ob es Änderungen beziehungsweise Streichungen gibt, bleibt nun dem Beschluss der Regionalversammlung vorbehalten. Laut Regionalverband wird ein Satzungsbeschluss für den 3. Dezember angestrebt.
