Eine tödliche Schießerei zwischen Jugendlichen in Asperg. Eine Gruppe Mädchen, die am Ludwigsburger Marstall aufeinander los geht. Eine fünfköpfige Gruppe, die am Ludwigsburger Bahnhof einen 27-Jährigen mit einem Messer schwer verletzen. Festgenommen wird ein Tatverdächtiger, er ist 16 Jahre alt. Es sind solche Aufsehen erregenden Meldungen, die den Eindruck erwecken, dass die Jugendkriminalität gerade rasant zunimmt, die Taten immer brutaler werden. Doch stimmt das überhaupt?
Kreis Ludwigsburg Zahl der jüngeren Täter wächst
Statistisch sinkt die Zahl der jugendlichen Tatverdächtigen im Kreis. Diese werden aber immer jünger. Auch die Gewaltbereitschaft steigt.
Straftaten unter Niveau von 2019
Unstrittig ist, dass die Fallzahlen im Bereich des Polizeipräsidiums (PP) Ludwigsburg in den vergangenen Jahren wieder stieg, nachdem sie während der Corona-Pandemie deutlich gefallen waren. „Wir bewegen uns da insgesamt aber immer noch unter dem Vor-Corona-Niveau“, sagt Polizeisprecher Steffen Grabenstein. Weiterhin rückläufig sei die Zahl der tatverdächtigen Heranwachsenden im Alter von 18 bis 21 Jahren. Sie sank von 2019 bis 2022 von 1677 auf 1331.
Deutlich gestiegen sind hingegen die Zahlen bei den Gruppen der 14- bis 17-Jährigen sowie der Kinder bis 14 Jahre. In der ersten Gruppe nahm die Zahl von 1584 (2021) auf 1740 zu. Damit bewegt sie sich jedoch etwa auf dem Level von 2019 mit 1729 Tatverdächtigen. Seit Jahren im Aufwärtstrend ist hingegen die Zahl der tatverdächtigen Kinder bis 14 Jahre. Sie stieg von 712 (2021) auf 943, 2019 waren es noch 699.
Ebenfalls zugenommen hat auch die Zahl der Messerangriffe. 2022 verzeichnete das PP Ludwigsburg ein Plus von 12,3 Prozent auf 173 Fälle. „Das ist eine landesweite Tendenz, die sich nicht nur bei uns zeigt“, sagt Steffen Grabenstein. Generell sei eine qualitative Steigerung bei den Delikten spürbar. „Es wird schneller zur Waffe gegriffen.“
Neu sei auch das Phänomen gruppenartiger Zusammenschlüsse. Anders als bei früheren Jugendbanden handele es sich aber nicht mehr um Gruppen mit festen Strukturen, Ritualen oder auch äußerlichen Kennzeichen wie etwa Kleidungsstücke und Tattoos.
Neues Gruppenphänomen
Die neuen Gruppierungen seien eher lose Zusammenschlüsse, in deren Mitte nur wenige besonders aktive Jugendliche stünden. Der erweiterte Kreis komme fast zufällig hinzu, erklärt Steffen Grabenstein: „Man kennt sich, man hängt zusammen ab. Straftaten geschehen dann oft aus einer Laune heraus.“ Opfer seien meistens andere Jugendliche, inzwischen aber auch Erwachsene.
Diese Gruppen seien zudem extrem mobil. „Es kann sein, dass man dieselben Personen in Ditzingen, Ludwigsburg oder Bietigheim-Bissingen trifft“, erläutert der Polizeisprecher. Deswegen gebe es auch keine richtigen Hotspots der Jugendkriminalität im Kreis.
Die Polizei versucht diesem neuen Gruppenphänomen durch intensive Personenkontrollen entgegenzuwirken. Der Kreis verweist auf BZ-Anfrage auf sein breites Beratungs- und Unterstützungsangebote. Ziel sei es, die Ursachen und Hintergründe mit erzieherischen Mitteln zu anzugehen, um eine weitere Straffälligkeit zu verhindern.
Harte Strafen nutzlos
Der Tübinger Kriminologe Jörg Kinzig möchte präventiv viel früher ansetzen, etwa in Kitas oder Kursen für werdende Eltern. Von härteren Strafen für jugendliche Täter hält er wenig. Dass sich Kriminalität so besonders reduzieren lasse, sei nicht belegt. „Sonst müssten ja Straftaten etwa in den USA, die Menschen sehr, sehr lange einsperren, verschwunden sein“, gibt Kinzig zu bedenken.
Das sieht Polizeisprecher Steffen Garbenstein ähnlich. „Die Sanktionen für jugendliche Straftäter zielen auf eine erzieherische Verhaltensänderung ab“, sagt er. Dabei spiele aber die Zeit zwischen Tat und Strafe eine große Rolle. „Sonst fehlt für die Jugendlichen der Entwicklungszusammenhang.“
Der Sicherheitsbericht
des Polizeipräsidiums (PP) Ludwigsburg weist für 2022 teilweise deutlich ansteigenden Fallzahlen bei der Jugendkriminalität aus. Diese verteilen sich jedoch sehr ungleich auf die beiden Landkreise Ludwigsburg und Böblingen, die beide in die Zuständigkeit des PP Ludwigsburg fallen.
Laut Sicherheitsbericht stieg die Zahl der Straftaten bei den Unter-21-Jährigen 2022 gegenüber dem Vorjahr um 379 Fälle oder 8,3 Prozent von 4569 auf 4948. Vor der Corona-Pandemie (2019) verzeichneten die Behörden 5481 Fälle.
Am stärksten nahmen demnach Diebstähle zu und zwar um 292 Fälle oder 35,8 Prozent von 816 auf 1108.
Deutlich mehr wurden auch die sogenannten Rohheitsdelikte, also Körperverletzungen, Raub und Freiheitsberaubung. So stiegen die Fälle von leichter Körperverletzung von 432 auf 608 (40,7 Prozent). Dies aber vor allem im Landkreis ( Böblingen: plus 108 Fälle oder 70,6 Prozent; im Landkreis Ludwigsburg lag der Anstieg bei 68 Fällen (24,4 Prozent). Ähnlich das Bild bei schwerer Körperverletzung: Im Landkreis Böblingen gab es 52 Fälle oder 92 Prozent mehr als 2021. Im Kreis Ludwigsburg waren es fünf Fälle mehr (4,3 Prozent).
Die Zahl der Bedrohungen stieg um 51 Fälle (43,2 Prozent) von 118 auf 169.
Drogendelikte nahmen hingegen von 701 auf 578 Fälle (minus 17,5 Prozent) ab