Fotografien von verfallenem Industrieflair inspirieren junge Menschen zu eindrücklichen Worten: Die Bietigheimer Fotogruppe des Bahnsozialwerkes kooperiert mit drei Schulklassen des Beruflichen Schulzentrums Bietigheim-Bissingen (BSZ) unter dem Motto „Kunst trifft Schule“. Am Wochenende wurde die Ausstellung „Denkbar lebendige Welten“auf den langen Fluren der Schulwerkstätten eröffnet.
Kunst-Kooperation Bietigheim-Bissingen Mit großer und kleiner Blende
Die Fotogruppe des Bahnsozialwerkes kooperiert mit Schülern des Beruflichen Schulzentrums unter dem Motto „Kunst trifft Schule“.
Zur Vernissage füllten sich die Plätze im Foyer schnell und Schulleiter Stefan Ranzinger freute sich, dass die Schule an einem Freitagnachmittag so viel Interesse wecken konnte.
Lange war am Standort zwischen dem Gleisbogen und der Stuttgarter Straße in Bietigheim die Firma DLW zu finden. 2018 wurden die Linoleumwerke geschlossen und seitdem verwittert der einstige Industriestandort. Der Zahn der Zeit nagt an den Gebäuden, die Natur erobert sich den Raum zurück: Zerstörung durch den Rückbau und Vandalismus hinterließen ihre Spuren.
Dieses verfallene Industrieflair inspirierte zunächst die Bietigheimer Fotogruppe des Bahnsozialwerkes, deren Mitglieder dort in den letzten beiden Jahren auf Motivsuche gingen (die BZ berichtete). Angestrebt wurden keine dokumentarischen Aufnahmen, sondern die Linse sollte Stimmungen sichtbar machen. „Diese Firma war prägend für die Stadt und lebt nun in der Kunst weiter“, erklärte Fotogruppenmitglied Arnold Maiwald während der Vernissage.
Idee zur Kooperation
Er war es auch, der mit seiner Nachbarin ins Gespräch kam und ihr die entstandenen Fotos, zum Beispiel ein blühender Löwenzahn in einer leeren Halle, Steine im Drahtgewirr gefangen, bunte Kabel oder auch ein Schaltpult mit Bürostuhl zeigte. So entstand die Kooperation mit drei Klassen des BSZ. Texte, Poesie, Kurzgeschichten sowie kurze Audios ließen sich die Schüler und Schülerinnen unter dem Arbeitstitel „Denkbar Lebendige Welten“ einfallen. „Das war mal etwas komplett anderes und vor allem unterhaltsam“, befanden Noel und Philipp. Sie lobten das große Teamwork und berichteten von einer ganz anderen Motivation im Wissen, dass das eigene Werk nicht in einer Lehrermappe verschwindet, sondern ausgestellt wird. Lehrerin Ortrud Scherer nickte zustimmend. Sie empfand den Unterricht als besonders vergnüglich und freute sich, dass Menschen durch Kunst verbunden wurden, und zwar unabhängig vom Alter.
Beeindruckende Ergebnisse
Hinter der Eingangstür zu den Schulwerkstätten erklären zwei große Plakate die Herangehensweise der Schulklassen an die 30 ihnen vorliegenden Fotografien: So sollte der Blick mit dem Wort, das Bild mit der Poesie in Bezug gesetzt werden, um künstlerische Prozesse in Gang zu setzen.
Konkret lautete eine Aufgabe für die Schülerinnen und Schüler, sich Aphorismen auszudenken, die eine Lebensweisheit vermitteln und zum Nachdenken animieren. Die andere Klasse war aufgefordert, ein Gedicht im expressionistischen Stil und in der Form eines Sonetts zu schreiben. Tiny Tales, also Literatur im Twitter-Format mit höchstens 140 Zeichen zu erfinden, lautete eine weitere Aufgabe für die Schülerinnen und Schüler und schließlich sollten noch frei poetische Texte, die Assoziationen und Deutungen zu Juli Zehs Roman „Corpus Delicti“ ausdrücken, formuliert werden.
Herausgekommen sind nachdenkliche, berührende und sehr eindruckende Worte über Wurzeln, die Kraft für die Zukunft schenken. Über den kleinsten Stein, der doch auch eine Spur hinterlässt und über die Stärke, die sich erst im Widerstand zeigt. Die Frage, wer die Knöpfe drücken sollte, wird ebenso aufgeworfen, wie das Durchdringen einer Mauer gelingen kann.