Kunstausstellung in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen Wie DLW die Stadt prägte

Von sz/Quelle: Blätter der Stadtgeschichte
Sara Focke-Levin in der Städtischen Galerie vor den Fotocollagen mit Gebäuden und Linoleum-Böden aus dem DLW-Gelände in Bietigheim-Bissingen.. Foto: Martin Kalb

In der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen ist die künstlerische Auseinandersetzung von Sara Focke-Levin mit der DLW-Geschichte und der Auflösung der Firma im Altbau zu sehen.

Riesig ist der Tisch, den die Besucher der Ausstellung „Gestern: heute: Morgen – eine Stadt verändert sich“ als erstes sehen. Es ist eine Art Architekturmodell und zeigt das Gelände der ehemaligen Deutschen Linoleumwerke (DLW), eingebettet zwischen Bahngleisen und B 27. Vorgefertigte, verschiedenartige Gipsstücke und Kartonagen liegen bereit. Hier soll der Besucher das Gelände, das momentan brach liegt, selbst neu gestalten. Wie das künftige Bogenviertel, das dort einmal entstehen soll, sieht aber keines der Modelle aus, denn durch grüne und blaue Tücher werden viel Grün und Wasserflächen gewünscht. Die wird es im Bogenviertel wohl nicht geben.

Projekt der Kulturregion

Die Städtische Galerie gab der Künstlerin Sara Focke-Levin den Auftrag, sich künstlerisch für das Kulturprojekt „Über: Morgen“ der Kulturregion Stuttgart mit dem ehemaligen DLW-Gelände sowie dem gesamten Stadtteil Im Aurain zu beschäftigen. „Für die, die nicht beim DLW arbeiteten, ist das Gelände ein weißer Fleck, riesengroß, mitten in der Stadt“, sagt Galerieleiterin Isabell-Schenk-Weininger, eine gebürtige Bietigheimerin. „Ich wusste nicht, wie riesig das Fabrikgelände ist.“ Ihr ging es mit dem Auftrag um die Aufarbeitung einer Firmengeschichte, die die Stadt geprägt hat wie keine andere. „DLW hat den Aurain erst erschaffen“, sagt sie. Für Focke-Levin, die in Vaihingen aufwuchs und in Ludwigsburg lebt, war das Gelände eine „Terra inkognito“. Ganz unbedarft, so sagte sie, wagte sie sich auf das „fremde Gelände“. Drei Monate lang suchte sie, fand viel, fotografierte, filmte, legte Pergamentpapier auf die Gleise und zeichnete sie mit Graphitstift ab.

Entstanden ist eine künstlerische Annäherung an ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Phänomen, die Aufstieg und Niedergang einer Firma in einer Stadt zeigt – und welche Spuren sie hinterließ. Und das sind bei DLW nicht wenige. Die Firma sorgte dafür, dass aus der kleinen Stadt ein wohlhabender Ort wurde, die Bevölkerungszahl geradezu explodierte und prägte sie vor allem durch den Wohnungsbau städtebaulich.

Sammelstücke aus der Kantine

Im ersten Raum der Ausstellung im Altbau finden sich Sammelstücke, vor allem aus der ehemaligen Kantine. Drei runde Kunstwerke aus Linoleum hingen dort noch, die Focke-Levin einsammelte. Das Kantinengeschirr von DLW allerdings stammt aus dem Stadtarchiv, wohin es gerettet wurde.

Der zweite Raum ist den Häusern im Aurain, und zwar drei Bauabschnitten, gewidmet: Die Künstlerin hat Häuser der Gartensiedlung, dem Köpenick und die Bauhaus-Häuser übereinander gezeichnet. „Dadurch verschwimmen sie, wie die Erinnerungen ihrer Bewohner“, so Focke-Levin.

100 Uhren gleich geschaltet

Danach zeigt sie die Fotografien, die sie in und vor den ehemaligen Gebäuden gemacht hat: Focke-Levin hat die Linoleumböden der Firma fotografiert, die noch in den leeren Gebäuden liegen. Per Fotoshop hat sie sie auf Fotos von DLW-Gebäuden als Himmel, Untergrund, Erde oder Wasser verwendet.

Denn die Linoleumböden zeigen auch die Mode der Bodenbeläge über die Jahre. Ein Film von Focke-Levin folgt ihrem Gang durch die Gebäude. Fundstücke aus den Gebäuden hat sie wie Ausgrabungsartefakte in einer Vitrine aufgebaut und auch so gekennzeichnet.

Im letzten Raum der Ausstellung fallen zuerst an den vier Wänden vier verschiedene Uhren auf, die aus den DLW-Firmengebäuden stammen. 100 Uhren hingen dort, sagt Focke-Levin, und alle waren gleich geschaltet. Jetzt stehen sie still, nur eine der vier Uhren geht noch.

Auf den Boden hat die Künstlerin Leuchtkästen gelegt, in denen Collagen angestrahlt werden. Monatlich entstanden in den Linoleumwerken Hochglanzzeitschriften mit Firmennachrichten für die Mitarbeiter. Diese erzählen von den Hochzeiten der Firma, als es noch Firmenausflüge zum Mont Blanc gab oder DLW auf Messen glänzte.

Zum Schluss wird ein Amateurfilm „Abschied in die Zukunft“ gezeigt, der die Abriss- und Sprengungsarbeiten im Jahr 1964 dokumentiert, als DLW in Bietigheim die Linoleumproduktion aufgab und die Ur-Gebäude aus Backstein zerstören ließ, um Fabrikhallen in Fertigbauweise aufzustellen. „Für mich im Nachhinein der Anfang des Endes der Firmengeschichte“, so Sara Focke-Levin.

Die Geschichte der DLW-Werke in Bietigheim-Bissingen

Der Bietigheimer Gemeinderat
hob am 19. Mai 1899 das Bauverbot im Aurain auf und der Ortsbauplan für die so genannte Bahnhofsvorstadt wurde erstellt und so stand dem Bau eines Linoleumwerks, wie es von dem schottischen Linoleumfabrikanten Michael Nairn und dem Stuttgarter Linoleumhändler David Heilner beantragt wurde, nichts im Wege. Im April 1899 hatten die beiden die Firma Germania Linoleumwerke Bietigheim (GLW) gegründet. Bis heute ist es das größte und bedeutendste Bauvorhaben in der Stadt, das einen ganzen Stadtteil veränderte. Ab Herbst 1899 arbeiteten 600 Arbeiter in der Fabrik. Aber erst 1901 konnte die tatsächliche Produktion aufgenommen werden. Das Stuttgarter Katharinenhospital war 1901 der erste Großabnehmer von Bietigheimer Linoleum, das gesamte Krankenhaus und das Stift wurden damit ausgelegt.

Die soziale Lage
in der Stadt verbesserte sich durch die GLW grundlegend. Bisher gab es in der Stadt laut den Blättern zur Stadtgeschichte des Stadtarchivs hauptsächlich Arbeitsstellen für Frauen, nun konnten die Männer Arbeit finden. Die Löhne der GLW waren vergleichsmäßig hoch. Auch die Einwohnerzahl der Stadt nahm zu. Bis 1910 verdoppelte sie sich.

Die Firma
hatte im Aurain zusätzlich zum Firmengelände noch viel Gelände erworben und so wurde das Gebiet erschlossen. Als erstes wurde 1903 die Siedlung Köpenick begonnen. Es sollte eine Arbeiterkolonie entstehen. Bis 1907 wurden insgesamt 22 Häuser gebaut. Der Bau von Wohnungen für Arbeiter und Angestellte zeigte das soziale Verantwortungsbewusstsein der Firma. Den Mitarbeitern wurden Wohnungen zu moderaten Preisen in modernen Häusern bereitgestellt. 1906 entstand dann die sogenannte Gartensiedlung, die nach englischem Stil gebaut wurde. Kleinere Häuser wurden um einen grünen Innenbereich angelegt. 1925 bauten die GLW mehrere Mehrfamilienhäuser im Aurain, 1930 wurden Häuser im Bauhaus-Stil erstellt. Damit prägte DLW einen ganzen Stadtteil. Tennisplätze, ein Sportplatz sowie ein Kindergarten wurde angelegt. Auch ein DLW-Bad an der Enz wurde später gebaut. Aber nicht nur im Aurain wurde von DLW gebaut: auch in der Karmgarnspinnerei wurden schon 1900 Häuser für Mitarbeiter errichtet. 1934 wurde die städtebauliche Grundlage für die Sandsiedlung gelegt, mit zuerst 20 Kleinhäusern plus Garten zur Selbstversorgung, später folgten mehr. Die sogenannten Siedler mussten eine Eigeneinlage von 1000 Reichsmark leisten.

1926
wurde der Name in Deutsche Linoleumwerke Bietigheim umbenannt, weil mehrere Linoleumwerke aus Delmenhorst und Bremen übernommen wurden. 1963 arbeiteten an die 4000 Mitarbeiter bei DLW in Bietigheim, „im Linoleum“, wie es im Volksmund hieß. Und die Stadt hatte sich durch den Wohnungsbau der Firma stark verändert.

1967
erfolgte der Abriss und die Sprengung von 24 000 Quadratmeter Produktionsfläche. Alte Backsteingebäude wurden dem Erdboden gleich gemacht, um neuen, schnell errichteten Produktionshallen Platz zu bieten und die Linoleumproduktion zu beenden. 1400 Arbeitsplätze wurden abgebaut. Es entstand das Forschungsinstitut der DLW mit modernen Laboratorien. 1986 wurden die letzten Teile der Urfabrik abgerissen.

2000 wurde
DLW von der englischen Firma Armstrong übernommen. 2018 wurde der Bankrott und die Aufgabe der Firma erklärt. Seither liegt das Firmengelände brach. Auf einem Teil soll in Kürze das Wohngebiet Bogenviertel errichtet werden.

 
 
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