Landkreis Ludwigsburg Warum die Polizei nicht spekuliert

Von Claudia Mocek
Wie arbeitet die Polizei? Kriminalhauptkommissar Peter Wengerek (von links), Pressesprecherin Victoria Zahler, Steffen Grabenstein, Leiter der Stabstelle Öffentlichkeit und der Erste Kriminalhauptkommissar Joachim Buchhäusl haben Claudia Mocek Rede und Antwort gestanden.  Foto: Werner Kuhnle

„Wir spekulieren nicht“, sagt Kriminalhauptkommissar Peter Wengerek. Im Gespräch mit der BZ erläutert er gemeinsam mit seinem Kollegen, dem Ersten Kriminalhauptkommissar Joachim Buchhäusl, wie sie vorgehen, wenn jemand vermisst wird.

Wenn ein Verbrechen geschieht oder jemand vermisst wird, sind die sozialen Medien sofort voll von Spekulationen, Theorien und Kommentaren. Von der Polizei kommen zunächst oft nur knappe Meldungen. Warum ist das so? Die BZ hat sich mit dem Ersten Kriminalhauptkommissar Joachim Buchhäusl und Kriminalhauptkommissar Peter Wengerek über deren Arbeitsweise unterhalten.

„Man muss da unterscheiden“, sagt Joachim Buchhäusl (Foto rechts): „Ein Strafverfahren wie zum Beispiel ein Mord ist etwas anderes als die Suche nach einem Vermissten“, sagt der Dezernatsleiter für Kapitaldelikte im Ludwigsburger Kriminalkommissariat. „Die meisten Vermisstenfälle lösen sich in ein bis drei Tagen wieder auf“, sagt der Böblinger Fachkoordinator Peter Wengerek (Foto links).

Suche nach Vermissten

Ein erfundenes Beispiel: Ein Paar streitet sich, die Frau verlässt die Wohnung, der Mann meldet sie später bei der Polizei als vermisst. Natürlich darf sich die Frau aufhalten, wo sie möchte, ohne dass aus Sicht der Polizei Gefahr im Verzug besteht. Nur weil der Mann nicht weiß, wo sie ist, bestehe kein Handlungsbedarf. „Das Persönlichkeitsrecht ist ein hohes Gut“, sagte Wengerek. Zu einem solchen Fall würde die Polizei auch keine Pressemitteilung veröffentlichen, selbst wenn das Beispiel nicht erfunden wäre.

Laut Vorschrift der Polizei gilt ein Erwachsener dann als vermisst, wenn er seinen gewohnten Lebenskreis verlassen hat, sein Aufenthaltsort unbekannt ist und eine Gefahr für Leib oder Leben angenommen werden kann. Erst dann besteht aus Sicht der Polizei Handlungsbedarf. „Wenn wir zum Beispiel einen dementen Menschen suchen, noch dazu im Winter, brauchen wir die Unterstützung der Öffentlichkeit“, sagt Wengerek.

 Im Jahr 2021 wurden im Landkreis Ludwigsburg 58 Erwachsene als vermisst gemeldet. Der Aufenthaltsort aller 58 Personen konnte geklärt werden. Straftaten waren in dem Zusammenhang nicht zu verzeichnen.

Minderjährige gelten in jedem Fall als vermisst, wenn sie ihren gewohnten Lebenskreis verlassen haben und ihr Aufenthaltsort unbekannt ist. Bei ihnen muss grundsätzlich eine Gefahr für Leib oder Leben angenommen werden – solange Erkenntnisse oder Ermittlungen nichts anderes ergeben.

Das „Streuner“-Phänomen

Manche Jugendlichen beschäftigen die Polizei über einen Zeitraum hinweg intensiv, weil sie immer wieder verschwinden. Bis zu drei, vier Fälle können das am Tag sein. Bei einigen sei diese Phase des Verschwindens dann plötzlich auch wieder vorbei.

Im vergangenen Jahr verzeichnete das Polizeipräsidium Ludwigsburg 265 Vermisstenfälle von Minderjährigen. Bei dieser Zahl macht sich das „Streuner“-Phänomen bemerkbar: Minderjährige werden mehrfach als vermisst gemeldet, dabei kann eine Person für eine Vielzahl von Fällen verantwortlich sein.

Und dann gibt es noch die Vermisstenfälle, die im Zusammenhang mit einer Straftat stehen. Die Polizei ermittelt und entscheidet im Einzelfall, wann sie mit welchen Informationen an die Öffentlichkeit geht. „Das ist immer eine Frage der Abwägung“, sagt Wengerek. Denn die Tatsache, dass ein Mensch Opfer einer Straftat geworden ist, stehe nicht immer zu einem frühen Zeitpunkt der Ermittlungen fest. Trotzdem dürften belastbare Beweismittel im Hinblick auf ein mögliches späteres Verfahren nicht einfach preisgegeben werden.

Welches Wissen kann nur der Täter haben, ist etwa eine Frage, die die Beamten dabei berücksichtigen. Dieses Wissen werde nicht an die Öffentlichkeit gegeben, um den Täter damit vielleicht später überführen zu können. „Unser vorrangiges Ziel ist es, den Täter zu finden“, betont Buchhäusl.

Unter bestimmten Gesichtspunkten kann eine Öffentlichkeitsfahndung sinnvoll sein, sagt Steffen Grabenstein, Leiter der Stabstelle Öffentlichkeit. Da diese aber unter Umständen sehr viele Reaktionen hervorruft, müsse sie zwischen allen Beteiligten – auch zwischen Angehörigen und der Polizei – abgestimmt sein. Gut gemeintes Engagement von Angehörigen oder Freunden könne unter Umständen eher schaden als nutzen, weil dabei zwangsläufig Daten aus dem persönlichen Umfeld in die Öffentlichkeit gelangen. Steffen Grabenstein verweist darauf, was ein Vermisstenfall für die Angehörigen bedeuten könne. In einer solchen extremen Situation reagiere jeder Mensch anders, deshalb habe auch der Schutz der Angehörigen bei der Polizeiarbeit einen hohen Stellenwert.

Viele Rückmeldungen

Wenn die Polizei die Öffentlichkeit um Mithilfe bittet und es viele Rückmeldungen aus der Bevölkerung gibt, bedeutet dies einen gewaltigen Arbeitsaufwand für die Beamten. Auch wenn viele dieser Informationen auf den ersten Blick bei den Ermittlungen vielleicht nicht weiterhelfen, können sie bei der späteren Recherche ein wichtiges Puzzleteil sein. „Die Öffentlichkeitsfahndung ist wichtig – in gewichtigen Fällen“, sagt Peter Wengerek.

„Bei Fällen von Vermissten kann man am Anfang nur alles falsch machen“, sagt Buchhäusl. Es sei eine der schwierigsten Aufgaben, zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung die richtigen Weichen zu stellen.

Wilde Spekulationen

Und während in den sozialen Medien wilde Spekulationen die Runde machen, geht es den Beamten um Fakten: „Die Polizei darf nicht spekulieren“, sagt Wengerek, selbst wenn die Situationen manchmal hochdynamisch seien und der Druck aus der Öffentlichkeit durch hämische Kommentare im Internet steige.

 
 
- Anzeige -