Landtagswahl: Grüne votieren für Herausforderer Renkonen scheitert an Tayfun Tok

Von Frank Ruppert
Im Wahlkreis 14 Bietigheim-Bissingen stimmten die Mitglieder am Dienstagabend in der alten Eishalle Bietigheim für Tayfun Tok (links). Daniel Renkonen hatte überraschend das Nachsehen. Foto: Martin Kalb

Die Mitglieder der Grünen im Wahlkreis 14 Bietigheim-Bissingen votieren für den Herausforderer aus Murr. Der Abgeordnete Renkonen muss nach zehn Jahren überraschend das Feld räumen.

Die Grünen haben bei ihrer Nominierungsveranstaltung zur Landtagswahl im Wahlkreis 14 Bietigheim-Bissingen am Dienstagabend in der alten Eishalle in Bietigheim für eine Überraschung gesorgt: Daniel Renkonen musste sich mit 47 zu 50 Stimmen seinem Herausforderer Tayfun Tok aus Murr geschlagen geben. Damit wird Renkonen nach zehn Jahren im Landtag, den Wahlkreis nicht erneut vertreten. Aber der Reihe nach:

Der Veranstaltungsort: Die Grünen hatten angesichts gestiegener Mitgliederzahlen und der strengen Corona-Vorgaben einige Mühen eine Halle zu finden, die ausreichend Platz für die rund 200 Mitglieder aus den 21 Wahlkreisgemeinden bietet. Dafür, dass es erneut Bietigheim wurde, wurde das Vorstandsteam, am Dienstag vor allem in Person des Bietigheim-Bissingers Marcel Hoffmann kritisiert. Ein Parteimitglied sagte, die 100 Leute, die dann tatsächlich da waren, hätten auch in die Marbacher Stadthalle gepasst. Hoffmann wies die Kritik zurück. Um die Wahl nicht anfechtbar zu machen, habe man Platz für alle Mitglieder bieten müssen, in Marbach seien aber nur 150 Plätze möglich gewesen. So kam es zu dem ungewöhnlichen Schauplatz für eine Parteiveranstaltung.

Die Ausgangslage: Mit Daniel Renkonen stellte sich der aktuelle Inhaber des Direktmandats zur erneuten Wahl. Der heute 50-Jährige setzte sich bei der Landtagswahl 2016 gegen Fabian Gramling (CDU) durch und sicherte den Grünen erstmals das Direktmandat in dem Wahlkreis. Der gelernte Journalist ist klimaschutz- und verkehrspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Der Herausforderer Tayfun Tok, Jahrgang 1986, ist seit 2014 Gemeinderat in seinem Heimatort Murr. Er hat seit Anfang des Jahres bei verschiedenen Ortsverbände eine Art Vor-Wahlkampf gemacht. Gleichzeitig sei es den Grünen im Bottwartal in den vergangenen Jahren gelungen, zehn neue Mitglieder für die Partei zu gewinnen.

Die Reden: 15 Minute hatte jeder Bewerber, um die Mitglieder von sich zu überzeugen. Renkonen durfte anfangen und ging vor allem auf die Klimapolitischen und verkehrlichen Errungenschaften der Landesregierung ein. Er erneuerte seine Bekenntnis zur Reaktivierung der Bottwartalbahn und sprach sich für den Radschnellweg zwischen Bietigheim-Bissingen und Stuttgart aus. In keinem anderen Bundesland werde soviel in den Umweltschutz investiert, etwa bei der energetischen Sanierung von Gebäuden. Der Abgeordnete schwor seine Parteifreunde auch auf einen harten Wahlkampf gegen die CDU ein, die derzeit in den Umfragen vorne liegt.

Während Renkonen frei redete, hatte Tok ein Manuskript. Wo Renkonen mit vergangenen Erfolgen und zukünftigen Initiativen versuchte, an den Verstand der Mitglieder zu appellieren, zielte Tok eher auf das Herz. Als Migrantensproß einer alleinerziehenden Mutter und erster in seiner Familie mit Abitur wolle er als Beispiel für andere vorangehen. „Ich will zeigen, dass nicht alles perfekt ist bei uns, aber dass man es trotzdem schaffen kann“. Schon im Vorfeld hatte der Familienvater in Elternzeit erklärt, dass die Grünen mehr seien als Klimapolitiker und auch Antworten auf die noch herrschende Bildungsungerechtigkeit geben müssten. Tok erklärte, er wolle ein Wahlkreisbüro eröffnen und sich mit den Ortsverbänden austauschen, gleichzeitig dafür sorgen, dass diese untereinander besser vernetzt seien.

Die Fragerunde: Renkonen wurde gleich zu Beginn scharf kritisiert von einem Mitglied, weil er nach ihrer Ansicht nur bei Wahlen Basisarbeit erledige und sich sonst nicht groß um die Ortsverbände kümmere. Das wies er entschieden zurück, so gebe es regelmäßige Treffen mit den Ortsverbänden. „Der Wahlkreis ist groß und ich kann nicht überall sein, weil auch im Landtag Aufgaben anstehen“, schränkte er allerdings ein. Bei der Frage, wie man Gemeinden zu mehr Digitalisierung motivieren kann, zählte Renkonen die diversen finanziellen Förderungen auf, die die Landesregierung zur Verfügung stelle.

Bei derselben Frage konnte Tok punkten, weil er konkrete Ideen für Workshops für Führungskräfte in den Gemeindeverwaltungen hatte. Nur über die erreiche man, dass die Förderung auch in mehr Digitalisierung umgesetzt werde. Tok musste sich zu Gerüchten, er sei Mitglied bei Ditib, dem umstrittenen Moschee-Betreiber aus der Türkei, auseinandersetzen. „Ich bin Moslem und Deutscher und das ist kein Gegensatz. Gleichzeitig distanziere ich mich ganz klar von Hetze irgendwelcher Imame. Hass hat keinen Platz in einer Moschee“, so Tok.

Die Wahl: Es brauchte nur einen Wahlgang. Von den 100 Stimmberechtigten, waren 99 gültige Stimmzettel abgegeben worden. Bei zwei Enthaltungen stimmten 47 Mitglieder für Renkonen und 50 für Tok. Renkonen zeigte sich in einer ersten Reaktion überrascht und konsterniert. Er brauche nun ein paar Tage, um das Ergebnis sacken zu lassen und sich mit seiner Familie über seine Zukunft zu beraten. Dem Herausforderer sei es wohl besser gelungen, Leute zu mobilisieren und er habe mit seiner Rede wohl die Herzen der Mitglieder getroffen, er selbst habe vielleicht zu geschliffen gesprochen und seine Basisarbeit sei wohl nicht bei jedem angekommen.

Tok schien nicht minder überrascht, konnte seine Freude aber kaum verbergen. Mit seiner Rede habe er versucht, Emotionen zu wecken, das sei in der Politik wichtig heute. Es gehe für die Grünen darum, Geschlossenheit zu zeigen: „Der politische Feind ist da draußen, rechts von der CDU“, so Tok.

So geht es weiter: Renkonen erklärte, er werde sich nun nicht mehr so stark in der Öffentlichkeit präsentieren, um Tok mehr Platz geben. Seine Pflichten im Landtag und Wahlkreis werde er aber bis Ende der Legislaturperiode weiter wahrnehmen. Falls Tok Fragen habe, werde er ihm gerne helfen, es gehe nun aber darum, den gewählten Kandidaten, bekannt zu machen. Tok sagte, er habe mit seinem Arbeitgeber noch gar nicht geklärt, wie das mit dem Wahlkampf laufen werde. Noch sei er bis Mitte Oktober in Elternzeit, aber auch danach werde sich eine Lösung finden.

Zweitkandidatin kommt aus Besigheim

Deutlicher als bei Renkonen und Tok ging die Wahl der Zweitkandidatin aus: Dr. Anne Posthoff aus Besigheim setzte sich mit 58 zu 33 Stimmen gegen Andrea Dötterer-Händle aus Erdmannhausen durch. Posthoff hatte eigentlich Renkonen unterstützt, sagte aber nach der Wahl: „Ich finde Tayfun Tok gut. Er ist die neue Generation.“ Die Gemeinderätin und Tierärztin hatte mit einer launigen Bewerbungsrede die Mehrzahl der Mitglieder erreicht. Die 59-Jährige bezeichnete sich angesichts von Jahrzehnten als Grüne als „alte Schachtel“.⇥fr

Jürgen Walter zieht Bewerbung zurück

Das Finale seiner politischen Karriere hatte er sich anders vorgestellt: Kurz vor der Nominierungsveranstaltung am Samstag hat Jürgen Walter, grüner Landtagsabgeordneter für den Wahlkreis Ludwigsburg, seine Kandidatur zurückgezogen. Seine bisherige Mitbewerberin Silke Gericke (45) steht nun konkurrenzlos da; schon vor der Sommerpause zog auch der 57-jährige Oberarzt Uwe Stoll seine Bewerbung zurück.

„In den vergangenen Wochen und Monaten hat sich abgezeichnet, dass kein fairer Wahlkampf stattfindet“, sagt der 63-jährige Asperger zur Begründung für seinen Schritt. Gegen den Grünen-Kreisvorstand erhebt er schwere Vorwürfe. „Es ging zuletzt nur noch um Fake News und Stimmungsmache gegen meine Person. Da habe ich mich gefragt, ob ich mir eine Auseinandersetzung, die weit unter der menschlichen Würde ist, antun muss oder nicht“, sagt er. „Es ist unglaublich, auf was für ein niedriges Niveau man hier abgesunken ist.“ Ein solcher Umgang miteinander signalisiere garantiert keine Aufbruchsstimmung. Walter ist seit 37 Jahren bei den Grünen, war von 2011 bis 2016 politischer Staatssekretär und holte bei der Landtagswahl 2016 das Direktmandat für den Wahlkreis 12.⇥mat

 

 
 
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