Lesung im Erligheimer Bürgerhaus Das pralle Leben im Mittelalter verständlich und launig erzählt

Von Roland Willeke
Der Schriftsteller und Landeskundler Gunter Haug sprach über Ritter, Bauern und Gespenster und gab einen launigen Einblick in das pralle Leben im Mittelalter. Foto: /Roland Willeke

Der Schriftsteller Gunter Haug grub, eingeladen von Das Bricklebrit und der Ortsbücherei, den begeisterten Zuhörern einen „Tunnel ins Mittelalter“.

Von Rittern, Bauern und Gespenstern“ erzählte Gunter Haug, ehemaliger Fernsehjournalist, studierter Historiker und Landeskundler und heute erfolgreicher Schriftsteller, am Freitagabend auf Einladung von Das Bricklebrit – Mundart-, Lieder- und Geschichtenhaus Bricklebrit und der Ortsbücherei im Erligheimer Bürgerhaus. Dem Verein Das Bricklebrit ist Haug durchaus verbunden, hat er doch vor sechs Jahren das Kulturprojekt, damals noch in Walheim, mit aus der Taufe gehoben: Er hielt den noch in lebhafter Erinnerung gebliebenen Eröffnungsvortrag.

Für heutige Leser verständlich

Basis seiner „Geschichten aus dem prallen Leben im Mittelalter“ ist die Zimmersche Chronik, verfasst um 1516 und mit 1600 Seiten eines der bedeutendsten Geschichtswerke des ausgehenden Mittelalters. In zwei Büchern - „Von Rittern, Bauern und Gespenstern“ und „Die Welt ist die Welt“ – hat er die besten und drolligsten Geschichten sprachlich etwas geglättet und für die heutigen Leser verstehbar neu herausgegeben. Allerdings schon vor 25 Jahren. Wer die Geschichten selbst lesen will, tut sich etwas schwer, denn beide Bände sind inzwischen vergriffen und nur mit Glück oder antiquarisch erhältlich.

An Derbheit kaum zu übertreffen

An Derbheit lassen die Geschichten nichts zu wünschen übrig. Man fühlt sich an Boccaccios Decamerone erinnert, nur eben auf schwäbisch, denn die Zimmersche Chronik beschäftigt sich hauptsächlich mit Oberschwaben und dem Bodenseeraum.

Wie in der Geschichte vom „Furzer von Buchhorn“. So hieß Friedrichshafen, bevor es vor rund 200 Jahren an Württemberg und dessen erstem König Friedrich – bekannt als der Dicke Friedrich – geriet. In der Geschichte vom Furzer spielt aber ein anderer Friedrich eine Rolle, nämlich Kaiser Friedrich III., der von 1440 bis 1493 regierte. Auf einer Inspektionsreise kam er auch in die damalige Freie Reichsstadt Buchhorn. Die Nervosität des Bürgermeisters der Stadt ob des hohen Besuches entlud sich in einem für den Kaiser vernehmbaren Darmwind, vulgo Furz, der den Kaiser amüsierte.

Monate später, als die Reichsstädte in Köln wieder einmal beim Kaiser um die Verlängerung ihrer Privilegien anstanden, erinnerte sich der Kaiser an die Episode und fragte nach dem „Furzer von Buchhorn“ und ließ den überraschten Schultes zu sich führen. Indes, der „tapf‘re Schwabe forcht sich nit“ und der hohe Herr erneuerte der völlig unbedeutenden Stadt Buchhorn vor allen anderen ihre Rechte und Privilegien. Wie sagte doch schon Martin Luther: Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz.

Geistlicher am Glockenseil

Deutlich deftiger geht es in der Geschichte von der Wetterglocke zu. Ein hoher Geistlicher übernachtet in einem Kloster voller junger Nonnen. Als mitten in der Nacht ein schweres Gewitter aufzieht, läutet er im Nachthemd die Wetterglocke, weil die eigentlich dafür zuständige ältere Nonne zu schwach ist. Ungeübt im Umgang mit dem Glockenseil, rutscht ihm beim Läuten sein Nachthemd nach oben, so dass die inzwischen herbeigelaufenen jungen Nonnen im Kerzenlicht „sein Geschirr und Geschell wohl sehen“ können, wie die Chronik vermeldet.

Noch einen? Ein Apotheker hatte für einen Kunden ein Aphrodisiakum und für einen anderen ein Abführmittel zu mischen. Bei der Auslieferung verwechselt der Gehilfe jedoch die beiden Fläschchen. Wie der Mann mit der Verstopfung auf die unerwartete Liebeshilfe reagierte, erwähnt die Chronik nur am Rand.

Dass der liebeshungrige andere Kunde seine sorgfältig vorbereitete Liebesnacht weitestgehend auf dem „geheimen Ort“ verbringt und zu guter Letzt die Braut und ihren Schmuck auch noch versaut, wird hingegen genüsslich ausgewalzt.

Den geistlichen Herren begegnet man in der Chronik auch noch bei fröhlichen Festgelagen und Schäferstündchen mit jungen Witwen, sehr zum Vergnügen der heutigen Leser und Zuhörer. Fazit von Gunter Haug: Die Zeiten ändern sich, die Menschen nicht.

 
 
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